Die Berlin-Nachwahl ist ein „deutliches Signal“an die Ampel
Die Wiederholungswahl zeigt der Regierung, wie schlecht die Menschen auf sie zu sprechen sind
Auf den ersten Blick ist gar nichts passiert. Die SPD bleibt stärkste Partei, 22,2 Prozent, die Grünen rangieren knapp dahinter, 22 glatt, die FDP kommt auf 8,1; alle drei verlieren, aber mäßig: SPD minus 1,2, FPD minus 0,9, Grüne minus 0,3.
So kann man das Ergebnis der wiederholten Bundestagswahl in Berlin lesen – wenn man will. Dann haben, umgekehrt, CDU und AfD leicht zugelegt, plus 1,3 und plus 0,9, macht 17,2 beziehungsweise 9,4 Prozent. Ach ja, und die Linke kommt auf 11,5 – plus 0,1.
Wenn man indes statt des nun wohl endgültigen Gesamtberliner Ergebnisses aber das nimmt für das Fünftel der Wahllokale, in denen am Sonntag die Abstimmung vom September 2021 tatsächlich wiederholt worden ist: Dann klingt es für die seit gut zwei Jahren regierende Ampel-Koalition nach dem, was in Berlin kurz und knackig „’ne Klatsche“heißt.
Liberale auf Konfrontationskurs
Dann nämlich ist die SPD um 7,8 Prozent abgerauscht, die FPD um 5,8 – nur die Grünen haben zugelegt, um ein halbes Prozent. In der Opposition hingegen sind die Pluswerte fett: 6,9 für die CDU, 5,6 für die AfD, und selbst die nach der Abspaltung der Wagenknecht-Partei gerade schwer kränkliche Linke legt 0,1 zu.
Nur logisch, dass Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) das Ergebnis „ein deutliches Signal“nennt. Einerseits an die Ampel, die „endlich einen gemeinsamen, einen einheitlichen Weg finden muss, um das Vertrauen der Menschen zurückzubekommen“. Und andererseits an deren obersten Chef, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dessen hohe Kunstfertigkeit im Beschweigen der Unzufriedenheit der Regierten. „Die Sprachlosigkeit hilft nicht weiter“, ätzt Wegner am Mittag im Beisein des grünen Vizekanzlers Robert Habeck; am Morgen hat er per Frühstücks-TV über die Ampler gesagt: „Das Beste für unser Land wäre, wenn sie möglichst schnell aufhören würden.“
So weit – also zur vorgezogenen Bundestagswahl – gehen Scholz’ Genossinnen und Genossen aus der Landes-SPD nicht; aber ihr Groll wird schon laut. „Vor allem der Frust über die Bundesregierung und Olaf Scholz“sei schuld am Wahlergebnis, befindet Landesvorstandsmitglied Kevin Hönecke. Der mit seiner Direktkandidatur im Bezirk Pankow erneut gescheiterte Ex-Abgeordnete Klaus Mindrup sagt gar, beim Wahlkampf habe ihm die Politik der Ampel wie „ein Orkan ins Gesicht“geblasen.
Was die Abgeordneten angeht, aber hat es die FDP noch ärger erwischt. Sie verliert einen Sitz komplett, der Bundestag hat nun also 735 Mitglieder. Grüne, SPD und Linke müssen je ein Berliner Mandat an ein anderes Bundesland abtreten; beispielsweise fliegt die grüne Landeschefin Nina Stahr aus dem Parlament. Schuld daran ist die mäßige Wahlbeteiligung von 51 Prozent. Die wiederum frustriert den neuen Berliner Wahlleiter Stephan Bröchler; sonst aber ist diesmal so gut wie alles glattgegangen.
Aus der FDP dringen am Montagmorgen Töne, die nach dem Gegenteil von mehr Gemeinsamkeit klingen. Finanzminister und Parteichef Christian Lindner fordert in „Bild“eine „Wirtschaftswende“– klare Spitze gegen Habeck, den zuständigen Minister. Und der stellvertretende Parteichef Wolfgang Kubicki schreibt in der „FAZ“einen Gastbeitrag mit dem Titel „Nicht noch einmal mit den Grünen regieren“.
Über all dem geht die sonst so schlagzeilenbeherrschende AfD so unter, dass sie versucht, mit Richterschelte auf sich aufmerksam zu machen: Das Bundesverfassungsgericht habe den Fehler gemacht, nicht ganz Berlin erneut wählen zu lassen.
Dabei ist die Rechtsaußenpartei die einzige, die trotz gesunkener Wahlbeteiligung an absoluten Wählerstimmen zulegt. Auch die wegen Staatsstreichsverdachts inhaftierte Ex-Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Dass sie wegen Mitgliedschaft in einer rechtsterroristischen Vereinigung angeklagt ist? Fast tausend Wählerinnen und Wählern ist’s egal.