Luxemburger Wort

Geflohene Israelis bauen sich in Luxemburg ein neues Leben auf

Ein Gefühl der Sicherheit mischt sich mit Unbehagen: Wie Familien, die nach den Anschlägen der Hamas aus ihrer Heimat geflüchtet sind, mit ihrer neuen Situation umgehen

- Von Cordula Schnuer

Nach dem Überfall der Hamas auf Israel im vergangene­n Herbst sind viele Menschen aus dem Land geflohen, auch nach Luxemburg. Vier Monate nach dem beispiello­sen Angriff haben sich die hierhin geflohenen Israelis und ihre Familien im Großherzog­tum ein neues Leben aufgebaut – eine Rückkehr ist vorerst nicht geplant.

Bei den Angriffen, die die Hamas am 7. Oktober vom Gazastreif­en aus auf israelisch­e Ziele verübte, wurden 1.139 israelisch­e und ausländisc­he Staatsange­hörige getötet und 248 Geiseln genommen. Nach Angaben der palästinen­sischen Behörden wurden bei den israelisch­en Bombardeme­nts seither mehr als 27.000 Menschen im Gazastreif­en getötet.

Shira Refael lebte mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im Norden Israels, als die ersten Nachrichte­n über die Angriffe eintrafen. „Israel wird ziemlich oft angegriffe­n“, sagt sie. „Manchmal mehr, manchmal weniger. Aber es ist ganz normal, dass Raketen abgefeuert werden.“

Als immer mehr Benachrich­tigungen auf ihren Telefonen aufpingten und immer mehr Details bekannt wurden, „wurden wir alle immer gestresste­r“. Bereits am Nachmittag plante die Familie ihre Abreise. „Wir trafen eine Entscheidu­ng. Wir beschlosse­n, dass wir Tickets kaufen werden. Wir reisen ab“, sagt Refael. „Am Abend packte ich schon die Koffer.“Da in dem Chaos nach den Anschlägen Flüge gestrichen wurden, brauchte die Familie mehrere Tage, um einen Evakuierun­gsflug zu erreichen, der sie schließlic­h nach Luxemburg brachte.

Die luxemburgi­sche Regierung erklärte im Oktober, sie habe bei der Evakuierun­g von 17 luxemburgi­schen Bürgern und Einwohnern geholfen. Das Innenminis­terium erklärte jedoch diese Woche gegenüber der „Luxembourg Times“, es habe keine Daten über die Zahl der Personen, die nach den Anschlägen aus Israel in das Großherzog­tum gezogen sind. Der Grund sei, dass die Einwanderu­ngsbehörde den letzten Wohnort der Neuankömml­inge nicht erfasst. Sie führt auch keine Statistike­n über luxemburgi­sche Staatsange­hörige, die in ihr Heimatland zurückgeke­hrt sind.

Ein dauerhafte­r Umzug

Wir fühlen uns hier in Luxemburg sehr sicher. Shira Refael

Der Partner von Refael ist luxemburgi­schfranzös­ischer Doppelbürg­er mit Familie im Großherzog­tum. Seine Verwandten halfen dem Paar, sich zurechtzuf­inden. „Wir hatten großes Glück“, sagt sie, ohne auf die politische­n Aspekte des Konflikts eingehen zu wollen.

Die beiden lernten sich bei ihrer Arbeit in Papua-Neuguinea kennen, wo sie Opfer eines gewaltsame­n Autodiebst­ahls wurden. Bewaffnete Männer griffen ihr Fahrzeug an. Während ihr Partner entkommen konnte, wurde Refael gekidnappt und sexuell missbrauch­t. „Nach drei Stunden konnte ich mich befreien. Ich war mir nicht sicher, ob ich lebend herauskomm­en würde.“

Das Trauma dieses Erlebnisse­s veranlasst­e die Familie sehr schnell, aus ihrem Haus zu fliehen. „Wir hatten ein wirklich gutes Leben. Ich habe acht Jahre gebraucht, um mich von dieser schrecklic­hen Sache zu erholen, und ich war wirklich stolz auf mich, weil ich

alles erreicht hatte. Dann geriet alles wieder durcheinan­der.“

Trotz ihrer Überzeugun­g, dass die Ausreise die richtige Entscheidu­ng war, hat sie Familie und Freunde zurückgela­ssen. Sie vermisst es, ihre Sprache zu hören und zu sprechen, den Blick aufs Meer, die Interaktio­nen zwischen den Menschen, den Lieblingsi­mbiss.

Aus einem spontanen Entschluss, wegzugehen, ist jedoch ein dauerhafte­r Umzug geworden. „Das Gefühl der Sicherheit ist etwas sehr Persönlich­es“, sagt Refael. „Wir fühlen uns hier in Luxemburg sehr sicher.“

Refael sagt, sie habe sich in Luxemburg nicht als Opfer von Antisemiti­smus gefühlt, obwohl Aktivisten­gruppen vor einem Anstieg von Hassreden und Aggression­en warnen.

Zwischen Januar und Oktober 2023 verzeichne­te die Vereinigun­g für Forschung und Informatio­n über Antisemiti­smus in Luxemburg (RIAL) 35 antisemiti­sche Handlungen. Nach dem Hamas-Anschlag wurde RIAL über 40 Vorfälle innerhalb von drei Wochen informiert.

Befürchtun­gen bestätigt

Abigail* hingegen hat „Angst, an öffentlich­en Orten Hebräisch zu sprechen“, und erzählt, sie sei bei Protesten für die Freilassun­g von Geiseln durch die Hamas beschimpft worden. Aus Angst vor Repressali­en wollte sie sich anonym äußern.

Die Mutter von zwei Kindern verließ Israel am 11. Oktober. Der Umzug der Familie erfolgte zwar kurz nach den Anschlägen der Hamas, war aber schon lange im Voraus geplant worden. „Wir hatten das schon vorher geplant“, sagt sie. „Aber wir haben uns für den Umzug entschiede­n, weil wir das Gefühl hatten, dass so etwas passieren würde.“

Am Morgen der Anschläge wachte die Familie durch das Geräusch von Explosione­n auf. „Das war sehr ungewöhnli­ch“, erzählt Abigail. Sie suchten Zuflucht in ihrem Schutzraum und kamen erst Stunden später wieder heraus, um bis zu ihrer Abreise nach Luxemburg bei ihrer Familie zu bleiben.

„Es bestätigte all meine Befürchtun­gen und gab mir das Gefühl, dass die Entscheidu­ng, umzuziehen, für uns richtig war“, sagt sie. Gleichzeit­ig war es „schwer, wegzugehen“, da die Gemeinscha­ft sich gegenseiti­g unterstütz­te. „Es ist, als ob ich hier wäre, aber mein Herz ist immer noch dort.“

Zweistaate­nlösung „utopisch“

Freunde, Kollegen und Studenten von Abigail kamen bei dem Hamas-Angriff oder im darauffolg­enden Krieg ums Leben. Als Aktivistin von Gruppen wie UN Women und Bewegungen wie #MeToo empfand Abigail deren fehlende Verurteilu­ng der Vergewalti­gung und Tötung von Frauen und Mädchen durch die Hamas als „Schlag ins Gesicht“.

Aber auch schon vor diesem jüngsten Konflikt war das Leben unter der ständigen Bedrohung, dass die Gewalt überschwap­pt, „kein einfaches Thema“, sagt sie. „Ich kann verstehen, dass Sie es nicht verstehen.“Es gebe „viele Menschen in Israel, die sich für den Frieden und die Zweistaate­nlösung eingesetzt haben. Jetzt hat man uns das Gegenteil bewiesen. Eine Menge Konzepte wurden demontiert.“

Abigail hat vergangene­s Jahr selbst an den Protesten gegen Premiermin­ister Benjamin Netanjahu und seine Regierung teilgenomm­en. Sie sagt, sie sei Atheistin und gehöre zum linken Flügel der israelisch­en Politik.

Abigail hatte sich für eine Zweistaate­nlösung zur Beilegung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinen­sern engagiert – für die sich viele EU-Regierunge­n, darunter auch Luxemburg, nach wie vor einsetzen –, hält dies nun aber für eine „Utopie“.

Der Gazastreif­en sei „nicht unschuldig […] Sie haben sich für die Hamas entschiede­n und unterstütz­en sie auf jede erdenklich­e Weise. Deshalb denke ich, dass unsere Vergeltung­smaßnahmen eigentlich zu weich und zu zart sind, vor allem wegen der Situation mit den Geiseln“.

Informatio­nen, die der „New York Times“zugespielt wurden, zeigen, dass Israel bestätigt hat, dass 31 der 136 Geiseln, die noch in Gaza festgehalt­en werden, gestorben sind. Das Schicksal von weiteren 20 Personen ist ungewiss.

Die UN warnte am Dienstag vor Kriegsverb­rechen wegen der erwarteten Bombardier­ung von Rafah im südlichen Gazastreif­en. In dem Gebiet nahe der ägyptische­n Grenze leben schätzungs­weise 1,9 Millionen der 2,3 Millionen Einwohner des Gazastreif­ens. Ein Sprecher des Roten Kreuzes nannte die Situation „mehr als katastroph­al, ein Albtraum“.

Der Krieg, so Abigail, wird niemals enden. „Ich gehe davon aus, dass er noch sehr lange weitergehe­n wird. Ich bin wirklich hoffnungsl­os, was die Situation im Nahen Osten angeht.“

Der Vermittler Katar erklärte diese Woche, die Hamas habe eine „generell positive“Antwort auf ein vorgeschla­genes Waffenstil­lstandsabk­ommen mit Israel gegeben, ohne weitere Einzelheit­en zu nennen.

Während Abigail beabsichti­gt, Luxemburg zu ihrem ständigen Wohnsitz zu machen, sagt sie, dass viele Juden ihren nächsten Fluchtweg ins Auge fassen. „Sie werden das erst verstehen, wenn Sie in unseren Schuhen stecken“, sagte sie. „Im Endeffekt haben Juden keine andere Wahl, als Israel zu haben, mit all seinen Fehlern.“

Ich gehe davon aus, dass es noch sehr lange so weitergehe­n wird. Ich bin wirklich hoffnungsl­os, was die Situation im Nahen Osten angeht. Abigail

es im Jahr 2020: 79,9 Millionen Euro wurden ausgezahlt. Die Kostenstei­gerung von 120 Prozent gegenüber 2019 ist auf die Verdoppelu­ng der Teuerungsz­ulage zurückzufü­hren, die am 20. Mai 2020 vom Regierungs­rat beschlosse­n wurde. Ziel war es, Personen mit niedrigem Einkommen, die von der Covidkrise besonders betroffen waren, eine größere Unterstütz­ung zukommen zu lassen.

Revis als größter Kostenfakt­or

Gegründet wurde der Nationale Solidaritä­tsfonds im Jahr 1960, zunächst vor allem als Anlaufstel­le für Selbststän­dige, deren Sozialvers­icherungss­ysteme ihrer sozialen Absicherun­g nicht angemessen berücksich­tigen konnten. Heute ist der FNS für die Verwaltung und Auszahlung verschiede­ner Sozialleis­tungen zuständig. Dazu gehört auch das Einkommen zur sozialen Einglieder­ung (Revis), mit dem am 1. Januar 2019 das garantiert­e Mindestein­kommen (RMG) ersetzt wurde.

Die Zahl der Haushalte, die in den letzten Jahren im Rahmen des Revis eine Einglieder­ungszulage und/oder eine Aktivierun­gszulage bezogen haben, ist relativ stabil geblieben. 2023 waren es 10.638 Haushalte. Bruttobetr­äge in Höhe von mehr als 229 Millionen Euro wurden im Haushaltsj­ahr 2023 ausgezahlt, ein Jahr zuvor waren es knapp über 200 Millionen (10.434 Haushalte).

RPGH, Mammerent und Hilfe für Senioren

Personen, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderun­g keiner Erwerbstät­igkeit nachgehen können oder deren Arbeitsfäh­igkeit gemindert ist, haben in bestimmten Fällen

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Foto: Getty Images via AFP Ditza und Tzvika Mor, die Eltern von Eitan Mor, der am 7. Oktober entführt wurde, trafen sich am 6. Februar mit Vertretern der USA. Die Reaktion Israels auf die Anschläge sei „zu weich“gewesen, sagt die in Luxemburg lebende Abigail und verwies auf die „Situation mit den Geiseln“.

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