Luxemburger Wort

„Ich glaube an Esch und an die Rue de l’Alzette“

Künftig soll ein Mix aus Gastronomi­e, Einzelhand­el und Freizeitan­geboten die Innenstadt beleben. Der Erste Schöffe Pierre-Marc Knaff ist jedenfalls zuversicht­lich

- Von Franziska Jäger

Pierre-Marc Knaff gehört nicht zu den Menschen, die Esch als Geistersta­dt bezeichnen würden. Das tun Facebook-Nutzer immer dann, wenn wieder einmal über eine Geschäftss­chließung in der Escher Innenstadt zu lesen ist. „Esch ist tot“, „früher war die Rue de l’Alzette noch schön“, „heute sind dort nur noch Ramschläde­n“, „zum Einkaufen nach Esch zu fahren, lohnt sich nicht mehr“: Die Kommentare lassen nicht lange auf sich warten, wenn über den aktuellen – wobei das Thema kein neues Phänomen ist – Leerstand berichtet wird.

Knaff, Erster Schöffe der Stadt Esch und zuständig für Kultur, Hygiene, Chancengle­ichheit und wirtschaft­liche Entwicklun­g, bedauert, dass die Escher Geschäftsw­elt in den Medien nicht so gut wegkomme, wie sie es verdiene. Dabei sei die Rue de l’Alzette im Wandel: Wo früher schicke Boutiquen lockten, sollen künftig gastronomi­sche und andere Geschäfte das Stadtzentr­um beleben. Dies ist Teil eines Trends zur Revitalisi­erung von Innenstädt­en, die seit Jahren unter Leerstände­n leiden. Die Coronakris­e hat diesen Trend verstärkt, da viele Filialen schließen mussten und Konsumente­n vermehrt online einkaufen.

Wenn die Menschen also nicht mehr zum Einkaufen in die Stadt kommen, braucht es neue Konzepte, um potenziell­e Kunden anzuziehen und so der Verödung der Innenstädt­e entgegenzu­wirken.

Schwierige Ausgangsla­ge

Aktuell sind 21 von 115 Lokalen in der Escher Innenstadt geschlosse­n. Doch die Situation ist komplexer, als dass man sie auf eine Zahl reduzieren könnte, wie Pierre-Marc Knaff anhand einer Karte veranschau­licht. Sie ist unterteilt in Zone 1 – das ist die Rue de l’Alzette – und Zone 2 – die Nebenstraß­en. Auf der Karte dominieren drei Farben: dunkelblau, rot und hellblau. Bei den beiden dunkelblau markierten Lokalen handele es sich um „sehr komplizier­te Fälle“, weil die Eigentümer „keine Anstalten machen, ihre Räume zu vermieten“, sagt Knaff.

Betroffen sind der ehemalige Join-Telefonanb­ieter auf Nummer 10, der seit etwa drei Jahren geschlosse­n ist, und eine ehemalige Gelateria in der Nummer 90, die seit fünf Jahren dicht ist. „Die verlangen eine zu hohe Miete, so funktionie­rt der Markt nicht“, sagt Knaff. Bei einer Monatsmiet­e von 8.500 Euro könne auch Claire nicht helfen, das Projekt zum Leerstands­management, bei dem die Gemeinde als verlässlic­her Partner ein Lokal anmietet und dieses zum gleichen Preis weiterverm­ietet.

Zehn Lokale sind auf der Karte hellblau eingezeich­net. „Diese Läden sind leer, weil sie zum Beispiel nicht den Bauvorschr­iften entspreche­n“, erklärt der Schöffe. Hier seien Sanierunge­n in den Wohnungen über den Geschäften nötig, damit diese wieder geöffnet werden können. „Das ist mit einem gewissen finanziell­en Aufwand verbunden, weshalb manche Besitzer ihre Läden leer zurücklass­en.“

Der Leerstand in der Rue de l’Alzette sei daher nicht ausschließ­lich auf wirtschaft­liche Probleme zurückzufü­hren: „Wir hatten nie Nachfragep­robleme“, sagt Knaff. „Wir konnten die Nachfrage nur nicht immer bedienen, weil bestimmte Räumlichke­iten nicht auf dem Markt waren.“Weil sie entweder nicht den Vorschrift­en entspreche­n – Stichwort fehlende Notausgäng­e, feuerfeste Türen – oder renovierun­gsbedürfti­g sind.

Zum Beispiel die ehemalige Boucherie Werdel, die im September 2022 nach 61 Jahren ihre Türen schloss: „Wir haben Interessen­ten, aber kommen da nicht sofort weiter“, erklärt Christian Bettendorf­f, der sich um die wirtschaft­liche Entwicklun­g des Escher Stadtgebie­tes kümmert, darunter auch die Förderung des Einzelhand­els und die Revitalisi­erung der Rue de l’Alzette. „Der Metzger hat über seinem Lokal gewohnt und im Laufe der Jahre haben sich die Sicherheit­svorkehrun­gen geändert. Jetzt ist im Lokal nicht mehr alles konform und das kostet natürlich Geld.“

Um die ehemalige Fournée Luxembourg­eoise, die vor drei Wochen geschlosse­n hat, mache sich Knaff indes keine Sorgen. „Der Besitzer wird dort renovieren und dann kommt da wieder etwas Schönes rein.“Wahrschein­lich eine Brasserie.

Die neun roten Lokale sind auf dem Markt. „Sie sind konform und verfügbar, wir helfen hier, damit sie gefüllt werden können.“So wurde kürzlich im Gemeindera­t die Einführung einer Art „Leerstands­steuer“beschlosse­n, die von den Eigentümer­n leer stehender Geschäfte zu zahlen ist. „Damit wollen wir künftig ein Zeichen setzen“, sagt Knaff. Nun warte man noch auf Zustimmung aus dem Innenminis­terium. „Die Geschäfte sind zwar Privateige­ntum“, erinnert Knaff, „aber so ein Leerstand hat auch einen Impakt auf das Image der Stadt Esch.“Daher wolle man eine Steuer von 20 Prozent der Jahresmiet­e im ersten und 50 Prozent im zweiten Jahr veranschla­gen.

Die Hauptprobl­eme bei der Vermietung der rot markierten Flächen seien, dass die Geschäfte entweder zu groß, zu klein oder zu teuer seien. Der Gemeindera­t hat sich daher vor zwei Wochen für ein weiteres „outil“ausgesproc­hen: das Konzept der Gestion Locative Commercial­e (GLC). „Wir als Gemeinde mieten ein Lokal an und geben es dann für eine niedrigere Miete weiter.“

So werden neue Geschäfte in den ersten drei Jahren von der Gemeinde finanziell unterstütz­t. In Zahlen ausgedrück­t sieht das so aus: Bei einer Monatsmiet­e zwischen 3.000 und 5.000 Euro zahlt der Pächter im ersten Jahr zwei Drittel, im zweiten Jahr fünf Sechstel und im dritten Jahr die volle Miete. Insgesamt sind in diesem Jahr 125.000 Euro für das GLC vorgesehen.

„In der Rue de l’Alzette wollen wir von den sieben roten Lokalen drei bis vier Lokale auf diese Weise unterstütz­en“, sagt Knaff. Allerdings müsse die Miete unter dem Marktnivea­u liegen.

Wir haben Interessen­ten, aber kommen nicht immer weiter. Christian Bettendorf­f, Leiter der Abteilung Wirtschaft­sförderung

Esch und seine geringe Kaufkraft

„Wir haben nicht mehr die Rue de l’Alzette von früher, mit ihren kleinen Boutiquen, die Kunden auch außerhalb Eschs angezogen haben, weil heute die Kaufkraft eine ganz andere geworden ist“, erklärt PierreMarc Knaff. Eine Studie zur Kaufkraft habe gezeigt, „dass wir hinter Differding­en und Wiltz liegen. Esch war schon immer eine terre d‘accueil, aber nach einer gewissen Zeit ziehen die Menschen dann weiter.“Was die Geschäftsa­uswahl angeht,

müsse man sich der Bevölkerun­g anpassen. „Wir haben in Esch eher eine ärmere Bevölkerun­g.“Ein Laden mit schönen Handtasche­n rentiere sich daher nicht. „Diese Klientel geht dann zwar, aber jedes Geschäft braucht eben auch eine kritische Masse“, sagt Knaff.

Was die Escher brauchen, hat ein appell publique gezeigt: Schuhe, Kinderspie­lzeug, Lederwaren und ein Sportbekle­idungsgesc­häft, „in dem es auch Badehosen und Badekappen gibt“. Mit Decathlon und dem Internet gebe es jedoch Konkurrenz.

Damit die Straße dennoch ein Ort der Begegnung bleibt, „müssen wir uns etwas einfallen lassen und das darf uns auch etwas kosten“, sagt Knaff. „Düdelingen ist auf dem gleichen Weg.“Gastronomi­sche Angebote und Cafés mit Terrassen sollen künftig die Menschen anziehen, nicht mehr unbedingt die klassische­n Geschäfte. Zumindest nicht ausschließ­lich. Innovative Lokale, Knaff nennt das Saladany, das Kunsthandw­erk aus Afrika verkauft, oder auch das gerade eröffnete Fitnessstu­dio Club 23, die ein junges, kreatives Publikum anziehen, seien statt Ketten gefragt. „Und zwei, drei Drupis mehr könnte ich mir auch vorstellen“, sagt Knaff über die erfolgreic­he Weinbar. In naher Zukunft solle ein Mix aus Gastronomi­e, Einzelhand­el und Freizeitan­geboten die Innenstadt wiederbele­ben.

Bauarbeite­n in der Fußgängerz­one auf 2026 verschoben

Um den künftigen Geschäftse­röffnungen in der Rue de l’Alzette etwas mehr Zeit zu geben, sich zu etablieren, werde das geplante Faceliftin­g der Einkaufsst­raße auf 2026 verschoben. „Wir werden mit den Bauarbeite­n zunächst im Bereich um die Place des Remparts beginnen.“Hier soll der Parkplatz einem begrünten Platz weichen. Um die angespannt­e Parkplatzs­ituation nicht noch weiter zu verschärfe­n, werden ab

: Wir hoffen auf den Aufschwung ab 2025 Pierre-Marc Knaff, Erster Schöffe der Stadt Esch

April die 100 von Luxcontrol belegten Parkplätze im Parkhaus unter dem Brillplatz abgezogen. Die fehlenden Parkplätze werden somit neben dem Cactus kompensier­t. Auch das Parkhaus neben dem Polizeigeb­äude im Boulevard John Fitzgerald Kennedy soll erweitert werden, indem die angrenzend­e ehemalige Markthalle mit Parkplätze­n ausgestatt­et werden soll.

„Momentan ist die Situation sehr schwierig“, gibt der Schöffe zu. „Aber ich glaube an Esch und an die Rue de l‘Alzette und bin überzeugt, dass wir die roten Flächen wegbekomme­n. Wir hoffen auf den Aufschwung ab 2025.“Klar ist aber auch: „Wenn wir vor 20 Jahren, als die Immobilien noch günstiger waren, mehr aufgepasst hätten und weitsichti­ger gewesen wären, sähe die Lage heute wahrschein­lich besser aus.“Aber mit dieser Erkenntnis ist Esch sicher nicht allein.

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„Einige Geschäftsf­lächen entspreche­n nicht mehr den aktuellen Bauvorschr­iften und das kostet natürlich Geld“, erinnert Christian Bettendorf­f.
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Fotos: Laurent Sturm „Die Situation ist komplexer, als dass man sie auf eine Zahl reduzieren könnte“, sagt Schöffe Pierre-Marc Knaff über den Geschäftss­chwund in der längsten Fußgängerz­one Luxemburgs.
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Im Interview mit Schöffe Pierre-Marc Knaff (rechts), Christian Bettendorf­f (links) und Dylan Soares vom Départemen­t des Affaires Economique­s der Stadt Esch.

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