„Aufgrund des Klimawandels wissen wir noch nicht, wo wir uns im Weinbau hinbewegen“
Seit einem Jahr ist André Mehlen der Generaldirektor der Domaines Vinsmoselle. Im Interview erklärt der Naturwissenschaftler, warum sich die Genossenschaft neu aufstellen muss
Die Genossenschaft Domaines Vinsmoselle hat seit Anfang Februar 2023 mit André Mehlen einen neuen Generaldirektor. „Ich wollte nochmals eine neue Herausforderung angehen. Domaines Vinsmoselle als größter Luxemburger Wein- und Crémantproduzent neu für die Zukunft aufzustellen ist eine hochinteressante und reizvolle Aufgabe“, sagt der promovierte Naturwissenschaftler.
André Mehlen arbeitete rund 15 Jahren als Abteilungsleiter für geschützte Ursprungsbezeichnungen (AOP) und Weinkontrolleur am Institut viti-vinicole. Dort war er auch an der Ausarbeitung der neuen Entwicklungsstrategie für luxemburgische Weine beteiligt. Auf europäischer Ebene war er der Vertreter des Weinbauministeriums in der Expertengruppe für Weinbau und Weinwirtschaft.
Klar ist: Luxemburgs Winzer sehen sich einem harten Wettbewerb gegenüber. „Auch in meiner früheren Tätigkeit konnte ich die Herausforderungen insbesondere wirtschaftlicher und klimatischer Art erfassen, denen sich die Welt des Weinbaus gegenübersieht.“
Sie beginnen aber bei den Kunden. „Der klassische Luxemburger Weintrinker, der gerne seinen Elbling oder Rivaner im Bistro getrunken hat, stirbt aus“, so Mehlen. Es gebe einen Schlag neuer Konsumenten, die man überzeugen muss. „Junge Leute trinken zwar weniger Wein, dafür aber einen von besserer Qualität“, sagt Mehlen. Waren es 2007 noch 17 Liter Rebsaft, die in Luxemburg pro Kopf und Jahr konsumiert wurden, ist man jetzt bei rund neun Litern Weinkonsum. Dass weniger getrunken wird, habe sicherlich auch mit dem vermittelten Gesundheitsbild des Alkohols und dessen Folgen zu tun, sagt Mehlen mit dem Verweis auf Irland. Zukünftig soll auf der Insel auf Verpackungen mit alkoholischen Getränken unter anderem über Risiken von Leber- und Krebserkrankungen informiert
Der klassische Luxemburger Weintrinker, der gerne seinen Elbling oder Rivaner im Bistro getrunken hat, stirbt aus. André Mehlen, Generaldirektor der Domaines Vinsmoselle
werden. Außerdem sollen Herstellern verpflichtet werden, vor den Folgen von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft zu warnen – ähnlich wie bei Zigarettenpackungen.
In dieser aktuellen Situation ist Mehlen daher der Ansicht, dass Vinsmoselle überlegen muss, ob seine zahlreichen Produktlinien noch Sinn machen oder ob es nicht besser wäre, einige von ihnen auslaufen zu lassen. „Die Domaines Vinsmoselle könnten sicherlich mit den anderen Luxemburger Produzenten in Sachen Qualität konkurrieren“, so der neue Direktor, „aber High-End allein würde für Vinsmoselle keinen Sinn machen, da die Produktion zu groß ist.“
Ein Dutzend Lagenbezeichnungen in der Qualitätsstufe „Grand Premier Cru“für eine Rebsorte laufen zu lassen, sei unpassend. Daher werde man sich in Zukunft nun auf zwei Großlagen konzentrieren.
„Neues probieren!“
Für Mehlen stand daher bereits zu Beginn seiner Tätigkeit als Generaldirektor fest, dass die gesamte Produktlinie überarbeitet werden muss, denn „es muss klar sein, wofür Domaines Vinsmoselle steht.“
Neuem dürfe man sich nicht verschließen. So hat Vinsmoselle vor geraumer Zeit zwei neue alkoholfreie Weine auf den Markt gebracht, für die es eine wachsende Nachfrage gebe, wie Mehlen unterstreicht.
Damit verbunden ist auch der Aspekt der Umstrukturierung der Genossenschaft. „Sechs Stätten zu unterhalten ist schon sehr viel“, sagt Mehlen. Auch hier seien sinnvolle Maßnahmen zu prüfen, wobei dem Direktor bewusst ist, dass die Umstrukturierung der großen Genossenschaft nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist. Mehlen, fügt jedoch hinzu, dass man auch mit einer so großen Struktur neue Dinge ausprobieren kann – und sogar muss – ohne ein großes Risiko einzugehen.
Auch müsse man vor Augen haben, dass „wir Winzer verlieren“. Grund hierfür seien immer schärfere Auflagen oder auch die Wirtschaftslage. Oft stehen keine Nachfolger mehr in den Startlöchern bereit, und die Betriebe müssen dann schließen. Wenn plötzlich 100 Hektar Anbaufläche nicht mehr vorhanden wären, sei dies auch eine genossenschaftliche Herausforderung.
Nachhaltigkeitskonzept ausgearbeitet
Eine solche Neuaufstellung der Genossenschaft präsentierte Domaines Vinsmoselle bereits mit dem Nachhaltigkeitskonzept „Fair’n Green“. „Diese Initiative reflektiert unser Engagement für Umweltschutz und soziale Verantwortung“, sagt Mehlen. Die Winzergenossenschaft habe erkannt, dass Nachhaltigkeit nicht nur ein Trend ist, sondern eine grundlegende Verantwortung, um die Weinproduktion auf lange Sicht zu sichern. Das Nachhaltigkeitskonzept der Genossenschaft umfasse verschiedene Aspekte, darunter umweltfreundliche Anbaumethoden, ressourcenschonende Produktionstechniken und soziale Maßnahmen, die das
Wohlbefinden der Gemeinschaft fördern.
Warum nun dieser extreme Nachhaltigkeitsgedanke? „Die Entscheidung basiert auf dem Verständnis der Genossenschaft für die aktuellen Herausforderungen, denen die Weinindustrie und die Umwelt gegenüberstehen“, so Mehlen. Durch den Einsatz innovativer Methoden im Weinbau, wie etwa den minimalen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die Förderung der Biodiversität und den Einsatz erneuerbarer Energien, strebe die Genossenschaft danach, ihre ökologischen Auswirkungen zu minimieren.
So soll den Kunden ein Wein angeboten werden können, der nicht nur durch Qualität und Geschmack überzeugt, „sondern auch durch einen nachhaltigen Produktionsprozess“, wodurch alle einen Beitrag zu einer umweltfreundlichen und sozial verantwortlichen Zukunft leisten. „Als Zeichen, dass Nachhaltigkeit und Weinbau Hand in Hand gehen können. Denn wir sind überzeugt, dass dies in die Zukunft nicht nur positive Auswirkungen auf die Umwelt und die lokale Gemeinschaft haben wird, sondern auch langfristig wirtschaftlichen Erfolg und Kundenloyalität fördern wird.“
Eine Frage der Kosten
Auch der Weinsektor hat aktuell mit der Inflation zu kämpfen, vor allem durch die steigenden Produktionskosten, beispielsweise für Glas oder Korken. Man müsse daher nach Möglichkeiten suchen, Kosten zu minimieren, sowohl in der Produktion als auch an den drei Produktionsstandorten der Genossenschaft, so der neue Direktor.
Mit Blick auf die Verschärfung der Pflanzenschutzregeln durch die Europäische Union sagt Mehlen, er hoffe, dass die EU noch nicht ihr letztes Wort gesprochen habe.
Hier spielt auch der Klimawandel mit – „und der ist für die luxemburgischen Winzer eine große Unbekannte, denn wir wissen noch nicht, wohin wir uns bewegen“, resümiert Mehlen.
Ein Temperaturanstieg ist im Weinbau bereits deutlich zu spüren, wie es vom Weinbauinstitut IVV in Remich heißt. Die Vegetationsperiode der Pflanzen als auch der Austrieb der Reben und die Rebblüte verlagern sich tendenziell früher ins Jahr. Mitte Oktober war 2023 die Lese an Mosel, Saar und Ruwer größtenteils beendet, während vor 20 Jahren kaum eine Rieslingtraube vor diesem Zeitpunkt geerntet wurde. Dies bedarf einer gewissen Einordnung: Die steigenden Temperaturen sind für das Anbaugebiet Fluch und Segen zugleich, momentan wohl eher Segen. Denn nun erreichen auch Winzer an kühlen Lagen höhere Mostgewichte und damit gehaltvollere Weine. Manche gehen sogar schon absichtlich früher lesen, um den schlanken, säurebetonten und kühlen Charakter ihrer Weine zu erhalten.
Besonders problematisch sind nach Mehlen große Wetterextreme wie lange Dürreperioden im Wechsel mit starken Regenfällen, aber auch plötzliche Temperaturabfälle. All dies mache es schwierig vorherzusagen, welche Rebsorten am besten zu pflanzen seien. „Wir wissen noch nicht, wo wir uns im Weinbau hinbewegen“, so Mehlen. Die Temperaturschwankungen seien bereits beträchtlich, was dazu führe, dass sich der Charakter der Weißweine verändere, während die Herstellung von Rotwein in Luxemburg zunehmend als Option von einigen Winzern herangezogen werde. „Wobei man immer noch resümieren muss, dass Luxemburg ein Weißweinanbaugebiet ist“, sagt Mehlen.