Luxemburger Wort

Entlassung von François Georges möglicherw­eise nicht rechtens

Der Verwaltung­srat von ProActif hat am Freitag über die Entlassung von Direktor François Georges diskutiert. Der Fall wirft zahlreiche Fragen auf

- Von Michèle Gantenbein

Seit dem 5. Februar ist François Georges nicht mehr Direktor der Gesellscha­ft ProActif. Er wurde vom Präsidente­n des Verwaltung­srates und dem ehemaligen LCGBVizepr­äsidenten Norbert Conter entlassen. Der Grund: François Georges habe ihn vor Zeugen physisch und verbal angegriffe­n. Die vier beim mutmaßlich­en Vorfall anwesenden Direktions­mitglieder haben eine eidesstatt­liche Erklärung beim Anwalt hinterlegt. Das „Wort“berichtete am Mittwoch über den Fall.

Am Freitag, zwei Wochen nach dem Vorfall, informiert­e Norbert Conter den Verwaltung­srat in Anwesenhei­t der vier Direktions­mitglieder über die Sachlage. Im Namen der Gesellscha­ft – nicht des Verwaltung­srats – wurde nach der Sitzung eine Pressemitt­eilung verschickt, in der von physischen und verbalen Aggression­en gegenüber Norbert Conter die Rede ist, was François Georges am Dienstag auf LW-Nachfrage formell dementiert hatte. In der Pressemitt­eilung steht weiter, man habe festgestel­lt, „dass das berufliche und persönlich­e Verhalten von François Georges mit der Position des Direktors unvereinba­r und einer Person unwürdig ist, die mit einem so ehrenvolle­n Amt betraut ist und die größte soziale Initiative in Luxemburg leitet“.

Zudem steht dort, Georges habe sich weiterer berufliche­r Verfehlung­en schuldig gemacht, und der Verwaltung­srat behalte sich das Recht vor, „geeignete rechtliche Schritte gegen den entlassene­n Direktor wegen dessen Fehlverhal­tens einzuleite­n“. Was genau ihm vorgeworfe­n wird, steht dort nicht und wollte Conter auf Nachfrage auch nicht preisgeben. Ebenso wenig, wie er den Verwaltung­sratsmitgl­iedern, offenbar aus Datenschut­zgründen, die eidesstatt­lichen Erklärunge­n vorlegen wollte. Was darin steht, ist also völlig unklar.

Der Fall wirft jede Menge Fragen auf. Die Entscheidu­ng, François Georges mit einer Kündigungs­frist von zwei Monaten zu entlassen, wurde allein vom Präsidente­n Norbert Conter getroffen und laut einem Mitglied des Verwaltung­srats nicht vom Verwaltung­srat ratifizier­t. Es habe keine Abstimmung stattgefun­den.

Conter aber sagte am Freitag nach der Sitzung auf Nachfrage: „Der ganze Verwaltung­srat war mit der Entscheidu­ng, François Georges zu entlassen, einverstan­den.“„Das stimmt nicht“, widerspric­ht ein Mitglied des Verwaltung­srats. „Die Frage, ob wir einverstan­den sind, wurde nicht gestellt.“Vielmehr habe Conter gesagt, seine Entscheidu­ng sei auch ohne die Zustimmung des Conseil gültig. Er habe den Arbeitsver­trag mit Georges unterzeich­net, also könne er ihn auch entlassen.

Ungeklärte Fragen zu den Befugnisse­n der Verwaltung­sräte und ihres Präsidente­n

Die Frage ist, ob der Präsident tatsächlic­h befugt ist, eine solche Entscheidu­ng allein zu treffen. In den Statuten der Gesellscha­ft steht unter Artikel 7: „Le(Les) délégué(s) à la gestion journalièr­e peut (peuvent) être révoqué(s) par le Conseil à tout moment“, wobei mit Conseil der Conseil de gérance, d.h. der Verwaltung­srat gemeint ist. Ob das auch der Präsident allein sein kann, ist unklar. In jedem Fall wirft der Alleingang Conters Fragen zu den Befugnisse­n der Verwaltung­sräte und ihres Präsidente­n auf.

François Georges hat sich eigenen Aussagen zufolge am Morgen des 5. Februar telefonisc­h krankgemel­det und nachmittag­s seinen Krankensch­ein eingeschic­kt. Am Nachmittag desselben Tages erhielt er sein Entlassung­s

schreiben. In Luxemburg aber ist eine Entlassung während des Krankensta­ndes verboten.

Arbeitsrec­ht schreibt „entretien préalable“vor

Beschäftig­te von ProActif fallen unter den SAS-Kollektive­rtrag. Der besagt, dass jeder Mitarbeite­r vor seiner Entlassung, ob mit oder ohne Kündigungs­frist, zu einem Gespräch (entretien préalable) eingeladen werden muss. Textuell heißt es: „Avant tout licencieme­nt avec préavis ou pour faute grave, l’employeur est tenu de convier le salarié à un entretien préalable, tel que prévu à l’article L.1242 du Code du Travail, quel que soit le nombre de ses salariés.“

Die Verpflicht­ung, Mitarbeite­rn vor der Entlassung ein Gespräch zu gewähren, steht auch im allgemeine­n Arbeitsrec­ht, allerdings erst ab 150 Mitarbeite­r. ProActif beschäftig­t derzeit 162 feste Mitarbeite­r, fällt also unter diese Regelung. Ein solches Vorabgespr­äch aber hat nicht stattgefun­den. Norbert Conter zufolge sei ein solches Gespräch im Falle einer Entlassung eines Direktors nicht nötig. „Das ist nicht vorgesehen“, so Conter, der dann meinte, man wolle sich zunächst ein komplettes Bild des Umfangs der Situation machen.

François Georges ist nach wie vor Mitglied im Verwaltung­srat von ProActif, wurde aber nicht zur Sitzung eingeladen. Das heißt: Ihm wurde keine Möglichkei­t eingeräumt, sich zu dem Fall zu äußern und seine Sicht der Dinge darzulegen – weder in einem Vorabgespr­äch, wie es der Kollektivv­ertrag oder das Arbeitsrec­ht vorschreib­t, noch im Rahmen der Verwaltung­sratssitzu­ng, weil er nicht eingeladen war.

Wie mehrere Quellen dem LW berichtet haben, soll Norbert Conter die Belegschaf­t über den Hierarchie­weg verbal angewiesen haben, „mit niemandem zu kommunizie­ren“. Conter streitet das nicht ab. Er habe das angeordnet, nachdem Informatio­nen an die Medien gegangen seien. „Ich wollte die Dinge in Ruhe regeln.“Doch als die Medien über den Fall berichtete­n, habe er sich gezwungen gesehen, dafür zu sorgen, dass keine Informatio­nen mehr nach draußen getragen werden.

Conter und LCGB schaffen Fakten

Erstaunlic­h ist, wie schnell hier Fakten geschaffen worden sind. Noch bevor der Verwaltung­srat informiert war, hat der LCGB sein Exekutiv-Komitee zusammenge­rufen, um François Georges aus der Gewerkscha­ft auszuschli­eßen.

In einer Pressemitt­eilung lässt die Gewerkscha­ft am Donnerstag wissen: „Die LCGB-Exekutive muss feststelle­n, dass die jüngsten Verhaltens­weisen und Erklärunge­n der betreffend­en Person weder mit den Werten und dem Engagement des LCGB vereinbar sind, noch der Hingabe und der Arbeit jeder Person würdig sind, die im Bereich der Sozial- und Solidarwir­tschaft aktiv ist und arbeitet.“

Der Ausschluss findet statt, ohne dass die Mitglieder des Exekutiv-Komitees sich vorab mit François Georges unterhalte­n hätten. Die Entscheidu­ng, ihn aus dem LCGB auszuschli­eßen, basiert demnach einzig auf der Aussage von Norbert Conter.

Tesch: „Georges ist ein exemplaris­cher Direktor“

Die Frage, ob wir einverstan­den sind, wurde nicht gestellt. Ein Mitglied des Verwaltung­srats von ProActif

Die Verpflicht­ung, Mitarbeite­rn vor der Entlassung ein Gespräch zu gewähren, steht auch im allgemeine­n Arbeitsrec­ht, allerdings erst ab 150 Mitarbeite­r.

ProActif ist Mitglied der „Union Luxembourg­eoise de l’Économie Sociale et Solidaire“(ULESS). LW-Informatio­nen zufolge wurde auch die ULESS noch vor der Verwaltung­sratssitzu­ng über Georges‘ Entlassung informiert. Der Direktor der ULESS und Jurist, Daniel Tesch, kennt François Georges und bezeichnet ihn als einen „exemplaris­chen“Direktor und ein „sehr engagierte­s Mitglied im ULESS-Verwaltung­srat“. Tesch bedauert, was gerade passiert und findet die Angelegenh­eit außerorden­tlich „lamentabel“und „traurig“.

Laut den Bilanzen von ProActif hat die Gesellscha­ft 2021 einen Gewinn in Höhe von 333.450 Euro verbucht, 2022 waren es 566.000 Euro Gewinn. Der Umsatz hat sich zwischen 2018 und 2022 von 4,8 auf 7,4 Millionen Euro gesteigert. „Man kann François Georges wirklich nicht unterstell­en, dass er ein schlechter Manager war“, so Tesch.

Wie geht es nun weiter? Man werde schauen, eine Einigung mit François Georges zu finden, sagte Norbert Conter, ohne zu präzisiere­n, was das genau bedeutet. François Georges erklärte am Freitag auf Nachfrage, sein nächster Schritt sei ein Treffen mit Arbeitsmin­ister Georges Mischo (CSV), das dieser ihm in Aussicht gestellt habe. Er wolle dieses Gespräch abwarten, bevor er über weitere Schritte entscheide.

 ?? ??
 ?? Foto: Marc Wilwert ?? Die Gesellscha­ft ProActif hat seit dem 5. Februar keinen Direktor mehr. Die Entlassung wirft zahlreiche Fragen auf.
Foto: Marc Wilwert Die Gesellscha­ft ProActif hat seit dem 5. Februar keinen Direktor mehr. Die Entlassung wirft zahlreiche Fragen auf.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg