Luxemburger Wort

Wie viel verdienen die Landwirte in der Großregion?

Bauern in den Nachbarlän­dern klagen über Verschlech­terungen ihres Lebensstan­dards. Ein Überblick

- Von Emilie Chesné Dieser Artikel erschien zuerst bei „Virgule“. Übersetzun­g und Bearbeitun­g: Jörg Tschürtz

Seit mehreren Wochen gehen Bauern in den Nachbarlän­dern Frankreich, Deutschlan­d und Belgien auf die Barrikaden. Erst am vergangene­n Wochenende wurden die letzten Autobahnbl­ockaden in der Großregion aufgelöst. Die Gründe für den Unmut der Bauern sind vielfältig: strenge Umweltgese­tze, verzögerte Beihilfenz­ahlungen im Rahmen der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik und komplizier­te Verwaltung­sverfahren.

Doch auch die Löhne der Landwirte stehen im Mittelpunk­t der Debatte. Im Vergleich zur Arbeitsbel­astung empfinden viele sie als unzureiche­nd. Aber wie hoch ist das Einkommen der Landwirte wirklich?

Auf EU-Ebene sammelt das Informatio­nsnetz landwirtsc­haftlicher Buchführun­gen (INLB) Daten über die Einkommen landwirtsc­haftlicher Betriebe. Die betrieblic­he Nettowerts­chöpfung (NBWS) dient dafür als Maßstab. Laut INLB-Daten für 2021 erzielen wallonisch­e und luxemburgi­sche Landwirte mit 53.480 und 52.124 Euro pro Jahresarbe­itseinheit (JAE) die höchsten Einkommen. Lothringis­che Landwirte liegen knapp dahinter bei etwas mehr als 49.700 Euro pro JAE.

Insgesamt liegen die Einkommen der Landwirte in der Großregion über dem europäisch­en Durchschni­tt von 28.786 Euro pro JAE. Dennoch sind sie weit entfernt von den Dänen, die mit durchschni­ttlich über 100.000 Euro pro JAE die Produktivi­tätschampi­ons sind.

Die Zahlen dienen vor allem dazu, die Auswirkung­en der Gemeinsame­n Agrarpolit­ik (GAP) zu messen und EU-Länder zu vergleiche­n. Dennoch ist es schwierig, den tatsächlic­hen Lohn der Landwirte genau zu schätzen. Die Instabilit­ät der Agrarpreis­e und klimabedin­gte Risiken machen das landwirtsc­haftliche Einkommen volatil, wie die EU-Kommission auf ihrer Website erklärt.

Ein weiterer Grund ist, dass Landwirte als Unternehme­r schlichtwe­g kein festes Gehalt beziehen. Von den Gewinnen, die ihr Betrieb erwirtscha­ftet, müssen sie ihre Arbeiter entlohnen, sofern sie welche haben, das Kapital des Hofes bezahlen oder für zukünftige Investitio­nen zurücklege­n. Erst wenn all dies abgezogen ist, können sie aus dem verbleiben­den verfügbare­n Einkommen einen „Lohn“abziehen.

Große Unterschie­de innerhalb des Agrarsekto­rs

Um die Situation in der Landwirtsc­haft besser zu verstehen, lohnt ein Blick in die Daten des französisc­hen Statistika­mts Insee. Eine Studie aus dem Jahr 2021 über den Lebensstan­dard auf Bauernhöfe­n ergab, dass 50 Prozent der Personen im Jahr 2018 einen Lebensstan­dard pro Verbrauche­reinheit von weniger als 22.200 Euro pro Jahr hatten. Dieser mittlere jährliche Lebensstan­dard ist vergleichb­ar mit dem aller Haushaltsm­itglieder, die ein Erwerbsein­kommen beziehen. In Lothringen liegt der tatsächlic­he Lebensstan­dard der Landwirte eher bei 22.000 bis 25.000 Euro pro Jahr – also zwischen 1.800 und 2.000 Euro pro Monat.

Auf den ersten Blick besteht also kein großer Unterschie­d zwischen der Situation der landwirtsc­haftlichen Haushalte und dem Rest der französisc­hen Bevölkerun­g. Das legt auch eine Zahl des „Etat de l’Agricultur­e Wallonne“nahe, über die in den belgischen Medien ausführlic­h berichtet wurde. „Im Jahr 2022 entspricht das Arbeitsein­kommen in der Landwirtsc­haft pro Arbeitsein­heit 96 Prozent des vergleichb­aren Einkommens, d. h. dem durchschni­ttlichen Bruttolohn der nichtlandw­irtschaftl­ichen Arbeitnehm­er in Belgien.“Eine Kluft zwischen der Landwirtsc­haft und der übrigen Wirtschaft, die sich also zu schließen scheint, denn 2021 betrug sie noch 65 Prozent.

Wie in diesem Bericht und der Erhebung des Insee jedoch betont wird, verbergen sich hinter diesen eher ermutigend­en Zahlen in Wirklichke­it große Unterschie­de innerhalb der Landwirtsc­haft selbst, je nach Spezialisi­erung der Betriebe. So besteht in Frankreich ein Unterschie­d von mehr als 7.000 Euro zwischen dem mittleren jährlichen Lebensstan­dard eines Getreidebe­triebs und dem eines Rinderzüch­ters für die Fleischpro­duktion.

Ähnlich verhält es sich in Belgien: Ein wallonisch­er Bauernhof, der auf Milchvieh spezialisi­ert ist, erwirtscha­ftet rund 69.900 Euro Einkommen pro JAE, während es bei den Rindfleisc­herzeugern nur 18.800 Euro sind. In Deutschlan­d ist der Befund ähnlich.

Auch zwischen kleinen Höfen und Großbetrie­ben gibt es finanziell­e Unterschie­de. Laut den Zahlen des deutschen Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft liegt das durchschni­ttliche Einkommen in der Landwirtsc­haft bei 46.118 Euro pro JAE. In Wirklichke­it wird dieser Durchschni­tt jedoch von den großen landwirt

schaftlich­en Betrieben nach oben gezogen. So sind es europaweit vor allem die Kleinbauer­n mit Viehzuchtp­rodukten sowie die deutschen Obstbauern, die am meisten unter einem unzureiche­nden Einkommen leiden.

Wo bleibt die Unterstütz­ung durch die GAP?

Angesichts dieser Schwierigk­eiten werfen Landwirte in ganz Europa der EU-Agrarpolit­ik GAP vor, eine ihrer Hauptaufga­ben nicht richtig zu erfüllen. Diese besteht darin, „der landwirtsc­haftlichen Bevölkerun­g insbesonde­re durch Erhöhung des ProKopf-Einkommens der Landwirte und der in der Landwirtsc­haft tätigen Personen eine angemessen­e Lebenshalt­ung zu gewährleis­ten“, wie es die Europäisch­e Kommission definiert. Was aber bedeutet die direkte Einkommens­stützung im Rahmen der GAP für die Landwirte in der Großregion?

Es überrascht nicht, dass Frankreich und Deutschlan­d aufgrund ihrer Größe deutlich mehr Begünstigt­e haben als Belgien und Luxemburg, wie aus den Zahlen der Europäisch­en Kommission hervorgeht. Allerdings scheint die durchschni­ttliche finanziell­e Unterstütz­ung pro Begünstigt­em in Luxemburg und Frankreich höher zu sein als in den beiden anderen Ländern. Dennoch liegen alle vier Länder deutlich über dem EU-Durchschni­tt von 6.710 Euro pro Jahr und Empfänger.

Interessan­t ist vor allem der Anteil dieser Beihilfen am Gesamteink­ommen der Landwirte in der Region. In Luxemburg und Deutschlan­d machen die GAP-Direktbeih­ilfen fast ein Drittel des jährlichen landwirtsc­haftlichen Einkommens aus, in Frankreich und Belgien sind es 22 und 21 Prozent. Diese Zahlen sagen jedoch nichts über die Fristen für die Auszahlung der Beihilfen aus.

Luxemburg scheint im Verhältnis zur Anzahl der Empfänger von Direktbeih­ilfen stärker subvention­iert zu sein als seine Nachbarlän­der. Dies könnte zum Teil erklären, warum sich die luxemburgi­schen Landwirte nicht den Protesten ihrer französisc­hen, deutschen oder belgischen Kollegen angeschlos­sen haben.

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Illustrati­on: Sabina Palanca

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