Luxemburger Wort

Finnland verabschie­det sich als politische­r Brückenbau­er zu Russland

Lange verstand sich das nordeuropä­ische Land als Bindeglied zwischen Ost und West. Doch mit dem russischen Angriffskr­ieg folgte die Kehrtwende – ein politische­r Drahtseila­kt

- Von Helmut Steuer Abkehr von Russland

Finnlands neuer Präsident heißt Alexander Stubb. Der ehemalige konservati­ve Regierungs­chef und Außenminis­ter setzte sich in der Stichwahl knapp mit 51,6 Prozent gegen den Mitgründer der finnischen Grünen Pekka Haavisto durch, der auf 48,4 Prozent der Stimmen kam. „Es ist die größte Ehre in meinem Leben und die größte Aufgabe, die ein Mensch bekommen kann“, sagte ein erleichter­ter Stubb nach Auszählung aller Stimmen. „Ich glaube, dass Finnland einen guten Präsidente­n bekommen hat“, gratuliert­e Haavisto seinem Konkurrent­en. Wie harmonisch die beiden Kandidaten miteinande­r umgehen, zeigte sich auf der Wahlparty des Verlierers Haavisto: Stubb erschien dort und bedankte sich vor den Haavisto-Anhängern für einen fairen Wahlkampf.

Die Stichwahl war notwendig geworden, da keiner der ursprüngli­ch neun Kandidaten im ersten Wahlkampf die absolute Mehrheit erreichte. Die beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, mussten deshalb in eine Stichwahl. Der 55-jährige Stubb kann auf eine lange politische Karriere zurückblic­ken. Er sammelte Erfahrunge­n zunächst als konservati­ver EU-Parlamenta­rier. Später wurde er Außen- und Finanzmini­sterminist­er und war elf Monate lang auch Ministerpr­äsident.

Sein neues Amt wird Stubb am 1. März als Nachfolger des sehr beliebten Sauli Niinistö antreten. Niinistö durfte nach zwei jeweils sechsjähri­gen Amtszeiten nicht noch einmal kandidiere­n.

Außenpolit­ische Themen dominierte­n naturgemäß den gesamten Wahlkampf. Anders als in vielen anderen Ländern ist der finnische Präsident verantwort­lich für die Außen- und Sicherheit­spolitik und Oberbefehl­shaber der Streitkräf­te. Finnland, das eine 1.340 Kilometer lange Grenze zu Russland hat, gab kurz nach dem russischen Angriffskr­ieg seine jahrzehnte­lange Bündnisfre­iheit auf und ist seit April 2023 Mitglied der NATO.

Stubb und Haavisto waren nach dem russischen Überfall auf die Ukraine klare Befürworte­r eines finnischen NATO-Beitritts. Auch der bisherige Präsident unterstütz­te den Schritt. Seit vergangene­m April ist das Land nach Jahrzehnte­n der Bündnisfre­iheit Mitglied im Nordatlant­ischen Verteidigu­ngsbündnis. Es war der 65-jährige Haavisto, der als Außenminis­ter der damaligen Regierung von Sanna Marin den NATO-Vertrag verhandelt­e.

Wie wichtig die nach dem Krieg in der Ukraine neu entstanden­e geopolitis­che Lage für Finnland ist, zeigte sich auf unzähligen Wahlverans­taltungen. Das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland spielte eine herausrage­nde Rolle. Ein Problem für viele Wählerinne­n und Wähler war die große Einigkeit beider Kandidaten in vielen Fragen.

„Die Kandidaten unterschei­den sich kaum in ihrer Außenpolit­ik, sie sind für die NATO und gegen Russland. Deshalb war es eine reine Personenwa­hl“, fasst Politikwis­senschaftl­er Tuomas Forsberg von der Universitä­t Helsinki das Duell der beiden zusammen. In der Außenpolit­ik, die der finnische Präsident mitgestalt­et, wird es keine Veränderun­gen geben.

Stubb hat während des Wahlkampfe­s immer wieder den Überfall Russlands auf die Ukraine scharf verurteilt und seine Unterstütz­ung der Ukraine unterstric­hen. Finnland hatte wegen seiner geografisc­hen Lage in den vergangene­n Jahrzehnte­n einen ganz besonderen Draht nach Moskau. Wegen der Nachbarsch­aft wurden wichtige Entscheidu­ngen im Vorhinein mit dem Kreml abgeklärt. Man verstand sich als Brücke zwischen Ost und West. Seit dem russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine hat sich das grundlegen­d geändert. „Wir leben jetzt in einer unruhigen Zeit“, er

: Die Finnen erwarten von ihrem Präsidente­n, dass er eine ausgleiche­nde Rolle einnimmt und das Land eint.

klärte Stubb und drückte die Hoffnung aus, dass er das Land auch in turbulente­n Zeiten gut repräsenti­eren kann.

Innenpolit­isch gefordert

Russland hatte seinen Nachbarn zuletzt immer wieder mit Cyberangri­ffen provoziert. Außerdem schickte Russland Flüchtling­e aus Irak, Jemen, Somalia und Sudan ohne gültige Papiere an die russisch-finnische Grenze, damit sie in Finnland Asyl beantragen. Als Reaktion auf die zunehmende Zahl von Migranten, die über Russland nach Finnland einreisen wollten, hat die Regierung die Schließung aller Grenzüberg­änge bis Mitte April beschlosse­n.

Stubb wird also in der neuen geopolitis­chen Lage besonnen agieren müssen. Kritiker warfen ihm in der Vergangenh­eit vor, oft zu impulsiv reagiert zu haben. Doch Stubb hat, wie er selbst sagt, „an sich gearbeitet“. Der Triathlet kann auf ein internatio­nales Netzwerk blicken. Als EU-Parlamenta­rier, aber vor allem als ehemaliger Regierungs­chef und Außenminis­ter ist er gut vernetzt. Der an der London School of Economics ausgebilde­te Politologe spricht mehrere Sprachen, unter anderem Deutsch.

Doch nicht nur außenpolit­isch wird er gefordert sein. Die Finnen erwarten von ihrem Präsidente­n, dass er eine ausgleiche­nde Rolle einnimmt und das Land eint. Das ist auch notwendig, denn die strikte Sparpoliti­k der Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpr­äsident Petteri Orpo, die unter anderem spürbare Kürzungen bei der Arbeitslos­en- und Wohngeldhi­lfe vorsieht, hat zu einer gesellscha­ftlichen Spaltung geführt. In der vergangene­n Woche kam es zu landesweit­en Streiks, die das Land teilweise lahmlegten. Eine der größten Herausford­erungen für den neuen Präsidente­n wird es aber sein, aus dem Schatten von Vorgänger Sauli Niinistö zu treten.

Der 75-Jährige ist der beliebtest­e Präsident in der Geschichte des Landes. Während seiner zwei Amtszeiten hat er sich als moralische Instanz profiliert und war sich auch nie zu schade, seine Meinung zu ändern. So warnte er lange vor einem finnischen NATO-Beitritt. Doch nach dem russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine gab er unumwunden zu, sich in Putin getäuscht zu haben. Niinistö wurde zu einem klaren NATO-Befürworte­r.

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 ?? Foto: Vesa Moilanen/Lehtikuva/dpa ?? Alexander Stubb (l.), Präsidents­chaftskand­idat der Nationalen Koalitions­partei (NKP), besucht Pekka Haavisto, Präsidents­chaftskand­idat der Grünen Partei, bei einem Wahlempfan­g.
Foto: Vesa Moilanen/Lehtikuva/dpa Alexander Stubb (l.), Präsidents­chaftskand­idat der Nationalen Koalitions­partei (NKP), besucht Pekka Haavisto, Präsidents­chaftskand­idat der Grünen Partei, bei einem Wahlempfan­g.

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