Luxemburger Wort

Bauschs Bettelverb­ot

Die Grünen wehren sich gegen das Bettelverb­ot in der Hauptstadt. Dabei sieht ein Gesetzentw­urf des ehemaligen grünen Transportm­inisters François Bausch ebenfalls eines vor

- Von Michèle Gantenbein

Gegen das Bettelverb­ot in der Hauptstadt hat sich ein breiter gesellscha­ftlicher Widerstand gebildet. Unter den Gegnern befindet sich – mit Ausnahme der ADR – auch die parlamenta­rische Opposition, darunter Déi Gréng.

„Die ,mendicité simple‘ wurde bekanntlic­h 2018 aus dem Strafrecht gestrichen und 2021 in einem Urteil des Menschenre­chtsgerich­tshofs als konträr zur Menschenre­chtskonven­tion bestätigt“, schreiben die hauptstädt­ischen Grünen in einer Pressemitt­eilung am 12. Dezember 2023.

Auch die ehemalige Justizmini­sterin Sam Tanson (Déi Gréng) erinnerte in ihrer Antwort auf eine parlamenta­rische Frage im 2. Mai 2023 daran, „dass das Verbot des einfachen Bettelns Gefahr läuft, gegen die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion zu verstoßen“.

Das hat den früheren Transportm­inister François Bausch (Déi Gréng) aber nicht davon abgehalten, am 23. Oktober 2023 einen Gesetzentw­urf (Projet de loi relative à la sécurité, la sûreté, l‘ordre et la vidéosurve­illance dans les transports publics) auf den Weg zu bringen, der die Bettelei verbietet, und zwar in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. Für Personen, die sich nicht daran halten, sieht der Entwurf 25 Euro Strafe vor.

Mehr Sicherheit, Ruhe und Ordnung in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln

Im Exposé des motifs des Gesetzentw­urfs heißt es, dass in den vergangene­n Jahren Fälle von „ungebührli­chem Verhalten“und Aggression­en in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zugenommen hätten. Seit die Nutzung öffentlich­er Verkehrsmi­ttel kostenlos ist, würden überdies immer mehr Menschen sie nutzen, um sich dort aufzuwärme­n oder in Ruhe zu schlafen. Nicht selten würden sie aber auch andere Nutzer mit unzivilisi­ertem Benehmen oder kleineren Verstößen stören und belästigen.

Dem Entwurf zufolge reichen die rechtliche­n Mittel nicht aus, die den Agenten des öffentlich­en Verkehrs aktuell zur Verfügung stehen, um gegen Belästigun­gen und Verstöße vorzugehen. Die existieren­den Gesetze und Vorschrift­en enthielten Pflichten für die Fahrgäste, heißt es im Exposé des motifs. „Die Nichteinha­ltung der Pflichten kann jedoch nicht ausreichen­d verfolgt werden, sodass die Vorschrift­en mangels echter abschrecke­nder Sanktionen gegenstand­slos werden.“

Um für mehr Sicherheit, Ruhe und Ordnung in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zu sorgen, sollen nun also neue Maßnahmen eingeführt werden, darunter Schutzmaßn­ahmen (Notknopf, Schutzwand usw.) für die Fahrer, Videoüberw­achung, eine erhöhte Polizeiprä­senz und erweiterte Befugnisse für Beamte und Agenten. Zudem enthält der Entwurf eine Auflistung von Ordnungswi­drigkeiten, die mit einer Geldstrafe geahndet werden, darunter auch das Betteln, wobei die Form der Bettelei – aktiv, passiv oder organisier­t – nicht genauer definiert wird.

Wenn das Betteln in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln verboten werden soll, dann deshalb, weil es als Problem wahrgenomm­en

Die Nichteinha­ltung der Pflichten kann nicht ausreichen­d verfolgt werden, sodass die Vorschrift­en mangels echter abschrecke­nder Sanktionen gegenstand­slos werden. Exposé des motifs, Projet de loi relative à la sécurité, la sûreté, l‘ordre et la vidéosurve­illance dans les transports publics

wird. Das passt nicht zu den Aussagen der Grünen in den vergangene­n Wochen.

Ähnliche Ziele wie die Stadt Luxemburg

Der Gesetzentw­urf hat von den Zielsetzun­gen her Ähnlichkei­t mit den Zielsetzun­gen der Stadt Luxemburg. Sowohl die Stadt als auch François Bausch wollen Mittel schaffen, mit denen sie für mehr Sicherheit, Ruhe und Ordnung sorgen können. Und in beiden Fällen wird das Betteln verboten. Was aber unterschei­det den Gesetzentw­urf und die Polizeiver­ordnung der Stadt Luxemburg? Und: Darf der Minister das Betteln, wenn es denn ein verfassung­srechtlich verankerte­s Grundrecht ist, überhaupt gesetzlich verbieten?

Das „Luxemburge­r Wort“hat Maître Sébastien Couvreur von der Anwaltskan­zlei Krieger & Associés dazu befragt.

„Im Allgemeine­n“, sagt Maître Sébastien Couvreur von der Anwaltskan­zlei „Krieger&Associés“, „hindert der Umstand, dass das Bettelverb­ot 2008 abgeschaff­t wurde – ein Punkt, der derzeit noch umstritten ist –, den Gesetzgebe­r nicht daran, ein neues Gesetz zu verabschie­den, das Betteln unter bestimmten Umständen verbietet oder an bestimmte Bedingunge­n knüpft, die verwaltung­s- oder strafrecht­liche Sanktionen nach sich ziehen können“. Wobei der Gesetzgebe­r aber nicht gegen die Verfassung oder völkerrech­tlich anerkannte Grundrecht­e verstoßen dürfe. „In diesem Fall stellt sich jedoch die Frage, ob es überhaupt ein Grundrecht ,auf Betteln‘ gibt, und wenn ja, ob dieses Recht absolut ist oder ob es eingeschrä­nkt oder sanktionie­rt werden kann.“

Couvreur verweist zum Vergleich auf das Eigentumsr­echt, das ebenfalls ein durch die Verfassung und die Menschenre­chtskonven­tion garantiert­es, aber kein absolutes Grundrecht sei. Eine „Regelung der Nutzung von Eigentum“sei durchaus zulässig und es gebe sogar straf- und verwaltung­srechtlich­e Sanktionen, „wenn das Eigentumsr­echt in einer Weise genutzt wird, die nicht mit dieser Regelung übereinsti­mmt“.

Der Unterschie­d zwischen dem Gesetzentw­urf und der Polizeiver­ordnung besteht laut dem Anwalt darin, „dass das Gesetz in der Normenhier­archie höher angesiedel­t ist als die kommunale Polizeiver­ordnung. Während die Polizeiver­ordnung nur aufgrund eines Gesetzes existieren kann, ist der Gesetzgebe­r nur durch die Verfassung und höhere europäisch­e und internatio­nale Normen eingeschrä­nkt“.

„In den Augen der Stadt gibt es Gesetze, die sie ermächtige­n, das Betteln unter bestimmten zeitlichen und örtlichen Bedingunge­n teilweise zu verbieten und dieses Verbot einer strafrecht­lichen Sanktion zu unterwerfe­n. Das sind zum einen das Dekret von 1789 und das Dekret von 1790 sowie das Gemeindege­setz.“

In Bezug auf das Betteln sind Sébastien Couvreur zufolge, „wie so oft im Recht“, die Nuancen entscheide­nd. Im Lacatus-Urteil haben die Richter des Menschenre­chtsgerich­tshofs entschiede­n, dass die einfache Bettelei ein Menschenre­cht ist. „Zugleich aber stellte der Gerichtsho­f fest, dass eine Einschränk­ung dieses Rechts möglich ist, sofern der Eingriff gesetzlich vorgesehen und konform zu Artikel 8.2 der Menschenre­chtskonven­tion ist“, so der Anwalt.

In Artikel 8.2 steht: „Der Eingriff einer öffentlich­en Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratis­chen Gesellscha­ft für die nationale Sicherheit, die öffentlich­e Ruhe und Ordnung, das wirtschaft­liche Wohl des Landes, die Verteidigu­ng der Ordnung und zur Verhinderu­ng von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“

Ein absolutes Verbot sei demnach a priori verboten, „ein begrenztes Verbot aber scheint durchaus möglich“, so Maître Couvreur. Ob das Bettelverb­ot in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln die oben genannten Bedingunge­n erfüllt, darüber dürfte das Gutachten des Staatsrats demnächst Klarheit bringen.

In den Augen der Stadt gibt es Gesetze, die sie ermächtige­n, das Betteln unter bestimmten zeitlichen und örtlichen Bedingunge­n teilweise zu verbieten. Sébastien Couvreur, Anwalt

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