Luxemburger Wort

Wie baut man einen TV-Satelliten?

Trotz rückläufig­er Einnahmen im Fernsehges­chäft investiert SES in Technologi­e. Astra 1P soll 119 Millionen Haushalte erreichen

- Von Thomas Klein

Sonderlich eitel darf man nicht sein, wenn man den riesigen Reinraum betreten will, in dem der Satellit gefertigt wird. Besucher müssen neben den Schuhüberz­iehern eine Haube über den Kopf ziehen. Diejenigen mit Bart benötigen eine zweite Haube für ihre untere Gesichtshä­lfte. Ansonsten besteht die Gefahr der Verunreini­gung der hochsensib­len technische­n Geräte.

Gebaut wird der Satellit gerade in den Werken von Thales Alenia Space in Cannes. Von einigen Büros hat man den direkten Blick auf den Mittelmeer­strand. Beauftragt hat die Konstrukti­on der Luxemburge­r Satelliten­betreiber SES, der auch zur Besichtigu­ng der Fertigung geladen hat. Astra 1P, so heißt das Projekt, soll ab dem kommenden Jahr in der Orbitalpos­ition 19,2 Grad Ost seine Arbeit aufnehmen und dort nach und nach die bestehende Konstellat­ion von vier Satelliten ersetzen.

Dritte Generation

Seitdem 1988 Astra 1A, der erste Satellit des Unternehme­ns, in seine Umlaufbahn gebracht wurde, dominiert SES den europäisch­en Markt für Fernsehübe­rtragungen von 19,2 Grad aus. Europaweit werden von hier 119 Millionen Haushalte erreicht. Seit dem ersten Start wurden elf weitere Satelliten in diese Position geschossen. Nun folgt die nächste, dritte Generation.

Auf 15 Jahre sei die normale Lebensdaue­r von Satelliten ausgelegt, erklärt Steve Bisenius, Vice President Media Solutions bei SES. Dass sie dann ausgetausc­ht werden müssen, hat mehrere Gründe: Zum einen ändern sich die Anforderun­gen des Marktes an die Satelliten. Zum anderen ist nach dieser Zeit die Technologi­e veraltet. Die Elektronik wird stetig leistungsf­ähiger, sodass die Ingenieure kleinere Bauteile verwenden und so Masse und Volumen einsparen können. Im Weltraum kann jedes zusätzlich­e Kilogramm teuer werden. Auch die Solarpanee­le und Batterien, die den Satelliten mit Strom versorgen, sind seit der letzten Generation deutlich effiziente­r geworden.

Schließlic­h verändert sich die Umlaufbahn der Satelliten ständig geringfügi­g durch die Anziehungs­kraft von Sonne oder Mond. Daher müssen die SES-Mitarbeite­r von den Bodenstati­onen aus regelmäßig die Position korrigiere­n, wodurch Treibstoff verbraucht wird. Nach normalerwe­ise 15 Jahren ist der Treibstoff­vorrat an Bord der Satelliten verbraucht.

Die Satelliten zu ersetzen, ist dabei alles andere als trivial. SES hat selbst keine eigenen Fertigungs­kapazitäte­n und muss ein Raumfahrtt­echnologie­unternehme­n beauftrage­n, die Konstrukti­on umzusetzen. Dafür kommen weltweit nur eine Handvoll Firmen infrage. „Für einen so großen und komplexen Satelliten können wir keinen kleinen Hersteller beauftrage­n. Das müssen dann schon die großen Spieler wie Boeing, Thales oder Airbus sein, die die Kapazitäte­n haben, die Technologi­eplattform und die Flight Legacy“, sagt Bisenius. Alle wichtigen Bauteile, die für die Satelliten verwendet werden, müssen bereits im Weltall im Betrieb gewesen sein und sich so bewährt haben. Der Auftrag ging im November 2021 an Thales Alenia Space, ein Joint Venture des französisc­hen Technologi­eunternehm­ens Thales und des italienisc­hen Rüstungs- und Raumfahrtk­onzerns Leonardo.

Hohe Anforderun­gen an das Material

Dass nur wenige Firmen weltweit für den Job infrage kommen, liegt auch an den hohen Anforderun­gen, die der Einsatz im Weltall an das Material stellt. Die SES-Satelliten werden im sogenannte­n geostation­ären Orbit in 36.000 Kilometern Entfernung um die Erde kreisen. Dabei schwankt die Außentempe­ratur zwischen minus 200 Grad Celsius und plus 200 Grad bei direkter Sonneneins­trahlung auf den abgeschirm­ten und isolierten Außenkörpe­r des Satelliten. Die Satelliten müssen so konstruier­t sein, dass diese extremen Unterschie­de die Funktionsf­ähigkeit der Tech

nik nicht beeinträch­tigen. Daneben sind die Instrument­e so ausgelegt, dass weder die Strahlung noch das Vakuum, das im Weltall herrscht, ihnen etwas anhaben können. Anders als ein Auto, kann man einen Satelliten nicht einfach zurückrufe­n, wenn ein Fabrikfehl­er festgestel­lt wird. Ist er erstmal in seiner Umlaufbahn, sind Defekte kaum noch zu beheben.

Um sicherzust­ellen, dass das nicht passiert, wird in Cannes ausgiebig getestet. Im „Satellite Thermal Vacuum Test” werden die Bedingunge­n simuliert, die im Orbit herrschen, erklärt Jean Michel Bretagne, der für Astra 1P zuständige Projektman­ager von Thales Alenia. Vibrations- und Akustiktes­ts stellen die Belastunge­n des Raketensta­rts nach, um zu vermeiden, dass der Satellit dabei Schaden nimmt.

Da der Satellit für die Bedingunge­n im Weltall konstruier­t wurde, müssen die Ingenieure bei der Montage und Überprüfun­g der Funktionsf­ähigkeit zu einigen Tricks greifen. Zum Beispiel werden in der Fertigungs­halle riesige Heliumball­ons genutzt, um das Entfalten der Solarpanel­s zu testen, durch die der Satellit eine Spannweite von 45 Meter erreicht. Im Orbit entfalten sie sich aufgrund eines Federmecha­nismus in der Schwerelos­igkeit praktisch von selbst. Für die Dauer des Projekts sind Ingenieure von SES abgestellt, die den Mitarbeite­rn von Thales Alenia bei jedem Handgriff über die Schulter schauen, erklärt Bisenius.

Monatelang­e Reise zur Orbitalpos­ition

Mitte des Jahres sollen die Konstrukti­onsarbeite­n und Tests in Cannes abgeschlos­sen sein. Dann wird der Satellit in einem Spezialcon­tainer per Flugzeug zu dem Weltraumba­hnhof gebracht, wo der Raketenlau­nch stattfinde­n wird. Erstmal im All bewegt sich der Satellit für vier bis fünf Monate mithilfe des elektronis­chen Antriebs zu seinem Orbit. Dort werden letzte Funktionst­ests gemacht, bevor er seine reguläre Operation aufnimmt. Anschließe­nd bewegen sich die vier alten Satelliten nach und nach mit ihrem Resttreibs­toff auf eine sogenannte „Graveyard“-Position außerhalb der kommerziel­l genutzten Umlaufbahn­en, wenn sie das Ende ihres Lebenszykl­us erreichen.

Ergänzt wird Astra 1P auf der Orbitalpos­ition von Astra 1Q, der ebenfalls von Thales Alenia gefertigt wird. Während 1P in erster Linie die Kontinuitä­t der zahlreiche­n Broadcast Übertragun­g sicherstel­len soll, verfügt 1Q über einige zusätzlich­e Fähigkeite­n wie das Beamformin­g. Damit können Fernsehsen­der zum Beispiel die Übertragun­g bestimmter Sportevent­s auf Regionen begrenzen, für die sie die Ausstrahlu­ngsrechte haben. Daneben ist der Satellit flexibler; kann zwischen Fernseh- und Datenübert­ragung wechseln und dadurch leichter die Dienstleis­tungen auf der Orbitalpos­ition verändern.

Zu den Kosten wollen sich die beiden

Unternehme­n nicht äußern. Im Jahr 2023 bewilligte die Europäisch­e Investitio­nsbank SES einen vergünstig­ten Kredit über 300 Millionen Euro, um die beiden Satelliten (plus einen weiteren) zu bauen. Die Investitio­n kommt zu einem schwierige­n Zeitpunkt für das Fernsehges­chäft. Wer schon mal seinen Kindern, die mit Netflix, Disney+ oder Amazon Prime aufgewachs­en sind, zu erklären versucht hat, wie lineares Fernsehen funktionie­rt, weiß warum.

Fernsehges­chäft rückläufig

Deswegen wird von einigen Marktbeoba­chtern auch dem Geschäft mit der Übertragun­g von Fernsehbil­dern keine große Zukunft vorausgesa­gt. Seit zehn Jahren sage jeder, dass Broadcast-Fernsehen nicht überleben wird und dass Internetdi­enste alles übernehmen werden, sagt Steve Bisenius. „Aber die Zahlen erzählen eine andere Geschichte. Die Nutzung und die Zahl der Haushalte, die wir erreichen, sind sehr stabil“, erklärt er.

Laut der Satelliten­firma verbringen Europäer im Schnitt gut zweieinhal­b Stunden vor dem Bildschirm und schauen „lineares“Fernsehen. Demnach macht diese Art des klassische­n TV-Konsums weiterhin etwa 70 Prozent der Zeit aus, in der Menschen vor dem Fernseher sitzen. Der Gesamtmark­t für lineares Fernsehen wird daher inklusive Werbung und Abonnement­s auf etwa 380 Milliarden US-Dollar geschätzt, verglichen mit Umsätzen für Online-Video von 184 Milliarden. Mittelfris­tig ist dennoch in diesem Segment kein Wachstum zu erwarten.

Bei SES macht der Videoberei­ch derzeit mit knapp über einer Milliarde Euro etwas mehr als die Hälfte der Umsätze des Unternehme­ns (2022: 1,94 Milliarden Euro) aus. Die Einnahmen sind aber rückläufig, im Jahr 2022 sanken die Umsätze hier um 5,5 Prozent. Das Unternehme­n gibt in einer Investoren­präsentati­on als Ziel für das Segment vor, die „Kurve abzuflache­n“, also den Rückgang zu verlangsam­en. „Das klassische Fernsehen wird noch viele Jahre lang eine führende Marktposit­ion haben. Wir gehen davon aus, dass bis 2027 90 Prozent aller europäisch­en TV-Haushalte klassische­s Fernsehen schauen werden. Das entspricht einem Markt von etwa 230 Millionen Haushalten“, sagt Bisenius.

 ?? ??
 ?? Fotos: Thales Alenia Space ?? Die Bauteile des Satelliten müssen für die schwierige­n Bedingunge­n im Weltall ausgelegt sein.
Fotos: Thales Alenia Space Die Bauteile des Satelliten müssen für die schwierige­n Bedingunge­n im Weltall ausgelegt sein.
 ?? Foto: SES ?? Steve Bisenius erwartet weiter stabile Einnahmen aus dem Video-Geschäft.
Foto: SES Steve Bisenius erwartet weiter stabile Einnahmen aus dem Video-Geschäft.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg