Von Hochwasser im Flugzeugträger und geldfressenden Atomwaffen
Großbritannien gilt neben den USA als militärisches Schwergewicht. Doch die britische Armee hat ihre ganz eigenen Probleme. Das hat zu tun mit viel Geld und noch mehr Wasser
Die Rufe nach einer stärkeren militärischen Zusammenarbeit in Europa werden lauter. Polens neuer Premierminister Donald Tusk, von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates, sagte bei einem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Montag, es gebe „keine Alternative“zur EU und zur NATO.
„Die Europäische Union, Frankreich und Polen müssen stark werden und dazu bereit sein, ihre eigenen Grenzen und unsere Verbündeten und Freunde außerhalb der Union zu verteidigen und zu unterstützen“, sagte Tusk.
Es war eine dünn verschleierte Antwort an den republikanischen Spitzenkandidaten Donald Trump. Der hatte sich am Wochenende in einer Rede vor Unterstützern zu der Äußerung hinreißen lassen, dass er Russlands Machthaber Wladimir Putin dazu ermutigen würde, NATO-Staaten anzugreifen, die mit ihren Zahlungen an das Bündnis im Verzug seien. Umfragen zufolge hat Trump realistische Chancen, nach den Präsidentschaftswahlen im November wieder ins Weiße Haus einzuziehen.
Trumps bizarre Äußerung wirft die dringende Frage auf, welche NATO-Staaten bereit und in der Lage wären, Europa im Fall einer militärischen Konfrontation mit Russland ohne Hilfe durch die USA zu verteidigen. Ganz oben auf der Liste steht dabei, neben Frankreich, Großbritannien.
Teure Atomwaffen
Die ehemalige Weltmacht ist einer der wenigen Staaten, die gewillt und in der Lage sind, Militäreinsätze im Ausland durchzuführen. So sind die britischen Streitkräfte aktuell auch, gemeinsam mit den USA, an den Militärschlägen gegen die Huthi-Milizen im Jemen beteiligt. London legt weiterhin großen Wert darauf, in der Lage zu sein, weltweit militärische Stärke zu projizieren.
Das Land verfügt über ein Atomwaffenprogramm und besitzt zwei moderne Flugzeugträger, die HMS Queen Elisabeth und die HMS Prince of Wales. Die britische Armee hat in den vergangenen zehn Jahren mehr als 60.000 ukrainische Soldaten ausgebildet, Einheiten in mehreren NATO-Staaten stationiert und große Mengen an Munition und Ausrüstung in die Ukraine geschickt. Das Land gibt derzeit 52 Milliarden Pfund – oder 2,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – für Verteidigung aus. Damit liegt Großbritannien in Europa bei den Verteidigungsausgaben an erster Stelle und weltweit auf Rang sechs.
Dennoch häufen sich die Probleme. Die britische Marine hat heute weniger Fregatten und Zerstörer als Japan, Südkorea oder Frankreich und hat Schwierigkeiten damit, Nachwuchs zu rekrutieren. Die Royal Navy musste schon Boote stilllegen, weil nicht genug Personal vorhanden war. Die Armee hatte zuletzt ein reguläres Vollzeitpersonal von etwas mehr als 75.000 – so wenig, wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Tendenz fallend. Denn auch dort reicht die Zahl der Rekruten nicht aus, um die Lücken zu schließen, die sich durch Abgänge ergeben.
: Käme es zu einem großen Krieg gegen einen anderen Staat, könnte die Kampffähigkeit der britischen Streitkräfte bereits nach zwei Monaten erschöpft sein.
Trotz der vergleichsweise hohen Verteidigungsausgaben werden die Geldmittel überall knapp. Denn das „Trident“-Atomwaffenprogramm verschlingt allein ein Fünftel des Verteidigungsetats. In den vergangenen Jahren kam es zudem bei mehreren großen Rüstungsprojekten zu kostspieligen Pannen und Verzögerungen.
Die Probleme bei den Rekrutierungen verleiteten Armeechef Patrick Sanders kürzlich dazu, öffentlich zur Bildung einer „Bürgerarmee“aufzurufen. Damit sorgte er für einen Aufschrei. Plante die Regierung etwa, die allgemeine Wehrpflicht wiedereinzuführen? Ein Sprecher von Premier Rishi Sunak ruderte rasch zurück und versicherte, dass keine diesbezüglichen Pläne gebe. Der Armeechef habe lediglich „hypothetische Szenarios“beschrieben.
Fehleranfällige Flugzeugträger
Auch mit den Flugzeugträgern kommt es immer wieder zu Pannen. So musste die 280 Meter lange HMS Queen Elisabeth, im Einsatz seit 2014, mehr als drei Milliarden Pfund teuer und das Flaggschiff der Marine, 2019 eilig zurück in den Hafen. Ein internes Wasserrohr war geborsten. Insider erzählten der BBC, dass der Besatzung in einigen Teilen des Schiffs das Wasser „bis zum Hals“gestanden habe.
Der zweite Flugzeugträger, die Prince of Wales, blieb 2022 vor der Isle of Wight vor der britischen Küste gleich ganz liegen. Das Schiff musste abgeschleppt werden, es folgten teure Reparaturen, die mehrere Monate dauerten. Militärische Schlagkraft sieht anders aus.
Und die Probleme reißen nicht ab. So sollte die Queen Elizabeth eigentlich am vorletzten Wochenende auslaufen, um bei der großangelegten NATO-Übung „Steadfast Defender 2024“, die derzeit anläuft, eine zentrale Rolle einzunehmen. Doch das Auslaufen aus dem Hafen von Portsmouth wurde wegen eines mechanischen Problems in letzter Minute gestoppt.
Am vergangenen Sonntag sollte dann ersatzweise die HMS Prince of Wales in See stechen. Doch auch da kam es zu einer unerwarteten Verzögerung. Als das Schiff am Montag einen Tag später als geplant doch noch auslief, dürfte die Erleichterung groß gewesen sein. Führende Marineoffiziere und wohl auch einige Regierungspolitiker dürften derzeit trotzdem eher unruhig schlafen. Denn falls der Flugzeugträger während des NATOManövers – das Stärke in Richtung Russland ausstrahlen soll – wieder liegenbleibt, wäre das nicht nur für Großbritannien ein peinliches Fiasko.
Angesichts der langen Liste an Problemen überraschte es nicht, als der Verteidigungsausschuss des Parlaments kürzlich in einem Bericht zu einem ernüchternden Schluss kam: Käme es zu einem großen Krieg gegen einen anderen Staat, könnte die Kampffähigkeit der britischen Streitkräfte bereits nach zwei Monaten erschöpft sein.