Warum das Unrecht nicht gewinnt
Die Ausstellung „Die Cellistin von Auschwitz“in der Villa Pauly erzählt Kindern vom Grauen der NS-Zeit, ohne es zu zeigen, und hilft, sie gegen Hass und Intoleranz zu wappnen
Eine Ausstellung für Kinder über das Leben und Überleben einer damals 17-Jährigen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenwald? Das klingt nach schwerer Kost. Ist es auch. Und vielleicht umso mehr, als die Ausstellung mit Blick auf den Nationalsozialismus an einem der dunkelsten Orte der luxemburgischen Geschichte stattfindet: in der Villa Pauly, dem Symbol für nationalsozialistischen Terror und Unterdrückung im Großherzogtum schlechthin.
Hier, am hauptstädtischen Boulevard de la Pétrusse, hatte die Gestapo, die Geheimpolizei der Nationalsozialisten, nach der Besetzung Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg ihr Hauptquartier bezogen. In den Kellergewölben folterten die Nazis Menschen auf grausamste Weise.
Damit sich die Geschichte nicht wiederholt
Er betrete dieses Gebäude mit starken Emotionen, sagt der Holocaust-Überlebende Claude Marx. Er wurde 1934 als Sohn einer jüdischen Familie im französischen Nancy geboren. Den Zweiten Weltkrieg überlebte er getrennt von seinen Eltern, weil eine Metzgerfamilie ihn unter Einsatz ihres Lebens auf dem Dachboden versteckte. Einen großen Teil seines Lebens, das ihn lange nach dem Krieg ins Großherzogtum führt, verbringt er damit, die Erinnerung wach zu halten. Damit sich Geschichte nicht wiederholt.
Und gerade Kinder und Jugendliche seien interessiert, egal, was man ihrer Generation nachsagt. „Sie interessieren sich für das Menschliche, für das, was ihnen nahe ist“, sagt der 89-Jährige. „Und deshalb glaube ich, dass diese Ausstellung für sie sehr anschaulich sein kann.“Denn im Grunde würden kleine und große Kinder vor allem wissen wollen, wie das, was gerade um sie herum passiert, sich auf ihr Leben und ihre persönliche Situation auswirken kann.
Hier setzt die Ausstellung an, die sich ganz den Erlebnissen der jüdischen KZÜberlebenden Anita Lasker-Wallfisch widmet. Als „Cellistin von Auschwitz“ist die heute 98-Jährige in die Geschichte eingegangen. Sie hatte als Kind Cello spielen gelernt und wurde mit 17 Jahren in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie aufgrund ihrer musikalischen Fähigkeiten in das „Lagerorchester“aufgenommen wurde. So war es wohl auch ihre Musik, die ihr Überleben ermöglichte.
Eine positive Geschichte erzählen
Die 19 Tafeln der Ausstellung vermitteln das Grauen, das sie erlebt hat, ohne es direkt zu zeigen, aber auch ohne es zu verharmlosen. Das ist wichtig. Die Bilder, die auch aus einem Kinderbuch stammen könnten, schlagen eine Brücke zwischen heute und damals.
„Die Ausstellung soll auch eine positive Geschichte erzählen“, betont Marc Schoentgen vom Zentrum für politische Bildung, der die Wanderausstellung auf Anregung der deutschen Botschaft nach Luxemburg und in die Villa Pauly gebracht hat. „Das Leben von Anita Lasker-Wallfisch reduziert sich nicht nur auf das, was ab 1933 geschah, und dann endet ihre Lebensgeschichte mit dem Tod“, so Schoentgen weiter. „Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist die Geschichte davor. Sie erzählt von ganz normalen Menschen, von ganz normalen Familien.“
Und das Leben von Anita Lasker-Wallfisch ging nach 1945 weiter. Das sei die positive Botschaft, so Schoentgen: „Was eine totalitäre Diktatur versucht hat, ist ihr nicht wirklich gelungen. Das ist eine ganz starke Aussage für heute, dass das Unrecht nicht siegt.“
Normale Menschen werden Täter und Opfer
Die Ausstellung zeigt auf erschreckende Weise, dass nicht nur die Opfer ganz normale Menschen waren, sondern auch die Täter. Und sie macht deutlich, wie schnell sich ein demokratischer Staat in ein totalitäres System verwandeln kann, das Menschen in Vernichtungslager schickt. „Was mich beeindruckt hat, ist im Grunde diese Art der schrittweisen Einführung für die
Kinder, eine aktive und sehr konstruktive Pädagogik, die die Eskalation der Gewalt und auch die Eskalation der Angst untermauert“, bemerkt Claude Marx.
„Das ist eine große Herausforderung und Aufgabe“, ergänzt Marc Schoentgen. „Es geht darum, den Blick früh genug zu schärfen, um genau das zu erkennen: Wo ist die Demokratie? Ist sie vielleicht in Gefahr? Wo sind die Grenzen des Sagbaren erreicht? Wo muss man Parallelen ziehen, um das Gestern mit dem Heute zu vergleichen, um das Heute besser zu verstehen?“Und das könne man schon früh tun. Denn auch im heutigen Luxemburg würden Kinder Diskriminierungserfahrungen machen.
Die Ausstellung regt zum Mitdenken an, wirft Fragen auf. „Was passierte ab 1933 in einem Land, das eigentlich eine Demokratie war?“, gibt Marc Schoentgen zu bedenken. „Wie ist diese Demokratie und dieser Alltag, den diese Familie gelebt hat, zerbrochen? Was ist passiert durch Menschen, die von einem Schreibtisch aus über das Leben von Millionen anderen entschieden haben? Wer war daran direkt beteiligt? Und man sieht auf diesen Kinderzeichnungen ganz normale Männer, Väter in Uniform, die in Auschwitz-Birkenau die Häftlinge bewachten oder Transporte organisierten. Oder als Wächter oder Beamte in einem Gefängnis arbeiteten“.
Verunsicherung entgegentreten
Diese allgegenwärtige Banalität des Bösen, wie sie die Journalistin Hannah Arendt einst in ihrem Bericht über den Prozess gegen den NS-Verbrecher Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem beschrieb, zu erkennen, ist wichtig, um heutige Generationen gegen Hass und Intoleranz zu wappnen.
Dabei gehen die aktuellen Herausforderungen mit einem großen Erklärungsbedarf auch für Kinder und Jugendliche einher, damit sie sich selbstständig orientieren können. Denn die Krisen und Konflikte in der Welt, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten, führen auch hierzulande zu Verunsicherung, meint Marc Schoentgen.
„Gerade bei Shoah und Holocaust werden in aktuellen Situationen die Grenzen des Sagbaren überschritten“, stellt er fest. „Das gilt auch für die Covid-Krise, wenn Begriffe wie ‚Shoah an Impfverweigerern‘ oder ‚Genozid an einer Bevölkerung‘ für eigene Zwecke verwendet werden.“Für ihn ist das eine sehr schmerzhafte Gleichsetzung und eine enorme Verharmlosung. Für Menschen wie Claude Marx und andere seien dies „les mots qui blessent, les mots qui tuent“.
: Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist die Geschichte davor. Marc Schoentgen, Zentrum fir politesch Bildung
Wiederkehrender Rückgriff auf 1933
Claude Marx erinnert sich in diesem Zusammenhang auch daran, wie er als junger Soldat zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit der französischen Armee in Algerien im Einsatz war. „Eine der ersten Lektionen war die Formung des Geistes, die Gehirnwäsche“, erinnert er sich. „Als der Krieg ausbrach, wurden wir sofort darauf eingeschworen, das heißt, unsere Unschuld wurde gewissermaßen dazu benutzt, uns davon zu überzeugen, dass wir im Recht waren und dass die anderen auf der anderen Seite Mörder waren. Und das war natürlich ein Rückgriff auf die Situation von 1933 in Deutschland, als man den Menschen gesagt hat: ‚Sie wissen, dass es die Juden waren, die uns den Dolch in den
Rücken gestoßen haben. Sie wissen, dass die Juden dafür verantwortlich sind.‘“
Es war eine sehr prägende Zeit für ihn, denn er gehörte zu denen, die aus dieser Gehirnwäsche, aus dieser Formatierung, aus dieser Massenpsychose, die man aufzwingen wollte, ausbrechen wollten. „Man ist Teil eines Ganzen, das gegen einen Feind kämpfen muss“, erklärt Claude Marx. „Und im Grunde wird mir heute bewusst, wie sehr in einigen Demokratien, die ich für zerbrechlich halte, ähnliche Systeme angewandt werden, und das macht mir große Angst“.
Diese Besorgnis teilt Dr. Heike Peitsch, seit 2023 deutsche Botschafterin in Luxemburg. Ein Rechtsruck in der Mitte und eine Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts, wie sie derzeit in Deutschland intensiv diskutiert werden, seien auch in den Nachbarländern zu beobachten. Eigentlich europaweit und darüber hinaus. Aber auch in Luxemburg?
Gefahr auch in Luxemburg?
„Fast alle Gesellschaften, fast alle Regierungen schauen mit einer gewissen Sorge auf die kommenden Europawahlen, bei denen die Umfragen ein Erstarken nationalistischer Kräfte voraussagen“, sagt sie. Ihre Beobachtungen und ersten Eindrücke vom politischen Geschehen in Luxemburg beschreibt sie so: „Die Diskussion, der Diskurs, wie man heute auf Neudeutsch sagt, ist hier doch ruhiger als wir das in Deutschland kennen. Es ist ein kleines Land, man kennt sich und geht anders miteinander um.“
Und natürlich gebe es auch jetzt, aktuell, Diskussionen, die intensiver geführt würden. Zum Beispiel das Bettelverbot. „Die ersten Reaktionen waren vor allem auch moralisch motiviert“, schildert die Botschafterin ihre Beobachtungen, inzwischen würden andere Aspekte beleuchtet, etwa die rechtliche Grundlage.
„Die Diskussion, wie sie hier geführt wird, ist für Luxemburger Verhältnisse teilweise schon etwas heftig, intensiv, auch emotional“, stellt Heike Peitsch fest. Man habe die Mauer des Privathauses des zuständigen Ministers beschmiert und dort offenbar auch die Reifen eines Privatautos zerstochen. „Das sind natürlich keine Mittel der politischen Auseinandersetzung, ich denke, das ist für Luxemburg schon bemerkenswert.“
Die Hoffnung bleibt
Die Erinnerungskultur sei ein wichtiges Arbeitsfeld für die deutsche Vertretung in Luxemburg. „Ohne belehren zu wollen“, wie Heike Peitsch betont, werden immer wieder Ideen entwickelt, um mit Partnern vor Ort zur Gedenkkultur beizutragen. Die Ausstellung in der Villa Pauly „Die Cellistin von Auschwitz“ist genau so ein Projekt. Sie ist noch bis zum 27. Februar zu sehen. Am Abschlussabend wird es zudem eine musikalisch untermalte Lesung geben (siehe Kasten).
Und bei allem Gräuel macht der Blick in die Vergangenheit auch Hoffnung. Denn er zeigt, dass es – auch auf der Seite der Täter – immer Menschen gab, die sich engagierten und halfen. Claude Marx bringt es auf den Punkt: „Das Positive an schwierigen Situationen ist, dass sie zu heroischen oder einfach mutigen Taten inspirieren.“
: Was ich am meisten fürchte, was mir schreckliche Angst macht, ist die Zerbrechlichkeit unserer Demokratien. Claude Marx, Holocaust-Überlebender