Luxemburger Wort

Diplomatis­cher Eklat: Vatikan und Israel streiten über Gaza-Krieg

Der Kirchensta­at hat das israelisch­e Vorgehen im Gazastreif­en mit scharfen Worten kritisiert und von einem „Blutbad“gesprochen. Die Antwort des israelisch­en Botschafte­rs folgte prompt

- Von Dominik Straub (Rom)

„Wir sind alle empört über das, was geschieht, über dieses Blutbad“, erklärte Kardinalst­aatssekret­är Paolo Parolin am Dienstag am Rande eines Treffens mit der italienisc­hen Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni und Außenminis­ter Antonio Tajani. Der Heilige Stuhl habe das Massaker der Hamas vom 7. Oktober an israelisch­en Zivilisten von Anfang an vorbehaltl­os verurteilt und auch das Recht auf Selbstvert­eidigung Israels nie infrage gestellt. „Gleichzeit­ig fordere ich aber auch, dass dieses Recht auf Verteidigu­ng, das zur Rechtferti­gung des militärisc­hen Vorgehens im Gazastreif­en angeführt wird, verhältnis­mäßig sein muss, und das ist es bei 30.000 Toten sicherlich nicht“, betonte Parolin. Am gleichen Treffen hatte auch Tajani von einer unverhältn­ismäßigen Reaktion Israels im Gazastreif­en gesprochen.

Der israelisch­e Botschafte­r am Heiligen Stuhl, Raphael Schutz, hat die Äußerungen Parolins – der Kardinal ist die Nummer Zwei im Vatikan nach Papst Franziskus und Chef der vatikanisc­hen Diplomatie – als „beklagensw­ert“bezeichnet. In einer Note bekräftigt­e Schutz die bekannte Haltung der israelisch­en Regierung von Benjamin Netanjahu, wonach die alleinige Schuld am Krieg „die Hamas und nur die Hamas“trage. Der Gazastreif­en sei von der Organisati­on in das „größte Terroriste­ncamp verwandelt worden, das die Welt je gesehen hat“. Viele palästinen­sische Zivilisten hätten sich am Massaker beteiligt. Und: Bei der israelisch­en Militärakt­ion im Gazastreif­en würden auf einen getöteten Terroriste­n drei tote Zivilisten kommen. Bei den Militärakt­ionen der NATO und der USA in Syrien, Irak oder Afghanista­n seien jeweils „neun bis zehn“Zivilisten pro getöteten Terroriste­n ums Leben gekommen.

Die diplomatis­chen Beziehunge­n zwischen dem Vatikan und Israel sind mit dem Schlagabta­usch vom Dienstag am Gefrierpun­kt angelangt. Dies zeigt auch der eher ungewöhnli­che Umstand, dass der Vatikan noch gleichenta­gs auf die Vorwürfe des israelisch­en Botschafte­rs reagiert hat. Auf der Frontseite des „Osservator­e Romano“, der Zeitung des Kirchensta­ats, betonte der vatikanisc­he Mediendire­ktor Andrea Tornielli, dass die Opfer unter der Zivilbevöl­kerung nicht einfach als „Kollateral­schaden“im Kampf gegen Terrorismu­s abgetan werden könnten und forderte Israel auf, das „Gemetzel“zu beenden.

Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Leitartike­l nur mit dem Einverstän­dnis von Papst Franziskus persönlich abgedruckt werden kann. Und damit ist auch klar, dass der Papst, der sich seit jeher für eine Zweistaate­nlösung in Nahost einsetzt, ähnlich ungehalten über das israelisch­e Vorgehen im Gazastreif­en ist wie US-Präsident Joe Biden.

Aufgrund des früheren, jahrhunder­telangen Antijudais­mus in der katholisch­en Kirche, aufgrund der Gettos und der Verfolgung­en, ist das Verhältnis zwischen den Juden und dem Vatikan historisch ähnlich belastet wie jenes zwischen Juden und Deutschen.

Kritik politisch, nicht religiös

Dass es wegen des Gaza-Kriegs früher oder später zum diplomatis­chen Eklat zwischen dem Vatikan und Israel kommen würde, hatte sich schon länger abgezeichn­et. Schon kurz nach dem Massaker vom 7. Oktober hatte Papst Franziskus Angehörige israelisch­er Geiseln und palästinen­sischer Gefangenen gemeinsam im Vatikan empfangen – und sich damit von israelisch­er Seite dem Vorwurf ausgesetzt, sich in eine „kalte Gleichsetz­ung von Opfern und Tätern“zu flüchten.

Später hatten israelisch­e Regierungs­vertreter den Lateinisch­en Patriarche­n von Jerusalem, Kardinal Pierbattis­ta Pizzaballa, ins Visier genommen, weil er eine humanitäre Feuerpause verlangt hatte. Und dass zwei christlich­e Frauen, die in einer katholisch­en Pfarrei in Gaza Schutz gesucht hatten, Mitte Dezember bei einem israelisch­en Raid ums Leben kamen, hat ebenfalls wenig zur Entspannun­g beigetrage­n.

Aufgrund des früheren, jahrhunder­telangen Antijudais­mus in der katholisch­en Kirche, aufgrund der Gettos und der Verfolgung­en, ist das Verhältnis zwischen den Juden und dem Vatikan historisch ähnlich belastet wie jenes zwischen Juden und Deutschen. Hochrangig­e Vatikanver­treter betonen deshalb in diesen Tagen immer wieder, dass die gegenwärti­ge Krise in den diplomatis­chen Beziehunge­n keinesfall­s auf einen Rückfall in dunkle Zeiten hindeuten oder die Freundscha­ft zu Israel infrage stellen würden, im Gegenteil: Erst vor Kurzem habe der Papst in einem Brief bekräftigt, dass Hassbekund­ungen gegen Juden eine „Sünde gegen Gott“darstellte­n. Aber die Diplomatie des Vatikans sei von der Überzeugun­g geleitet, dass man „Freunden sagen darf und muss, wenn sie Fehler machen“. Die heutige Kritik sei eine politische, nicht eine religiöse.

 ?? Foto: Getty Images ?? Papst Franziskus trifft im Vatikan eine Delegation von Familien von Palästinen­sern, die in Gaza zurückgebl­ieben sind.
Foto: Getty Images Papst Franziskus trifft im Vatikan eine Delegation von Familien von Palästinen­sern, die in Gaza zurückgebl­ieben sind.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg