Wie baut man einen TV-Satelliten?
Trotz rückläufiger Einnahmen im Fernsehgeschäft investiert SES in Technologie. Astra 1P soll 119 Millionen Haushalte erreichen
Sonderlich eitel darf man nicht sein, wenn man den riesigen Reinraum betreten will, in dem der Satellit gefertigt wird. Besucher müssen neben den Schuhüberziehern eine Haube über den Kopf ziehen. Diejenigen mit Bart benötigen eine zweite Haube für ihre untere Gesichtshälfte. Ansonsten besteht die Gefahr der Verunreinigung der hochsensiblen technischen Geräte.
Gebaut wird der Satellit gerade in den Werken von Thales Alenia Space in Cannes. Von einigen Büros hat man den direkten Blick auf den Mittelmeerstrand. Beauftragt hat die Konstruktion der Luxemburger Satellitenbetreiber SES, der auch zur Besichtigung der Fertigung geladen hat. Astra 1P, so heißt das Projekt, soll ab dem kommenden Jahr in der Orbitalposition 19,2 Grad Ost seine Arbeit aufnehmen und dort nach und nach die bestehende Konstellation von vier Satelliten ersetzen.
Dritte Generation
Seitdem 1988 Astra 1A, der erste Satellit des Unternehmens, in seine Umlaufbahn gebracht wurde, dominiert SES den europäischen Markt für Fernsehübertragungen von 19,2 Grad aus. Europaweit werden von hier 119 Millionen Haushalte erreicht. Seit dem ersten Start wurden elf weitere Satelliten in diese Position geschossen. Nun folgt die nächste, dritte Generation.
Auf 15 Jahre sei die normale Lebensdauer von Satelliten ausgelegt, erklärt Steve Bisenius, Vice President Media Solutions bei SES. Dass sie dann ausgetauscht werden müssen, hat mehrere Gründe: Zum einen ändern sich die Anforderungen des Marktes an die Satelliten. Zum anderen ist nach dieser Zeit die Technologie veraltet. Die Elektronik wird stetig leistungsfähiger, sodass die Ingenieure kleinere Bauteile verwenden und so Masse und Volumen einsparen können. Im Weltraum kann jedes zusätzliche Kilogramm teuer werden. Auch die Solarpaneele und Batterien, die den Satelliten mit Strom versorgen, sind seit der letzten Generation deutlich effizienter geworden.
Schließlich verändert sich die Umlaufbahn der Satelliten ständig geringfügig durch die Anziehungskraft von Sonne oder Mond. Daher müssen die SES-Mitarbeiter von den Bodenstationen aus regelmäßig die Position korrigieren, wodurch Treibstoff verbraucht wird. Nach normalerweise 15 Jahren ist der Treibstoffvorrat an Bord der Satelliten verbraucht.
Die Satelliten zu ersetzen, ist dabei alles andere als trivial. SES hat selbst keine eigenen Fertigungskapazitäten und muss ein Raumfahrttechnologieunternehmen beauftragen, die Konstruktion umzusetzen. Dafür kommen weltweit nur eine Handvoll Firmen infrage. „Für einen so großen und komplexen Satelliten können wir keinen kleinen Hersteller beauftragen. Das müssen dann schon die großen Spieler wie Boeing, Thales oder Airbus sein, die die Kapazitäten haben, die Technologieplattform und die Flight Legacy“, sagt Bisenius. Alle wichtigen Bauteile, die für die Satelliten verwendet werden, müssen bereits im Weltall im Betrieb gewesen sein und sich so bewährt haben. Der Auftrag ging im November 2021 an Thales Alenia Space, ein Joint Venture des französischen Technologieunternehmens Thales und des italienischen Rüstungs- und Raumfahrtkonzerns Leonardo.
Hohe Anforderungen an das Material
Dass nur wenige Firmen weltweit für den Job infrage kommen, liegt auch an den hohen Anforderungen, die der Einsatz im Weltall an das Material stellt. Die SES-Satelliten werden im sogenannten geostationären Orbit in 36.000 Kilometern Entfernung um die Erde kreisen. Dabei schwankt die Außentemperatur zwischen minus 200 Grad Celsius und plus 200 Grad bei direkter Sonneneinstrahlung auf den abgeschirmten und isolierten Außenkörper des Satelliten. Die Satelliten müssen so konstruiert sein, dass diese extremen Unterschiede die Funktionsfähigkeit der Tech
nik nicht beeinträchtigen. Daneben sind die Instrumente so ausgelegt, dass weder die Strahlung noch das Vakuum, das im Weltall herrscht, ihnen etwas anhaben können. Anders als ein Auto, kann man einen Satelliten nicht einfach zurückrufen, wenn ein Fabrikfehler festgestellt wird. Ist er erstmal in seiner Umlaufbahn, sind Defekte kaum noch zu beheben.
Um sicherzustellen, dass das nicht passiert, wird in Cannes ausgiebig getestet. Im „Satellite Thermal Vacuum Test” werden die Bedingungen simuliert, die im Orbit herrschen, erklärt Jean Michel Bretagne, der für Astra 1P zuständige Projektmanager von Thales Alenia. Vibrations- und Akustiktests stellen die Belastungen des Raketenstarts nach, um zu vermeiden, dass der Satellit dabei Schaden nimmt.
Da der Satellit für die Bedingungen im Weltall konstruiert wurde, müssen die Ingenieure bei der Montage und Überprüfung der Funktionsfähigkeit zu einigen Tricks greifen. Zum Beispiel werden in der Fertigungshalle riesige Heliumballons genutzt, um das Entfalten der Solarpanels zu testen, durch die der Satellit eine Spannweite von 45 Meter erreicht. Im Orbit entfalten sie sich aufgrund eines Federmechanismus in der Schwerelosigkeit praktisch von selbst. Für die Dauer des Projekts sind Ingenieure von SES abgestellt, die den Mitarbeitern von Thales Alenia bei jedem Handgriff über die Schulter schauen, erklärt Bisenius.
Monatelange Reise zur Orbitalposition
Mitte des Jahres sollen die Konstruktionsarbeiten und Tests in Cannes abgeschlossen sein. Dann wird der Satellit in einem Spezialcontainer per Flugzeug zu dem Weltraumbahnhof gebracht, wo der Raketenlaunch stattfinden wird. Erstmal im All bewegt sich der Satellit für vier bis fünf Monate mithilfe des elektronischen Antriebs zu seinem Orbit. Dort werden letzte Funktionstests gemacht, bevor er seine reguläre Operation aufnimmt. Anschließend bewegen sich die vier alten Satelliten nach und nach mit ihrem Resttreibstoff auf eine sogenannte „Graveyard“-Position außerhalb der kommerziell genutzten Umlaufbahnen, wenn sie das Ende ihres Lebenszyklus erreichen.
Ergänzt wird Astra 1P auf der Orbitalposition von Astra 1Q, der ebenfalls von Thales Alenia gefertigt wird. Während 1P in erster Linie die Kontinuität der zahlreichen Broadcast Übertragung sicherstellen soll, verfügt 1Q über einige zusätzliche Fähigkeiten wie das Beamforming. Damit können Fernsehsender zum Beispiel die Übertragung bestimmter Sportevents auf Regionen begrenzen, für die sie die Ausstrahlungsrechte haben. Daneben ist der Satellit flexibler; kann zwischen Fernseh- und Datenübertragung wechseln und dadurch leichter die Dienstleistungen auf der Orbitalposition verändern.
Zu den Kosten wollen sich die beiden
Unternehmen nicht äußern. Im Jahr 2023 bewilligte die Europäische Investitionsbank SES einen vergünstigten Kredit über 300 Millionen Euro, um die beiden Satelliten (plus einen weiteren) zu bauen. Die Investition kommt zu einem schwierigen Zeitpunkt für das Fernsehgeschäft. Wer schon mal seinen Kindern, die mit Netflix, Disney+ oder Amazon Prime aufgewachsen sind, zu erklären versucht hat, wie lineares Fernsehen funktioniert, weiß warum.
Fernsehgeschäft rückläufig
Deswegen wird von einigen Marktbeobachtern auch dem Geschäft mit der Übertragung von Fernsehbildern keine große Zukunft vorausgesagt. Seit zehn Jahren sage jeder, dass Broadcast-Fernsehen nicht überleben wird und dass Internetdienste alles übernehmen werden, sagt Steve Bisenius. „Aber die Zahlen erzählen eine andere Geschichte. Die Nutzung und die Zahl der Haushalte, die wir erreichen, sind sehr stabil“, erklärt er.
Laut der Satellitenfirma verbringen Europäer im Schnitt gut zweieinhalb Stunden vor dem Bildschirm und schauen „lineares“Fernsehen. Demnach macht diese Art des klassischen TV-Konsums weiterhin etwa 70 Prozent der Zeit aus, in der Menschen vor dem Fernseher sitzen. Der Gesamtmarkt für lineares Fernsehen wird daher inklusive Werbung und Abonnements auf etwa 380 Milliarden US-Dollar geschätzt, verglichen mit Umsätzen für Online-Video von 184 Milliarden. Mittelfristig ist dennoch in diesem Segment kein Wachstum zu erwarten.
Bei SES macht der Videobereich derzeit mit knapp über einer Milliarde Euro etwas mehr als die Hälfte der Umsätze des Unternehmens (2022: 1,94 Milliarden Euro) aus. Die Einnahmen sind aber rückläufig, im Jahr 2022 sanken die Umsätze hier um 5,5 Prozent. Das Unternehmen gibt in einer Investorenpräsentation als Ziel für das Segment vor, die „Kurve abzuflachen“, also den Rückgang zu verlangsamen. „Das klassische Fernsehen wird noch viele Jahre lang eine führende Marktposition haben. Wir gehen davon aus, dass bis 2027 90 Prozent aller europäischen TV-Haushalte klassisches Fernsehen schauen werden. Das entspricht einem Markt von etwa 230 Millionen Haushalten“, sagt Bisenius.