Päpstlicher KI-Nerd in Mönchskutte
Der Franziskaner-Pater Paolo Benanti ist einer der weltweit führenden Experten für künstliche Intelligenz. Er berät unter anderem Papst Franziskus über die Chancen und Gefahren der digitalen Technologie
Unter einem Nerd und Computer-Freak stellt man sich gemeinhin etwas anderes vor als einen Ordensbruder in der braunen Mönchskutte der Franziskaner. Und tatsächlich ist die Apple-Watch am Handgelenk das einzige Accessoire, das bei Paolo Benanti auf eine gewisse Technologie-Affinität hindeutet. Aber der Schein täuscht. Bruder Paolo, 1973 in Rom geboren, kennt sich aus in der digitalen Welt. So gut, dass er nicht nur Papst Franziskus in Sachen künstlicher Intelligenz berät, sondern neuerdings auch die italienische Regierung von Giorgia Meloni und sogar die Uno, notabene als einziger Europäer in einem Gremium aus 38 Technologie-Experten aus der ganzen Welt.
Benanti, der schon als Heranwachsender an Computern herumbastelte und dann an der Römer Sapienza-Universität ein Ingenieurstudium begann, versteht viel von der KI-Software, aber was ihn schon immer am meisten interessierte, sind die ethischen Fragen, die die Entwicklung neuer digitaler Technologien aufwirft. Die technischen Aspekte hätten ihm nicht gereicht, erklärte er in einem Podcast mit Microsoft-Vizechef Brad Smith. Denn mit der Technik lasse sich nicht beantworten, „was es bedeutet, Mensch zu sein“. So hatte Benanti ein Jahr vor dem Abschluss sein Ingenieurstudium und kurz darauf auch die Beziehung mit seiner Freundin aufgegeben – und war Anfang 20 dem Franziskaner-Orden beigetreten. Heute lebt er zusammen mit sechs Ordensbrüdern in einem kleinen Kloster mitten in der Altstadt von Rom.
An der päpstlichen Universität Gregoriana studierte Benanti Moraltheologie, machte den Doktor (Titel seiner preisgekrönten Doktorarbeit: „Der Cyborg. Körper und Körperlichkeit im Zeitalter des Posthumanen“), und inzwischen unterrichtet er an der Gregoriana Studenten und angehende Priester in Technologie-Ethik. Einen Lehrstuhl hat der 50-jährige Benanti auch an der Universität von Seattle im USBundesstaat Washington. In dem liberalen Westküstenstaat werde er von den Studentinnen und Studenten zuweilen etwas schräg angesehen, wenn er in seiner braunen Kutte die Hörsäle betrete, sagte er unlängst gegenüber der italienischen Zeitung „Il Foglio“. Aber inzwischen hätten sich die meisten von ihnen daran gewöhnt.
Für den Tech-Ethiker Benanti ist die KI als solche weder gut noch böse. „Nicht die KI ist ein Problem, sondern der Umgang damit. Und hier kommt die Ethik ins Spiel – es geht darum, das richtige Maß des Einsatzes in einem sozialen Kontext zu finden“, betont Benanti in seinem Podcast. Zum Beispiel könne die KI ein „wirklich mächtiges Werkzeug“sein, um die Kosten der Medizin zu senken und Ärzten die Möglichkeit zu geben, mehr Menschen zu helfen. Andererseits stammten ein Großteil der Daten, die in die KI einfließen, von Niedriglohnarbeitern, von denen viele in Entwicklungsländern leben, und damit erneut Opfer von Kolonialismus und Ausbeutung werden.
Dass die künstliche Intelligenz im Dienste des Gemeinwohls angewendet werde, ist auch ein großes Anliegen von Papst Franziskus. Die größte Sorge des Pontifex besteht laut Benanti darin, dass die KI die bereits bestehenden, großen Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten auf der Welt noch verstärken könnte, zumal mit der Weiterentwicklung dieser Technologie immense Investitionen verbunden sind, die sich nicht jede Gesellschaft leisten kann. Je nachdem, mit welchen Daten die KI gefüttert wird, bestehe außerdem die Gefahr, dass die Menschenrechte eingeschränkt werden könnten: Indem sie beispielsweise das Asylgesuch eines Migranten oder die Bewertung der Wahrscheinlichkeit eines Straftäters, ein Verbrechen zu wiederholen, negativ beeinflusst.
Papst Franziskus ist auf das große Potential der KI nicht erst aufmerksam geworden, nachdem ein Deep-Fake-Foto von ihm mit weißem Daunenmantel viral wurde. Schon zuvor hatte er die vatikanische Stiftung „RenAIssance Foundation“gegründet, die sich mit den neuen Technologien beschäftigt und zu deren Direktor er Benanti gemacht hat. In seiner jährlichen Friedensbotschaft für 2024 hat Franziskus auf die Schaffung eines internationalen Vertrags gedrängt, um eine ethische Nutzung der KI-Technologie sicherzustellen.