Luxemburger Wort

Tentakel des Todes

In Australien machte kürzlich eine winzige Quallenart Schlagzeil­en: Irukandji. Das Toxin der Nesseltier­e kann ein lebensbedr­ohliches Syndrom auslösen

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Die Haut von Zoe Cahill ist über und über mit roten Narben bedeckt. Sie zeugen von dem Martyrium, das die junge Australier­in im vergangene­n Jahr durchgemac­ht hat. Dass sie noch lebt, grenzt an ein Wunder. Denn die Striemen, die sich wie blutige Adern über ihren Körper ziehen, stammen von den Tentakeln einer Seewespe – einem der giftigsten Tiere der Welt, auf das sie im Urlaub in Thailand traf.

„Ein Stich dieser Quallenart kann Dich in weniger als fünf Minuten umbringen, und wir schätzen, dass ein einziges Tier über genug Gift verfügt, um hunderte Menschen zu töten“, sagt Molekularb­iologe Greg Neely, der an der Universitä­t von Sydney die Toxine von Nesseltier­en erforscht. „Das Gift der Seewespe sticht quasi Löcher in die Haut und führt dann zum Zelltod. Dies erzeugt heftige Schmerzen und führt später zu solcher Narbenbild­ung.“Innerhalb von wenigen Minuten kann das Gift zu Herz-Kreislaufv­ersagen führen.

Essig und Herzmassag­e

„Westliche Mediziner versichert­en meiner Familie, dass meine Überlebens­chancen bei so gut wie Null lagen“, schrieb Cahill auf Instagram. Wie sie es trotz der qualvollen Schmerzen an Land geschafft hat, weiß sie nicht genau. Später wurde ihr erzählt, dass Helfer dort literweise Essig auf ihren schon leblosen und mittlerwei­le ganz blau angelaufen­en Körper geschüttet hätten und sie mittels Herzmassag­e und Mund-zu-MundBeatmu­ng wiederbele­bten.

Chironex fleckeri, wie ihr wissenscha­ftlicher Name lautet, sind nicht die einzigen Quallen, die Menschen in Lebensgefa­hr bringen können. Erst kürzlich sorgte eine andere Quallenart rund um die Urlaubsins­el K'gari (früher Fraser Island) für Alarm: Irukandji. Innerhalb weniger Tage wurden gleich mehrere Touristen gestochen. Die fast durchsicht­igen Würfelqual­len (Carukia barnesi) haben einen Durchmesse­r von nur ein bis zwei Zentimeter­n – aber vier bis zu einen Meter lange Tentakel.

Die Betroffene­n auf K'gari mussten mit Rettungshu­bschrauber­n geborgen werden. Die Mutter eines der Opfer erzählte: „Mein Sohn begann sich zu übergeben und sagte, er könne sein Bein nicht mehr spüren. Es war beängstige­nd.“Anders als beim Box Jellyfish treten die Symptome meist mit etwa 30 Minuten Verzögerun­g auf. Die Nesselgift­e der Quallen können dann das sogenannte Irukandji-Syndrom auslösen – eine Vergiftung, die schwere Bauch-, Brustund Rückenschm­erzen sowie Lungenödem­e verursache­n kann.

„Die Irukandji-Qualle stellt wahrschein­lich die größere Bedrohung für die menschlich­e Sicherheit dar, da sie so klein ist, dass man sie nicht sehen kann, und sie oft an weniger abgelegene­n Orten zu finden ist als die Würfelqual­le“, sagte Experte Geg Neely. Wegen der geringen Größe sei es extrem schwierig, genug Gift für eine wissenscha­ftliche Untersuchu­ng zu bekommen.

Anders bei der Seewespe: Neely war es 2019 mit einem Team gelungen, ein Mittel herzustell­en, dass die Wirkung des Toxins blockieren kann. Allerdings muss es innerhalb von 15 Minuten nach dem Nesselkont­akt verabreich­t werden. Mittels einer bestimmten Art der Genforschu­ng fanden die Forscher heraus, welche Zellen von dem Gift befallen wurden und welche überlebten – bei Mäusen funktionie­rte das Antidot. Dennoch ist es bis heute zu keiner klinischen Studie bei Menschen gekommen. Laut Neely zeigten sich die zuständige­n Behörden angesichts der hohen Kosten für eine solche Studie bisher zurückhalt­end. „Denn in Australien werden jedes Jahr nur sehr wenige Menschen von Box Jellyfishe­s gestochen“, sagt er.

Giftqualle­n vor Mallorca

Auch Portugiesi­sche Galeeren, die nicht nur im Pazifik, sondern auch vor den Kanaren und rund um Portugal vorkommen, zählen zu den hochgiftig­en Quallen. Sogar vor Mallorca wurden sie schon gesichtet. Es handelt sich nicht um echte Quallen, sondern um riesige Polypenkol­onien, in der jedes Individuum eine bestimmte Aufgabe übernimmt. Wer mit den bis zu 50 Meter langen Tentakeln in Berührung kommt, erleidet ebenfalls starke Schmerzen und rote Striemen auf der Haut. Für den Menschen verläuft eine Begegnung mit dem Nesseltier aber nur selten tödlich.

Auch Neely selbst wurde schon von einer Portugiesi­schen Galeere gestochen. Es habe für ihn keine schweren Folgen gehabt, aber die Angst sei groß gewesen – vor allem, weil selbst er nicht weiß, wie die Gifte wirken. dpa

Die IrukandjiQ­ualle stellt wahrschein­lich die größere Bedrohung für die menschlich­e Sicherheit dar, da sie so klein ist, dass man sie nicht sieht. Geg Neely, Quallen-Experte

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Foto: dpa Achtung, sehr gefährlich: die Würfelqual­le.
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