„Ich bin nicht schlechter als vor fünf Jahren“
Der Radprofi Bob Jungels will nach seinem Wechsel zu Bora-hansgrohe endlich die Bremse lösen. Die Lust am Sport hat er noch nicht verloren – ganz im Gegenteil
Bob Jungels hat die ersten Kilometer der Saison in den Beinen. In Murcia fuhr er am vergangenen Samstag auf den 18. Platz. So kann es weitergehen. Aktuell ist er in Portugal bei der Algarve-Rundfahrt im Einsatz. 2024 ist ein wichtiges Jahr für den Radprofi: Es geht um einen neuen Kontrakt, die Olympischen Spiele und den Gesamtsieg bei der Tour de France. Der 31-jährige Luxemburger will vor allem wieder angreifen und allen – auch sich selbst – zeigen, was er kann.
Bob Jungels, vier Monate Rennpause sind vorbei. Wie haben Sie den langen Winter erlebt?
Es war trainingstechnisch ein perfekter Winter. Alleine in diesem Jahr habe ich schon fünf Wochen Trainingslager in den Beinen. Ich war nicht krank und hatte gar keine Probleme. Ich habe hart geschuftet. Es waren umfangreiche Tage, an denen ich auch an meinem Gewicht arbeiten konnte. All die Dinge, die ich in Angriff nehmen wollte, habe ich abgehakt.
Was haben Sie sich für die kommenden Monate vorgenommen?
Wichtig ist, dass ich nach einem schwierigen Jahr wieder Selbstvertrauen tanke. Ich muss teamintern Punkte sammeln. Ich weiß, was ich kann. Es ist an der Zeit, erneut positive Schlagzeilen zu schreiben.
Wie würden Sie die vergangene Saison aus Ihrer Sicht beschreiben?
Es war ein frustrierendes und verkorkstes Jahr. Es war eine Saison, in der ich zu keinem Zeitpunkt 100 Prozent meines Leistungsvermögens abrufen konnte. Ich hinkte den Topfahrern immer hinterher. Das ist dann irgendwann ziemlich mühselig.
Warum ist es nie so gelaufen, wie Sie es sich ausgemalt hatten?
Ich bin mit einem sehr guten zweiten Platz bei der Valencia-Rundfahrt gestartet. Dann wurde ich bei Paris-Nice krank. Eine Infektion der Lunge bremste mich aus. Ich musste drei Wochen pausieren. Die Frühjahrsklassiker waren dahin. Ich stieg bei der Tour de Romandie wieder ein und bestritt den Giro d‘Italia. Ich wurde wieder krank.
Bei der Tour de France war ich ebenfalls nicht im Vollbesitz meiner Kräfte.
Ich fuhr an einem Tag sehr ordentlich, am nächsten lief nicht viel zusammen.
Das war nicht das, was ich mich vorgestellt hatte. Mehr war allerdings unter den Umständen nicht möglich. Im Herbst hatte ich Probleme mit meiner Position auf dem Fahrrad. Ich wechselte auf das alte Material, doch da war die Saison schon vorbei. Es fühlte sich alles irgendwie sehr zäh an.
Verliert man da nicht die Lust am Radsport?
Das kann passieren. Unser Sport ist mental stets eine Herausforderung. Man hat auch mal schwierige Tage. Aber ich kann versichern: Ich bin weiterhin sehr motiviert, diszipliniert und fokussierter denn je. Es macht mir weiterhin riesig viel Spaß.
Bereiten einem die langen Trainingstage und Lehrgänge noch Freude, wenn man sich in einer Phase befindet, in der es nicht rund läuft?
Die Lehrgänge gehören eben dazu. Ich empfinde sie nicht als Qual. Aber natürlich trainieren wir, um Rennen zu fahren und Siege zur feiern. Der Radsport ist für mich nicht einfach nur ein Hobby. Ich habe keine Probleme, mich im Training zu motivieren. Ich war jetzt fast drei Wochen im Höhentrainingslager auf Teneriffa. Jakob Fuglsang war auch dort. Der quält sich mit 38 Jahren immer noch regelmäßig. Da muss ich mich mit meinen 31 Jahren also nicht beschweren. (lacht)
Kevin Geniets war auch vor Ort. Sind Sie ihm begegnet?
Ja, wir waren ein paar Tage gemeinsam am Fuße des Vulkans Teide. Er hat mit seinem Sieg beim GP La Marseillaise gezeigt, dass sich hartes Training auszahlt. Ich habe mich für ihn gefreut. Wir kennen uns schon lange. Er ist immer top professionell.
Wie sehen Ihre Pläne für die ersten Wochen der Saison aus?
Ich möchte gut starten. Bei der AlgarveRundfahrt (seit Mittwoch und bis Sonntag, Anm. d. Red.) sollte es schon nicht so schlecht laufen. Anschließend bestreite ich das Eröffnungswochenende in Belgien (Omloop Het Nieuwsblad und KuurneBrüssel-Kuurne, Anm. d. Red.) bevor es zu Paris-Nice geht. Das sind auf dem Papier Wettkämpfe, die mir liegen sollten.
Man spürt fast eine gewisse Ungeduld bei Ihnen, oder täuscht der Eindruck?
Ich würde es Vorfreude nennen. Ich will die schwierigere Phase definitiv hinter mir lassen. Es braucht oft nur ein gutes Resultat, dann kommt der Ball ins Rollen. Das kann ganz schnell gehen. Wenn es erst einmal läuft, surft man rasch auf einer Erfolgswelle.
Sie lassen die großen Klassiker in Flandern aus. Wieso?
Zum einen fahre ich diesem Jahr viele Rennen an der Seite von Neuzugang Primoz Roglic. Mein Weg führt deswegen über die Baskenland-Rundfahrt zu den Ardennen-Klassikern. Dort starten wir als Mannschaft mit sehr hohen Ambitionen. Zum anderen muss ich sagen, dass ich nicht das Gefühl verspürte, unbedingt in Flandern dabei sein zu müssen. Wenn man sich unsere Truppe mit Fahrern wie Marco Haller, Jordi Meeus oder Danny van Poppel ansieht, dann könnte ich theoretisch der Fahrer sein, der bei diesen Rennen im Finale eine Rolle spielt.
Aber die Eintagesrennen in Flandern werden mittlerweile anders gefahren als noch vor einigen Jahren. Die Fahrer gehen ein hohes Risiko ein. Die Rennen sind gefährlich. Man muss ständig vorne platziert sein und die Ellenbogen ausfahren. Die Hektik ist groß. Da braucht man schon ein gehöriges Maß an Selbstvertrauen, ansonsten nimmt man schonmal an kritischen Stellen den Fuß vom Gas. Das Team muss ebenfalls zu 100 Prozent hinter einem stehen. Mein Kontrakt läuft am Jahresende aus. Ich möchte keine unnötigen Risiken eingehen. Ich habe kein Problem damit, das so zuzugeben. Ich bin nicht schlechter als vor fünf Jahren.
Zwischen Paris-Nice und der BaskenlandRundfahrt klafft eine Lücke von drei Wochen in Ihrem vorläufigen Rennprogramm...
Das stimmt. Wenn es beim Omloop und in Kuurne gut laufen sollte und ich nach Paris-Nice merke, dass alles passt, dann können die anderen Rennen in Flandern (Bruges-De Panne, E3 Saxo Classic, GentWevelgem, Dwars door Vlaanderen, Tour des Flandres, Anm d. Red.) immer noch eine Option sein. Das werden wir zu gegebenem Zeitpunkt sehen.
Es war eine Saison, in der ich zu keinem Zeitpunkt 100 Prozent meines Leistungsvermögens abrufen konnte.
Sie haben Ihren neuen Teamkollegen Roglic bereits erwähnt. Was ändert die Verpflichtung des Slowenen konkret?
Ich bin fest davon überzeugt, dass der Transfer alle im Team besser machen wird. Mit Roglic gibt es fast so etwas wie eine Sieggarantie. Er wird Siege feiern – auch bei großen Rennen. Wir werden bei sehr vielen Rennen mit dem Ziel des Siegens an den Start gehen. Das ist für jeden in der Mannschaft eine immense Motivation. Man muss sich nur die Tour de France ansehen: Wenn alles normal läuft, haben aktuell drei Fahrer die realistische Chance, zu gewinnen. Roglic ist einer davon (neben Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar, Anm. d. Red.). Das beflügelt ungemein. Die positive Stimmung spiegelt sich in unseren Resultaten der ersten Saisonwochen wider (vier Siege und neun Top-Fünf-Platzierungen, Anm. d. Red.).