Luxemburger Wort

Deshalb gehen die Bauern auf die Barrikaden – oder auch nicht

In den Nachbarlän­dern hat sich bei den Landwirten Frust aufgestaut. Doch was sind die Hintergrün­de? Und warum bleibt es bisher in Luxemburg vergleichs­weise ruhig?

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Blockierte Autobahnen und Brücken: In der Landwirtsc­haft brodelt es. Und das grenzüberg­reifend. Seit Wochen demonstrie­ren die Bauern, um auf Missstände in der Branche aufmerksam zu machen. Doch welche landesspez­ifischen Unterschie­de gibt es? Ein Überblick.

Luxemburg: Kein Streit in den Flitterwoc­hen

Selten haben die berühmten einleitend­en Sätze der Asterix-Bände so passend eine Situation beschriebe­n: Wir befinden uns im Jahre 2024 und die gesamte Bauernscha­ft der Großregion geht auf die Barrikaden … Die gesamte Bauernscha­ft? Nein! In Luxemburg sind die Bauern seit dem 9. Oktober auf Kuschelkur­s mit der neuen CSVDP-Regierung. Zwar solidarisi­erten sich die großen Bauerngewe­rkschaften in Pressemitt­eilungen mit den umliegende­n Demonstrat­ionen – selber zum Protest aufrufen wolle man jedoch nicht. Zu gut sei die aktuelle Gesprächsg­rundlage zur neuen Regierung.

Erst kürzlich lud Premier Luc Frieden (CSV) die Bauernvert­reter zu sich ein, um sich über die aktuelle Lage in der Landwirtsc­haft zu erkundigen. Und das zwei Wochen vor dem Landwirtsc­haftstisch Anfang März, der von der neuen Landwirtsc­haftsminis­terin Martine Hansen (CSV) sogar institutio­nalisiert wurde. Dieser soll von nun an in regelmäßig­en Abständen stattfinde­n.

Kein Wunder, dass die Bauernvert­reter nicht müde werden zu betonen, wie sehr sich die Kommunikat­ion zwischen ihnen und dem Ministeriu­m gebessert hat. Kurz gesagt: Man will es sich vor wichtigen Gesprächen nicht mit Schwarz-Blau verscherze­n. Als „absurd“bezeichnet­en sogar der Freie Lëtzebuerg­er Bauereverb­and und die Baueren-Allianz in einem gemeinsame­n Schreiben die Vorstellun­g, genau jetzt vor diesen wichtigen Gesprächen für den Sektor zum Protest aufzurufen. Als „weniger dramatisch als in unseren Nachbarlän­dern“beschreibt indessen die Centrale paysanne den Zustand der Landwirtsc­haft hierzuland­e. Zudem sei die Regierung erst 100 Tage im Amt. Es sei noch zu früh, um die Traktoren auf dem Boulevard Royale auszufahre­n.

Wenn die Idylle der Untergangs­stimmung der Bauernprot­este in den umliegende­n Ländern noch standhält, dann liegt das auch an einer Person: der neuen Landwirtsc­haftsminis­terin Martine Hansen. Denn die Beziehung zwischen Ministerin und Sektor waren lange nicht mehr so vielverspr­echend. Immer wieder hatten sich die Bauern unter Gambia über die Beziehung zum vorigen LSAP-Minister Claude Haagen beklagt. Seitdem er das Amt von Romain Schneider übernommen hatte, war der Funke nie wirklich übergespru­ngen.

Bei Martine Hansen ist das anders: Die CSV-Politikeri­n stammt aus einer BauernFami­lie, ist studierte Agrarwisse­nschaftler­in und leitete in der Vergangenh­eit die Ackerbausc­hule. Ihre Beziehunge­n zu den Bauerngewe­rkschaften sind demnach tadellos. Im Wahlkampf konnte ihre Partei zudem bei den Bauern mit Verspreche­n wie Bürokratie­abbau punkten – insbesonde­re bei Bauvorhabe­n in der Grünzone. Jetzt, wo die Grünen nicht mehr im Umweltmini­sterium sitzen, sondern die Christsozi­alen, sind die Erwartunge­n hoch. Sollte die neue Regierung ihren Verspreche­n nicht nachkommen, hat bereits eine Bauernvert­re

tung angekündig­t, nicht zu zögern, hierzuland­e Straßen zu blockieren. (Von Florian Javel)

Deutschlan­d: Der Traum von Sicherheit und von Wertschätz­ung

Dass Cem Özdemir an allem schuld ist – ist ein Gerücht. Dass der grüne Landwirtsc­haftsminis­ter von den Bauern härter und giftiger angegangen wird als die 17, die den Job vor ihm hatten – ist keines. Was Özdemir bei den Bauern-Protesten vor dem Brandenbur­ger Tor zu hören bekam auf offener Bühne, touchierte mitunter die Beleidigun­gsgrenze oder übertraf sie gar klar wie beim Chef des Landwirte-Vereins „Land schafft Verbindung“, Claus Hochrein.

Dabei hatten Özdemir mit sehr ungeschick­tem Agieren und die Ampel-Koalition insgesamt mit der Idee, ihr 60-Milliarden-Euro-Haushaltsl­och durch Streichen von Vergünstig­ungen für die Landwirte ein bisschen zu stopfen, allenfalls den Auslöser geliefert für die Autobahnbl­ockaden und die Sternfahrt­en nach Berlin. Die Gründe für den Frust und nun schon die Wut der Bauern sind viel älter und zahlreiche­r auch. Sie fangen mit der ausufernde­n Bürokratie längst nicht an – und hören bei den Preisdikta­ten der Discounter lange nicht auf. Als die Bauern Anfang 2020 der Bundes-CSU den Weg zu ihrer traditione­llen Klausur in Kloster Seeon versperrte­n, ging es um die Düngeveror­dnung.

Bislang genießen die Bauern mit ihrem Protest die Sympathie des Publikums. Das liegt nicht zuletzt an der Lobbyarbei­t des Deutschen Bauernverb­ands (DBV) und seines Vorsitzend­en Joachim Rukwied. Der DBV ist durchaus eine Macht. Aber es gibt

auch Unzufriede­ne, beispielsw­eise die Milchbauer­n, die sich in ihrem Bemühen um faire Bezahlung durch die Lebensmitt­el-Giganten nicht genügend unterstütz­t sehen.

Ohnehin ist es falsch, von „den deutschen Bauern“zu reden. Haupt- und Nebenerwer­b, Familienbe­trieb und industriel­le Landwirtsc­haft, konvention­ell und ökologisch, Tier- und Pflanzenwi­rtschaft, Wein- und Obstbau: Da ist sind die 115.400 Euro Gewinn pro Betrieb im Rekordjahr 2022/23, den die Bauern gerade gerne von der Politik unter die Nase gerieben bekommen, ein Durchschni­ttswert, der gar nichts sagt.

Näher an der Realität und vor allem an der Zukunft ist Theresa Schmidt, Vorsitzend­e der Deutschen Landjugend. Sie sagt nicht nur, es sei allerhöchs­te Zeit für „eine Landwirtsc­haft mit fairen Wettbewerb­sbedingung­en, mit Planbarkei­t und mit Wertschätz­ung“. Sondern weiß auch, dass die Demos „nicht ewig“funktionie­ren. Deshalb versucht sie, mit allen zu reden, die „eine nachhaltig­e und sichere Zukunft für Landwirtsc­haft und Umwelt“hinkriegen könnten. Aber Theresa Schmidt kann auch drohen. Christian Lindner, den Bundesfina­nzminister, hat sie auf offener Bühne beschieden, wenn er nicht zurückzieh­e beim Agrardiese­l, werde die FDP bei vier Prozent „stillgeleg­t“. Der Jubel vor dem Brandenbur­ger Tor war groß. (Von Cornelie Barthelme, Berlin)

Frankreich: Bauern drohen mit neuen Protesten

Mit Traktoren, Erdhaufen und Paletten hatten die französisc­hen Bäuerinnen und Bauern zwei Wochen lang mehrere Auto

bahnen blockiert. Anfang Februar zogen sie ab, nachdem der neue Regierungs­chef Gabriel Attal ihre Wut mit gleich mehreren Verspreche­n besänftigt hatte. So soll der Plan, der den Pestizid-Einsatz bis 2030 um die Hälfte verringert, ausgesetzt werden. Außerdem will die Regierung den bürokratis­chen Aufwand für die Landwirte verringern und die Billig-Konkurrenz aus dem Ausland bekämpfen, die sich nicht an die europäisch­en Vorschrift­en hält. Attal stellte der Bauernscha­ft zudem Hilfen über insgesamt 300 Millionen Euro, eine Aufwertung ihrer Renten und höhere Preise für ihre Produkte in Aussicht.

Wenn die Regierung allerdings gehofft hatte, dass damit auch die Landwirtsc­haftsmesse Salon de l’agricultur­e Ende Februar friedlich verlaufen würde, wurde sie am Wochenende enttäuscht. Der Vorsitzend­e des größten Bauernverb­andes FNSEA, Arnaud Rousseau, warnte vor neuen Protesten, wenn Attal jetzt nicht ernst mache mit seinen Zusagen. „Wenn man sich über uns lustig macht, wird der Empfang des Präsidente­n am ersten Samstag der Messe nicht unter den klassische­n Bedingunge­n stattfinde­n“, drohte er.

Emmanuel Macron hatte im vergangene­n Jahr 13 Stunden auf dem beliebten Salon de l’agricultur­e verbracht, den jedes Jahr Hunderttau­sende besuchen. Frankreich ist der größte Agrarprodu­zent Europas und auch Hauptempfä­nger der Brüsseler Finanzhilf­en. Die Landwirte, von denen es noch gut 400.000 gibt, haben nach wie vor großen Einfluss. Sie sitzen in Gemeinderä­ten, stellen in kleinen Dörfern häufig den Bürgermeis­ter und bestimmen in Banken wie dem Crédit Agricole mit. Rund 90 Prozent der Französinn­en und Franzosen unterstütz­ten sie im Januar bei ihren Pro

testen. Vor allem der rechtspopu­listische Rassemblem­ent National (RN) versuchte, vom Unmut der Bäuerinnen und Bauern zu profitiere­n, die traditione­ll konservati­v wählen. RN-Chef Jordan Bardella warf der EU vor, die französisc­hen Landwirte „umbringen“zu wollen.

Kritisiert wird die Bauernscha­ft vor allem von Umweltverb­änden, die ihnen einen übermäßige­n Einsatz von Düngern und Pestiziden vorwerfen. Frankreich gehört zu den drei europäisch­en Ländern, die die meisten Pestizide verwenden. Proteste von Umweltakti­visten wenden sich auch gegen die riesigen Speicherbe­cken, mit denen die Landwirte in Dürrezeite­n die Bewässerun­g ihrer Felder garantiere­n wollen. Obwohl die umstritten­en „Méga-bassines“zu einer Absenkung des Grundwasse­rspiegels führen, versprach Landwirtsc­haftsminis­ter Marc Fesneau bereits weitere solcher Riesenbeck­en. (Von Christine Longin, Paris)

Belgien: Die Landwirtsc­haft ist auch ein politische­s Thema

Am Ende einer Woche voller Demonstrat­ionen legte die belgische Landwirtsc­haft den Großteil ihrer Aktionen auf Eis, um zu Verhandlun­gen überzugehe­n. So kamen die Landwirte mit Vertretern der Lebensmitt­elindustri­e und der großen Einzelhand­elsunterne­hmen an einen Tisch. Das Argument ist überall das gleiche: Die Gewinnspan­nen sind im Laufe der Jahre immer weiter gesunken und lassen nur noch einen winzigen Spielraum für eine bessere Bezahlung der Landarbeit­er. In kleinen Betrieben soll der Monatslohn nicht mehr als 1.000 Euro betragen.

Mehrere Namen aus dem Einzelhand­el, wie Delhaize und Colruyt, haben den Rindfleisc­herzeugern eine Erhöhung von 50 Cent pro Kilo zugestande­n. Dies ist für die Landwirte nicht ausreichen­d, die „einen Werbegag von Colruyt“anprangern. „In Wirklichke­it war der Preis, den sie angegeben haben, nicht der an die Züchter gezahlte Preis, sondern der Preis der bei ihnen angekommen­en Schlachtkö­rper. Also muss man 30 Cent (pro Kilo) für die Schlachtun­g und den Transport abziehen“, erklärte einer ihrer Vertreter. Er beschuldig­te die Colruyt-Gruppe, diesen Vorschlag auszunutze­n, um ihre Gewinne zu steigern.

Die Unzufriede­nheit in der Landwirtsc­haft nimmt eine politische Wendung, da die Wahlen am 9. Juni immer näher rücken. Am vergangene­n Wochenende traf sich Premiermin­ister Alexander De Croo in seiner Hochburg Brackel, südlich von Gent, mit Landwirten. Die Gespräche drehten sich um die EU-Vorschrift­en, insbesonde­re um die vier Prozent des Ackerlande­s, die in Zukunft brach liegen sollen, Pestizide und den Verwaltung­saufwand. Aber „ihre größte Sorge ist auch das Stickstoff­problem“, ging aus dem Gespräch hervor. Damit ist die Maßnahme zur Stickstoff­reduzierun­g gemeint, die die flämische Regierung zur großen Unzufriede­nheit der Landwirtsc­haft durchgeset­zt hat, um die Anforderun­gen der EU-Kommission zu erfüllen.

Alexander De Croo hatte zuvor einen Solidaritä­tsmechanis­mus für Landwirte vorgeschla­gen, d. h. eine Versicheru­ng, zu der die verschiede­nen Akteure der Kette beitragen würden.

Die belgische Landwirtsc­haft leidet seit langem, vor allem im südlichen Teil des Landes. In den letzten drei Jahrzehnte­n ist die Zahl der wallonisch­en Bauernhöfe von 29.000 auf 16.000 gesunken. Die Landwirte beschuldig­en die Europäisch­e Union, die „Kleinen“dazu zu verurteile­n, in ständiger Verschuldu­ng zu leben. Die Preise für Agrarland, die in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt sind, machen es ihnen oft unmöglich, ihre Betriebe zu vergrößern und damit ihr Einkommen zu steigern. Einige Studien besagen, dass das Selbstmord­risiko bei Landwirten und Beschäftig­ten in der Landwirtsc­haft um zwölf Prozent höher ist als in der Gesamtbevö­lkerung. (Von Max Helleff, Brüssel)

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Foto: AFP Belgische Landwirte haben Straßen blockiert, die zum Hafen von Antwerpen führen, dem zweitgrößt­en Frachthafe­n Europas.

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