„Ich glaube an Esch und an die Rue de l’Alzette“
Künftig soll ein Mix aus Gastronomie, Einzelhandel und Freizeitangeboten die Innenstadt beleben. Der Erste Schöffe Pierre-Marc Knaff ist jedenfalls zuversichtlich
Pierre-Marc Knaff gehört nicht zu den Menschen, die Esch als Geisterstadt bezeichnen würden. Das tun Facebook-Nutzer immer dann, wenn wieder einmal über eine Geschäftsschließung in der Escher Innenstadt zu lesen ist. „Esch ist tot“, „früher war die Rue de l’Alzette noch schön“, „heute sind dort nur noch Ramschläden“, „zum Einkaufen nach Esch zu fahren, lohnt sich nicht mehr“: Die Kommentare lassen nicht lange auf sich warten, wenn über den aktuellen – wobei das Thema kein neues Phänomen ist – Leerstand berichtet wird.
Knaff, Erster Schöffe der Stadt Esch und zuständig für Kultur, Hygiene, Chancengleichheit und wirtschaftliche Entwicklung, bedauert, dass die Escher Geschäftswelt in den Medien nicht so gut wegkomme, wie sie es verdiene. Dabei sei die Rue de l’Alzette im Wandel: Wo früher schicke Boutiquen lockten, sollen künftig gastronomische und andere Geschäfte das Stadtzentrum beleben. Dies ist Teil eines Trends zur Revitalisierung von Innenstädten, die seit Jahren unter Leerständen leiden. Die Coronakrise hat diesen Trend verstärkt, da viele Filialen schließen mussten und Konsumenten vermehrt online einkaufen.
Wenn die Menschen also nicht mehr zum Einkaufen in die Stadt kommen, braucht es neue Konzepte, um potenzielle Kunden anzuziehen und so der Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken.
Schwierige Ausgangslage
Aktuell sind 21 von 115 Lokalen in der Escher Innenstadt geschlossen. Doch die Situation ist komplexer, als dass man sie auf eine Zahl reduzieren könnte, wie Pierre-Marc Knaff anhand einer Karte veranschaulicht. Sie ist unterteilt in Zone 1 – das ist die Rue de l’Alzette – und Zone 2 – die Nebenstraßen. Auf der Karte dominieren drei Farben: dunkelblau, rot und hellblau. Bei den beiden dunkelblau markierten Lokalen handele es sich um „sehr komplizierte Fälle“, weil die Eigentümer „keine Anstalten machen, ihre Räume zu vermieten“, sagt Knaff.
Betroffen sind der ehemalige Join-Telefonanbieter auf Nummer 10, der seit etwa drei Jahren geschlossen ist, und eine ehemalige Gelateria in der Nummer 90, die seit fünf Jahren dicht ist. „Die verlangen eine zu hohe Miete, so funktioniert der Markt nicht“, sagt Knaff. Bei einer Monatsmiete von 8.500 Euro könne auch Claire nicht helfen, das Projekt zum Leerstandsmanagement, bei dem die Gemeinde als verlässlicher Partner ein Lokal anmietet und dieses zum gleichen Preis weitervermietet.
Zehn Lokale sind auf der Karte hellblau eingezeichnet. „Diese Läden sind leer, weil sie zum Beispiel nicht den Bauvorschriften entsprechen“, erklärt der Schöffe. Hier seien Sanierungen in den Wohnungen über den Geschäften nötig, damit diese wieder geöffnet werden können. „Das ist mit einem gewissen finanziellen Aufwand verbunden, weshalb manche Besitzer ihre Läden leer zurücklassen.“
Der Leerstand in der Rue de l’Alzette sei daher nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Probleme zurückzuführen: „Wir hatten nie Nachfrageprobleme“, sagt Knaff. „Wir konnten die Nachfrage nur nicht immer bedienen, weil bestimmte Räumlichkeiten nicht auf dem Markt waren.“Weil sie entweder nicht den Vorschriften entsprechen – Stichwort fehlende Notausgänge, feuerfeste Türen – oder renovierungsbedürftig sind.
Zum Beispiel die ehemalige Boucherie Werdel, die im September 2022 nach 61 Jahren ihre Türen schloss: „Wir haben Interessenten, aber kommen da nicht sofort weiter“, erklärt Christian Bettendorff, der sich um die wirtschaftliche Entwicklung des Escher Stadtgebietes kümmert, darunter auch die Förderung des Einzelhandels und die Revitalisierung der Rue de l’Alzette. „Der Metzger hat über seinem Lokal gewohnt und im Laufe der Jahre haben sich die Sicherheitsvorkehrungen geändert. Jetzt ist im Lokal nicht mehr alles konform und das kostet natürlich Geld.“
Um die ehemalige Fournée Luxembourgeoise, die vor drei Wochen geschlossen hat, mache sich Knaff indes keine Sorgen. „Der Besitzer wird dort renovieren und dann kommt da wieder etwas Schönes rein.“Wahrscheinlich eine Brasserie.
Die neun roten Lokale sind auf dem Markt. „Sie sind konform und verfügbar, wir helfen hier, damit sie gefüllt werden können.“So wurde kürzlich im Gemeinderat die Einführung einer Art „Leerstandssteuer“beschlossen, die von den Eigentümern leer stehender Geschäfte zu zahlen ist. „Damit wollen wir künftig ein Zeichen setzen“, sagt Knaff. Nun warte man noch auf Zustimmung aus dem Innenministerium. „Die Geschäfte sind zwar Privateigentum“, erinnert Knaff, „aber so ein Leerstand hat auch einen Impakt auf das Image der Stadt Esch.“Daher wolle man eine Steuer von 20 Prozent der Jahresmiete im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr veranschlagen.
Die Hauptprobleme bei der Vermietung der rot markierten Flächen seien, dass die Geschäfte entweder zu groß, zu klein oder zu teuer seien. Der Gemeinderat hat sich daher vor zwei Wochen für ein weiteres „outil“ausgesprochen: das Konzept der Gestion Locative Commerciale (GLC). „Wir als Gemeinde mieten ein Lokal an und geben es dann für eine niedrigere Miete weiter.“
So werden neue Geschäfte in den ersten drei Jahren von der Gemeinde finanziell unterstützt. In Zahlen ausgedrückt sieht das so aus: Bei einer Monatsmiete zwischen 3.000 und 5.000 Euro zahlt der Pächter im ersten Jahr zwei Drittel, im zweiten Jahr fünf Sechstel und im dritten Jahr die volle Miete. Insgesamt sind in diesem Jahr 125.000 Euro für das GLC vorgesehen.
„In der Rue de l’Alzette wollen wir von den sieben roten Lokalen drei bis vier Lokale auf diese Weise unterstützen“, sagt Knaff. Allerdings müsse die Miete unter dem Marktniveau liegen.
Wir haben Interessenten, aber kommen nicht immer weiter. Christian Bettendorff, Leiter der Abteilung Wirtschaftsförderung
Esch und seine geringe Kaufkraft
„Wir haben nicht mehr die Rue de l’Alzette von früher, mit ihren kleinen Boutiquen, die Kunden auch außerhalb Eschs angezogen haben, weil heute die Kaufkraft eine ganz andere geworden ist“, erklärt PierreMarc Knaff. Eine Studie zur Kaufkraft habe gezeigt, „dass wir hinter Differdingen und Wiltz liegen. Esch war schon immer eine terre d‘accueil, aber nach einer gewissen Zeit ziehen die Menschen dann weiter.“Was die Geschäftsauswahl angeht,
müsse man sich der Bevölkerung anpassen. „Wir haben in Esch eher eine ärmere Bevölkerung.“Ein Laden mit schönen Handtaschen rentiere sich daher nicht. „Diese Klientel geht dann zwar, aber jedes Geschäft braucht eben auch eine kritische Masse“, sagt Knaff.
Was die Escher brauchen, hat ein appell publique gezeigt: Schuhe, Kinderspielzeug, Lederwaren und ein Sportbekleidungsgeschäft, „in dem es auch Badehosen und Badekappen gibt“. Mit Decathlon und dem Internet gebe es jedoch Konkurrenz.
Damit die Straße dennoch ein Ort der Begegnung bleibt, „müssen wir uns etwas einfallen lassen und das darf uns auch etwas kosten“, sagt Knaff. „Düdelingen ist auf dem gleichen Weg.“Gastronomische Angebote und Cafés mit Terrassen sollen künftig die Menschen anziehen, nicht mehr unbedingt die klassischen Geschäfte. Zumindest nicht ausschließlich. Innovative Lokale, Knaff nennt das Saladany, das Kunsthandwerk aus Afrika verkauft, oder auch das gerade eröffnete Fitnessstudio Club 23, die ein junges, kreatives Publikum anziehen, seien statt Ketten gefragt. „Und zwei, drei Drupis mehr könnte ich mir auch vorstellen“, sagt Knaff über die erfolgreiche Weinbar. In naher Zukunft solle ein Mix aus Gastronomie, Einzelhandel und Freizeitangeboten die Innenstadt wiederbeleben.
Bauarbeiten in der Fußgängerzone auf 2026 verschoben
Um den künftigen Geschäftseröffnungen in der Rue de l’Alzette etwas mehr Zeit zu geben, sich zu etablieren, werde das geplante Facelifting der Einkaufsstraße auf 2026 verschoben. „Wir werden mit den Bauarbeiten zunächst im Bereich um die Place des Remparts beginnen.“Hier soll der Parkplatz einem begrünten Platz weichen. Um die angespannte Parkplatzsituation nicht noch weiter zu verschärfen, werden ab
: Wir hoffen auf den Aufschwung ab 2025 Pierre-Marc Knaff, Erster Schöffe der Stadt Esch
April die 100 von Luxcontrol belegten Parkplätze im Parkhaus unter dem Brillplatz abgezogen. Die fehlenden Parkplätze werden somit neben dem Cactus kompensiert. Auch das Parkhaus neben dem Polizeigebäude im Boulevard John Fitzgerald Kennedy soll erweitert werden, indem die angrenzende ehemalige Markthalle mit Parkplätzen ausgestattet werden soll.
„Momentan ist die Situation sehr schwierig“, gibt der Schöffe zu. „Aber ich glaube an Esch und an die Rue de l‘Alzette und bin überzeugt, dass wir die roten Flächen wegbekommen. Wir hoffen auf den Aufschwung ab 2025.“Klar ist aber auch: „Wenn wir vor 20 Jahren, als die Immobilien noch günstiger waren, mehr aufgepasst hätten und weitsichtiger gewesen wären, sähe die Lage heute wahrscheinlich besser aus.“Aber mit dieser Erkenntnis ist Esch sicher nicht allein.