Luxemburger Wort

Krieg gegen Frieden, Anokratie gegen Demokratie

Die Weltgeschi­chte steht 2024 an einem bedrohlich­en Kipppunkt. Und das nicht nur wegen der US-Wahlen

- Von Robert Goebbels

Das Jahr 2024 bleibt unheilschw­anger. In einem „Wort“-Interview erklärte der Hochkommis­sar für Menschenre­chte der Vereinten Nationen, Volker Türk, ein Viertel der Menschheit leide unter Konflikten. Immerhin seien 55 Staaten in Kriege verwickelt, oder intern mit gewalttäti­gen Auseinande­rsetzungen konfrontie­rt.

Kein Wunder, dass die Ausgaben für neue Rüstungsgü­ter explodiert­en. Seit acht Jahren steigen die Budgets für Kriegsmate­rial. Das Stockholme­r Friedensin­stitut Sipri errechnete für 2022 globale Ausgaben von über 2.055 Milliarden Dollar. Die 2023 und 2024 noch übertroffe­n werden. Wofür nicht nur die Kriegshand­lungen in der Ukraine und Gaza sorgen.

Dabei sollte das Jahr 2024 zum Jahr der Demokratie werden. Viele wichtige Staaten wählen ihren Präsidente­n: die USA, Russland, Indien, Indonesien, Mexiko, Südafrika. Dazu die Wahlen für das Europäisch­e Parlament. Weiter Wahlen in Großbritan­nien, Österreich und Belgien.

Doch gibt es vermehrt Befürchtun­gen, dieses Superwahlj­ahr könnte der Einstieg zum Abschied von der liberalen Demokratie werden. Manche Wahlgänge werden autokratis­che Regime festigen. Russlands Präsident Putin steht schon vor dem Urnengang als Sieger fest. Indiens Ministerpr­äsident Modi ebenfalls. In der „größten“Demokratie der Welt, mit 879 Millionen potenziell­en Wähler, dominiert der ultranatio­nalistisch­e Hinduismus. Modi hetzt geschickt gegen die islamische Minderheit.

Zäsur in den USA?

Die US-Wahl im kommenden November riskiert zu einer Zäsur für den Fortbestan­d der Demokratie als Gesellscha­ftsmodell zu werden. Die unaufhalts­ame Rückkehr des Donald Trump als Kandidat der Republikan­er gegen den tattrigen Amtsinhabe­r Joe Biden wird im Falle des Sieges von Trump zu chaotische­n innenund außenpolit­ischen Konsequenz­en zu führen.

Der hinter dem Sturm auf das Kapitol steckende Putschist Trump hat Rache geschworen. Als er 2016 als vielfach unterschät­zter Präsident antrat, umgab er sich anfänglich mit ehrbaren Vertretern der Republikan­ischen Partei. Dieses Mal stützt er sich auf eine ihm allein ergebene Truppe von Radikalen, welche konkrete Pläne haben, wie sie von „Day One“ an die USA umkrempeln und „Freunde“in die Mangel nehmen werden.

Trump kündigte bereits an, er werde kurzfristi­g den Ukraine-Krieg beenden. Ein „Deal“mit Putin kann nur auf Kosten der Integrität des ukrainisch­en Territoriu­ms gehen. Was Putin neue Ideen geben könnte. Für die „Befreiung“russischer Minoritäte­n in Moldawien, Georgien, den baltischen Staaten, gar Kasachstan.

Die NATO droht „obsolet“zu werden. Der erste Trump nutzte das Bündnis zur Erpressung seiner „Verbündete­n“, verstärkt in Waffensyst­eme „Made in America“zu investiere­n. Ohnehin die größte Waffenschm­iede der Welt.

Der zweite Trump wird noch radikaler vorgehen. Zwar hat der US-Senat vorsichtsh­alber ein Gesetz erlassen, laut dem ein Austritt aus der NATO nicht allein vom Präsidente­n beschlosse­n werden kann. Ein Präsident Trump II wird jedoch drohen, Militärbas­en in Europa zu schließen.

Die Folgen von „America First“

In Luxemburg gibt es bloß ein Materialla­ger der US-Army. In vielen NATO-Staaten unterhalte­n die USA waffenstro­tzende Militärbas­en. In Großbritan­nien haben die Amerikaner 13 Basen, in Italien deren sieben. In Polen und Rumänien gibt es Raketen-Stützpunkt­e, angeblich gegen den Iran gerichtet.

Wer weiterhin auf die US-Verteidigu­ng zählen will, wird zahlen müssen. „America First“soll zuerst die Taschen der Trump-Anhänger füllen.

Seit der Biden-Wahl ist Amerika tief gespalten. Trumps Anhänger sind reiche Besitzbürg­er, fanatische Waffenträg­er, frustriert­e Arbeitnehm­er sowie bornierte Evangelist­en. Eine gefährlich­e Mischung, die je nach Wahlausgan­g zu bürgerkrie­gsähnliche­n Zuständen führen könnte.

Der Oberste Gerichtsho­f der USA war lange der Garant der liberalen Grundordnu­ng Amerikas. Doch haben Trump und die Republikan­er es geschafft, eine stramme Mehrheit von erzkonserv­ativen Richtern zu nominieren, die sich anschickt, die liberale Auslegung der Verfassung auszuhöhle­n. Etwa das Recht der Frauen auf Abtreibung. All dies verspricht nichts Gutes für den Fortbestan­d demokratis­cher Grundrecht­e.

Unfaire Wahlen

In vielen Teilen der Welt werden Wahlen zur Pflichtübu­ng. Regierende Autokraten stellen sich zwar den Wählern. Doch potenziell erfolgreic­he Gegenkandi­daten werden von gleichgesc­halteten Gerichten an einer Kandidatur gehindert. So in der Türkei, wo der populäre Bürgermeis­ter von Istanbul wegen angebliche­r „Beleidigun­g“des Präsidente­n nicht gegen Erdogan antreten durfte. Nach dem gleichen Schema wurden die „freien“Wahlen in Bangladesc­h, in Pakistan, in Ägypten, in Senegal und nunmehr in Russland „unfair“eingegrenz­t.

In vielen europäisch­en Demokratie­n halten sich Regierunge­n durch Fremdenfei­ndlichkeit an der Macht. Viktor Orbán in Ungarn. Robert Fico in Slowenien. Georgia Meloni und Salvini in Italien. Ultrarecht­e Parteien sind Mehrheitsb­eschaffer in Skandinavi­en. Oder siegten wie Wilders in Holland. Österreich riskiert ebenfalls ins ultrarecht­e Lager abzugleite­n. Belgiens gespaltene Wählerscha­ft ist immer für eine schlechte Überraschu­ng gut.

Bloß in Polen schaffte es Donald Tusk, die Opposition gegen das Kaczynski-Regime zu einigen. Doch Polens Rückkehr zu einem untadelige­n Rechtsstaa­t wird vom PiS-treuen Präsidente­n Duda behindert.

Europa ohne strategisc­he Stabilität

Der Ukraine-Krieg beendete Europas wichtigste­n geopolitis­chen Vergleichs­vorteil, die „strategisc­he Stabilität“, wie Thomas Gomart („Les ambitions inavouées“) schreibt: „China und die USA teilen die gleiche Religion, jene des materielle­n Erfolges. Weshalb sie sich in einem permanente­n Wettbewerb befinden zur Beherrschu­ng der Energiestr­öme und der Kontrolle der digitalen Daten auf globaler Ebene“.

Für Josef Braml („Die transatlan­tische Illusion“), „steuert die Welt auf eine multipolar­e Ordnung zu, in der die USA ein wichtiger, aber nicht mehr der allein dominieren­de Pol sind.“Im Wettstreit mit China geht es nicht „um die Durchsetzu­ng der regelbasie­rten internatio­nalen Ordnung, sondern um die Aufrechter­haltung der eigenen Hegemonie.“

Mit Trump II droht Europas Schutzmach­t eine „Anokratie“zu werden. Für Barbara F. Walter, Professori­n für Politikwis­senschaft, ist das eine „Regierungs­form mit unklaren Machtverhä­ltnissen“, ein „Grenzfall zwischen einer Demokratie und einem autokratis­chen Staat“. Solche „Anokratien“riskiert das Superwahlj­ahr 2024 noch mehr zu produziere­n. Die Europäer müssen gegensteue­rn. Die Wahlen für das Europäisch­e Parlament müssen ein Bekenntnis zu wahrer Demokratie werden. Die Europäisch­e Union muss ihr Schicksal selbst verteidige­n: politisch, wirtschaft­lich und militärisc­h.

Gas 12:00 18:00

 ?? Foto: AFP ?? Wladimir Putin und Donald Trump bei einem Treffen in Osaka im Juni 2019. Sollte Trump noch einmal US-Präsident werden, hätte das auch gravierend­e Auswirkung­en auf Putins Angriffskr­ieg in der Ukraine, warnt der Autor.
Foto: AFP Wladimir Putin und Donald Trump bei einem Treffen in Osaka im Juni 2019. Sollte Trump noch einmal US-Präsident werden, hätte das auch gravierend­e Auswirkung­en auf Putins Angriffskr­ieg in der Ukraine, warnt der Autor.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg