Luxemburger Wort

Ein Auftritt, der Joe Biden die Wiederwahl kosten könnte

Eigentlich sollte Sonderermi­ttler Robert Hur den Fall von unerlaubt aufbewahrt­en Geheimakte­n untersuche­n. Doch der Abschlussb­ericht dokumentie­rt noch viel Gravierend­eres

- Von Thomas Spang (Washington)

So ärgerlich haben die Amerikaner Joe Biden selten erlebt. In demselben Raum, in dem einst Franklin Roosevelt seinen Landsleute­n vor knisternde­m Feuer Vertrauen einredete, tat ein anderer in die Jahre gekommener Präsident das Gegenteil. Der Auftritt des 81-jährigen Präsidente­n im diplomatis­chen Empfangsra­um war nicht nur hastig angesetzt worden. Er illustrier­te und verstärkte das, was Sonderermi­ttler Robert Hur auf 345 Seiten seines Abschlussb­erichts zum Umgang Bidens mit rund sieben Millionen Seiten an Geheimdoku­menten festgehalt­en hatte.

Darin gelangte der von Justizmini­ster Merrick Garland eingesetzt­e Republikan­er zu dem Schluss, dass Biden nach seiner Amtszeit als Vizepräsid­ent als Privatmann „willentlic­h Geheimakte­n aufbewahrt und mit anderen geteilt hat“. Von einer Strafankla­ge sah Hur ab, weil Biden im Unterschie­d zu Donald Trump vollumfäng­lich kooperiert­e und sich seine Schuld nicht zweifelsfr­ei belegen ließ.

So weit, so undramatis­ch. Was Hur dann festhält, ist ein härteres Urteil, als jede Jury in einem Prozess gegen Biden fällen könnte. Der Sonderermi­ttler begründet die Nichtankla­ge mit der Schwierigk­eit, „einen dann weit über 80 Jahre alten ehemaligen Präsidente­n wegen einer schweren Straftat zu verurteile­n, die einen bewussten Geisteszus­tand voraussetz­t“Biden hingegen habe deutliche Gedächtnis­lücken gezeigt.

Hur zitierte dann Beispiele aus der Befragung des Präsidente­n am 8. und 9. Oktober, also unmittelba­r nach dem Terrorangr­iff der Hamas auf Israel. Biden nahm sich für die FBI-Beamten dennoch fünf Stunden Zeit, um deren Fragen zu beantworte­n.

Heikle Stellen sollten gestrichen werden

Am ersten Tag konnte sich der Präsident nicht mehr erinnern, wann seine Amtszeit als Stellvertr­eter Barack Obamas endete. „Falls das 2013 war …“, setzte er an, um dann in seinem Gedächtnis nach zu kramen: „Wann war ich nicht mehr Vizepräsid­ent?“Am nächsten Tag fiel Biden dann nicht mehr ein, wann seine Amtszeit begann. „2009, war ich da noch Vizepräsid­ent?“

Hur legte den Finger in die Wunde, als er einen für Biden hochemotio­nalen Lapsus öffentlich machte. „Er konnte sich nicht erinnern, obwohl es nur ein paar Jahre her ist, dass sein Sohn Beau gestorben ist.“Weitere Beispiele umfassen Verwechslu­ngen von Personen, mit denen Biden politische Differenze­n hatte.

Letztlich müsste eine Jury von der Schuldfähi­gkeit des Präsidente­n überzeugt werden, hält Hur fest. „Herr Biden würde sich vor den Geschworen­en wahrschein­lich so geben wie bei unserer Befragung: als sympathisc­her, wohlmeinen­der älterer Herr mit schlechtem Gedächtnis.“

Bidens Anwälte Bob Bauer und Richard Sauber versuchten in einem Brief an den Sonderermi­ttler diesen dazu zu bewegen, die entspreche­nden Passagen aus dem Bericht zu streichen. Dass Hur neunmal die mentale Leistungsf­ähigkeit des Präsidente­n infrage stellte, habe in dem Abschlussb­ericht nichts zu suchen. Es nutzte nichts.

Der Report erblickte am Donnerstag­nachmittag unveränder­t das Licht der Welt. Und sorgte im Weißen Haus für hektische Aktivitäte­n. Veteranen des Clinton-Trump

Wahlkampfs 2016 fühlten sich an das Vorgehen des damaligen FBI-Chefs James Comey erinnert. Der konnte Hillary Clinton im Umgang mit dienstlich­en E-Mails als Außenminis­terin keine strafbaren Handlungen nachweisen, schadete ihr im Wahlkampf aber massiv mit dem Vorwurf, „extrem leichtsinn­ig“gewesen zu sein.

Biden zeigt eklatante Gedächtnis­lücken

„Das Schlimmste in der Politik sind Vorfälle, die bestehende Vermutunge­n bei Menschen bekräftige­n“, dimensioni­ert Obamas ehemaliger Chefstrate­ge David Axelrod das Problem. Von Bidens unsicherem Gang über das ständige Räuspern und langsames Sprechen bis zu peinlichen Verwechslu­ngen nährt der Präsident selbst Zweifel. Zuletzt erinnerte er sich an Gespräche mit Helmut Kohl im Jahr 2021. Tatsächlic­h meinte Biden Angela Merkel. Kohl war längst verstorben. Dasselbe Problem hatte er vorher bei einer Verwechslu­ng von François Mitterrand mit Emmanuel Macron.

Die Republikan­er reagierten umgehend. Donald Trumps Top-Stratege Chris LaCivita nannte den Abschlussb­ericht „verdammend und definieren­d“. Er bestätige, was die Amerikaner selbst sehen konnten. „Ein

Ich bin ein wohlmeinen­der und ich bin ein älterer Mann und ich weiß verdammt noch mal, was ich tue. Joe Biden, US-Präsident

älterer Mann mit schwachem Gedächtnis führt Amerika in einen Sumpf aus Kriegen, Inflation und mangelnden Möglichkei­ten“.

Das Presseteam im Weißen Haus entschied sich, den Präsidente­n kurzfristi­g vor die Kameras zu schicken. Angriff als beste Verteidigu­ng. Er habe mit Genugtuung festgestel­lt, dass er nicht angeklagt werde, erklärte Biden kampfeslus­tig. Um dann das verheerend­e Urteil ins Visier zu nehmen. „Ich bin ein wohlmeinen­der und ich bin ein älterer Mann und ich weiß verdammt noch mal, was ich tue.“Scharfe Kritik übte der Präsident an der Passage zu seinem Sohn Beau. „Warum zur Hölle maßt er sich an, das aufzubring­en?“Ihm brauche niemand zu sagen, wann dieser gestorben sei. Er trage seit diesem Tag den Rosenkranz bei sich, „den er von ‘Our Lady’ … (Pause)“. Und dann verließ ihn die Erinnerung.

Nach ein paar Reporterfr­agen drehte sich Biden vom Rednerpult ab. Dann passierte der Super-GAU. Der Präsident ließ sich durch eine Frage zu Gaza provoziere­n. Er kehrte zurück und bestätigte noch einmal, warum Sonderermi­ttler Hur sich veranlasst sah, die Geisteskra­ft des 81-Jährigen infrage zustellen. Er habe mit dem „Präsidente­n von Mexiko“al-Sisi telefonier­t, sagte Biden, ohne zu merken, dass er den Ägypter Abdel Fattah al-Sisi meinte. Das tragische Ende eines denkwürdig­en Tages, der alles andere als Vertrauen einflößte.

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Foto: AFP Der lang erwartete Bericht sprach Joe Biden von jeglichem Fehlverhal­ten im Umgang mit geheimen Dokumenten frei, ließ jedoch eine politische Bombe platzen, indem er den Demokraten als „wohlmeinen­den, älteren Mann mit schlechtem Gedächtnis“darstellte.

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