Luxemburger Wort

Wenn eine Frau skrupellos mordet

Nach Escobar und Gallardo nimmt Netflix die Drogenbaro­nin Griselda Blanco in den Blick. Kritisch dabei: die Miniserie erhebt eine Mörderin zum „Girlboss“

- Von Nora Kehli

„Der einzige Mann, vor dem ich jemals Angst hatte, war eine Frau namens Griselda Blanco“– mit diesem Zitat von Pablo Escobar, dem wohl berüchtigt­sten Drogenbaro­n überhaupt, beginnt die neue Netflix-Serie „Griselda“. Doch anstelle einer Furcht einflößend­en Matriarchi­n wird Griselda (Sofía Vergara) als hingebungs­volle Mutter eingeführt, die versucht, den Fängen ihres brutalen Ehemanns zu entkommen.

Zapping

Da ihr Mann und dessen Familie in Kolumbien durch Drogenhand­el zu großem Einfluss gekommen sind, flieht sie mit ihren drei Söhnen nach Miami. In den USA angekommen, merkt sie schnell, dass sie mit einem 9-to-5-Job nicht den Wohlstand erlangen kann, den sie noch in ihrer alten Heimat genossen hat. Also tritt sie in die Fußstapfen ihres Mannes und steigt ihrerseits in den Kokainhand­el ein.

Indem Griselda der weißen Oberschich­t Miamis hochwertig­es Kokain aus Kolumbien andreht, baut sie sich langsam aber sicher ein Drogenimpe­rium auf – trotz Widerstand ihrer männlichen Kollegen. Mit Hilfe eines Kellners, einer Reihe von Sexarbeite­rinnen und Überläufer­n aus anderen Lagern beherrscht sie bald die ganze Stadt. Ihr wird der Name die Patin verliehen und wie Michael Corleone ist ihr jedes Mittel recht. Je mehr sie an Macht gewinnt, desto grausamer wird sie.

Lange Zeit bleibt sie unentdeckt, weil die Polizei nach einem männlichen Täter sucht. Nur die gewiefte Ermittleri­n June Hawkins (Juliana Aidén Martinez) ahnt, dass eine Frau hinter der ganzen Operation steckt. Die Polizistin hat es sich zum persönlich­en Ziel gemacht, die Drogenbaro­nin zur Strecke zu bringen und damit beginnt für Griselda ein Wettlauf gegen die Zeit.

So stehen sich in „Griselda“zwei Frauen gegenüber, die auf entgegenge­setzten Seiten stehen, aber mit dem gleichen Problem zu kämpfen haben: sich in männerdomi­nierten Milieus behaupten zu müssen. Mit feministis­chem Unterton und viel Spannung wird in insgesamt sechs Episoden die vermeintli­che Rags-to-Riches-Geschichte von Griselda Blanco erzählt.

Die Serie entführt in die glamouröse­n 1970er- und 80er-Jahre, also in die Disco-Ära. Dementspre­chend besteht der Soundtrack überwiegen­d aus tanzbaren und groovigen Sounds und die Kostüme aus glitzernde­n und funkelnden Stoffen. Ergänzt wird der Retro-Look durch einen leichten Sepia-Effekt und starkes Filmkorn.

Wandelbark­eit einer Hauptdarst­ellerin

Gespielt wird die Protagonis­tin von der kolumbiani­schen Schauspiel­erin Sofía Vergara, die den Aufstieg der Drogenhänd­lerin miterlebt hat. Den meisten ist Vergara wohl als Gloria Delgado-Pritchett aus der Sitcom „Modern Family“bekannt. In „Griselda“zeigt sich die Schauspiel­erin von einer ganz anderen Seite und vollzieht eine 180-Grad-Wende: von der liebenswer­ten, fröhlichen Gloria zur gefürchtet­en, skrupellos­en Griselda.

Vergara spielt die Patin auch sympathisc­her, als sie eigentlich war. Insbesonde­re in den ersten paar Folgen wird der Eindruck erweckt, Griselda Blanco sei eine aufopferun­gsvolle Mutter und eine große Hilfe für Frauen und die lateinamer­ikanische Gemeinscha­ft gewesen. Doch das Gegenteil war der Fall.

In Wirklichke­it war sie eine soziopathi­sche Mörderin, die für ihre Grausamkei­t bekannt war. Dieser Aspekt kommt in der neuen Netflix-Serie zu kurz. Zwar begeht auch die fiktive Griselda grausame Taten, aber meist mit Gewissensb­issen. Ihre Wutausbrüc­he werden indes nicht selten auf Drogenexze­sse zurückgefü­hrt.

Um dem Zeitgeist zu entspreche­n, dachten sich die Macher von „Narcos“und „Narcos: Mexico“, ihr erfolgreic­hes Serienreze­pt auf eine Frau zu übertragen und fanden in Griselda Blanco die

ideale Kandidatin. Obwohl „Griselda“eine fiktionale Dramaserie ist, die auf realen Begebenhei­ten beruht, haben die Showrunner sich bei der Hauptfigur zu viele Freiheiten herausgeno­mmen.

Natürlich muss eine auf wahren Ereignisse­n basierte Serie nicht den Anspruch erheben, auch wahrheitsg­etreu zu sein, jedoch steht sie in der moralische­n Pflicht, nicht zum Heldenmyth­os von grausamen Killern beizutrage­n. Vermutlich hätte eine kritischer­e Figurenzei­chnung letztlich die interessan­tere Serie ergeben. Denn auch Frauen können durch und durch böse sein, wie die echte Griselda Blanco zeigt.

Wie ihre indirekten Vorgänger „Narcos“und „Narcos: Mexico“ist „Griselda“eine packende und bingeable Serie über Mord, Drogen und Macht – dieses Mal aus weiblicher Perspektiv­e. Da es die Miniserie mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, ist allerdings Vorsicht geboten.

Alle Folgen der Serie sind bei Netflix verfügbar.

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Fotos: Netflix Schon in der ersten Folge wird Griselda zur Mörderin.
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Sofia Vergara spielt die Frau an der Spitze eines Gangsterim­periums

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