Luxemburger Wort

Weggesperr­t in Belarus: der „verschwund­ene“Widerstand

Seit vielen Monaten gibt es keine Informatio­nen von Maria Kolesnikow­a und anderen prominente­n politische­n Gefangenen in Belarus. Auch Verwandte und Unterstütz­er werden belangt

- Von Stefan Scholl

Auch ihr letztes Foto ist eindringli­ch: Sie sitzt auf einem Bett an einer gekachelte­n Zellenwand, hält die Hand ihres Vaters und lacht. 2020 war Maria Kolesnikow­a das Gesicht der gescheiter­ten Revolution in Belarus, mit strahlende­m Lächeln führte sie in Minsk Hunderttau­sende friedliche Demonstran­ten an, als Swetlana Tichanowsk­aja und Veronika Zepkalo, ihre Mitstreite­rinnen im Präsidents­chaftswahl­kampf, Belarus schon verlassen hatte. Und als die Sicherheit­sorgane Kolesnikow­a gewaltsam in die Ukraine abschieben wollte, vereitelte sie das, indem sie an der Grenze ihren Reisepass zerriss.

Danach wurde die gelernte Flötenspie­lerin internatio­nal für ihren Mut gefeiert, die Staatsorga­ne Alexander Lukaschenk­os aber sperrten sie weg. Nach einem Jahr UHaft wurde Kolesnikow­a im September 2021 wegen Versuch zur illegalen Machtergre­ifung zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Im November 2022 wurde sie mit einem aufgebroch­enen Magengesch­wür in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt, das Foto mit ihrem Vater zeigt sie nach der Operation am 5. Dezember im Krankenrev­ier der Gomeler Frauenstra­fkolonie.

Danach sah ihr Anwalt sie noch mehrfach, zuletzt am 2. Februar 2023. Ihr letzter Brief ist auf den 12. Februar datiert. Seitdem ist die 41-Jährige verschwund­en. Auch ihrem Anwalt wurden keine Treffen mehr gestattet, angeblich, weil Maria Kolesnikow­a keinerlei Anträge dazu mehr gestellt hatte. Ihre Schwester Tatjana Chomitsch sagte der Deutschen Welle, es gebe weder Brief- noch Telefonkon­takt. Man habe nur die anonyme Informatio­n erhalten, Maria säße in einer Isolations­zelle. „Das heißt, sie hat keine Möglichkei­t, mit anderen Menschen zu verkehren.“

Wegsperren mit System

Incommunic­ado nennen Menschenre­chtler den völligen Entzug jeder Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten für einen Häftling. Man könnte den spanischen Begriff auch mit „Verschwind­en“übersetzen.

Incommunic­ado werden in Belarus auch andere politische Gefangene gehalten. Der letzte Brief von Nikolaj Statkewits­ch kam laut der Zeitung „Nowaja Gaseta“am 9. Februar 2023. Der sozialdemo­kratische Opposition­skandidat bei den Präsidents­chaftswahl­en 2010 war nach den Protesten von 2020 als angebliche­r Anstifter von Massenunru­hen zu 14 Jahren Haft verurteilt worden. Seine Frau Marina Adamowitsc­h zählte auf Facebook die Tage seines Incommunic­ado. Bis ihre Wohnung diesen Januar gestürmt wurde; sie wurde wegen Rowdytums für 15 Tage eingesperr­t. Laut dem

Menschenre­chtsportal Wjasna nahmen die Sicherheit­sorgane am 23. und 24. Januar bei Razzien gegen Verwandte und Unterstütz­er politische­r Gefangener 310 Menschen fest.

Eduard, der Sohn des Bankmanage­rs und liberalen Kandidaten Viktor Babariko bei den Wahlen 2020, befindet sich seit Längerem hinter Gittern. Wie sein Vater wurde er 2021 wegen angebliche­r Geldwäsche und Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt. Von Viktor Babariko, der 14 Jahre absitzen muss, gibt es seit April 2023 keine Informatio­nen mehr. Damals wurde er mit schweren Verletzung­en in ein Krankenhau­s in Nowopolozk eingeliefe­rt, unklar, ob man ihn vorher gefoltert hatte. Seitdem suchen ihn seine Anwälte in Haftanstal­ten und Krankenhäu­ser in ganz Belarus – vergeblich.

Laut Wjasna gibt es in Belarus 1416 politische Gefangene, das Portal OWD-Info

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