US-Richter stecken in der Zwickmühle
Nichts lieben Donald Trump und seine Anhänger so sehr, als sich in der Opferrolle zu präsentieren. Auch die Gerichtsverfahren, die der Ex-Präsident in diesem Wahljahr über sich ergehen lassen muss, werden von ihm zu Propaganda-Zwecken umfunktioniert. Viele, die sich vom Staat und der Gesellschaft benachteiligt und bedrängt fühlen, identifizieren sich mit Trump, der nicht müde wird, sein Image als Verfolgter des von antiamerikanischen Kräften durchsetzten Staats- und Justizapparats zu pflegen.
Jüngstes Beispiel ist die Frage, ob Trump wegen seiner Anstiftung zum gewaltsamen Aufruhr am 6. Januar 2021 von der Wahl in diesem Jahr ausgeschlossen werden kann. Der Wortlaut des 14. Zusatzartikels zu amerikanischen Verfassung aus dem Jahr 1866 scheint dafür wie maßgeschneidert zu sein. Niemand, der aufseiten der Südstaaten an dem Sezessionskrieg teilgenommen und damit seinen Amtseid gegenüber den Vereinigten Staaten gebrochen hatte, sollte danach wieder in Machtpositionen der Union gelangen können. Dutzende Historiker und namhafte Juristen haben in den letzten Monaten dargelegt, dass diese Bestimmung eindeutig auf Donald Trump anzuwenden sei.
Doch der Oberste Gerichtshof der USA sieht dies offenbar anders. Die Verfassungsrichter haben einen einigermaßen plausiblen juristischen Ausweg gesucht und offenbar gefunden, damit einzelne Bundesstaaten Trump nicht von den Wahlzetteln streichen dürfen. In der Tat wäre es politisch extrem heikel, einen Präsidentschaftskandidaten auszuschließen, dem Millionen Wähler ihre Stimme geben werden. Es könnte deren ohnehin schon sehr geringes Vertrauen in die Institutionen, insbesondere das Oberste Gericht, vollends zunichtemachen, so die Befürchtung.
Die andere wichtige Entscheidung im Kontext des Sturms auf das Kapitol betrifft die Frage, ob der US-Präsident kraft seines Amtes von jeglicher Strafverfolgung ausgenommen ist. Hier sieht es nicht so gut aus für Trump. Ein Berufungsgericht hat seinen Antrag auf Immunität abgewiesen und tat dies in einem ausführlichen, wohlbegründeten Urteil. Die Richter stellten klar, dass der Präsident, der für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich ist, nicht über dem Gesetz stehen kann. Sollte dieser Fall ebenfalls vor dem Obersten Gericht landen, dürfte es selbst den konservativen Richtern dort extrem schwerfallen, ein zweites Mal Trumps Linie zu folgen. Nicht auszuschließen ist aber auch, dass die Richter den Fall gar nicht erst annehmen wollen.
Aus Sicht des sehr konservativen Obersten Gerichts scheint damit ein akzeptabler Kompromiss hergestellt. Trump würde einerseits gewinnen, andererseits leer ausgehen. Unterdessen hält sich der Ex-Präsident an jene Taktik, die er schon als Immobilienunternehmer in New York einsetzte: abstreiten, attackieren, verzögern. Trump weiß: Jeder Tag, an dem sich die Gerichtsverfahren ergebnislos dahinschleppen, ist ein Gewinn für ihn.
Der Präsident ist für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich und kann nicht über dem Gesetz stehen.
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