Luxemburg unterstützt Kompromiss, trotz Bedenken wegen Kinderrechten
Luxemburg hat versucht, die Inhaftierung von Kindern auf der Flucht in EU-Grenzlagern auszuschließen. Am Ende trägt die Regierung einen strittigen Kompromiss mit
Am Mittwoch hat der EU-Asyl- und Migrationspakt eine weitere Etappe genommen: Im Innen-Ausschuss des Europäischen Parlaments fand der von EU-Staaten, Parlament und Kommission im Dezember ausgehandelte Entwurf mit den Stimmen der Liberalen und Konservativen mehrheitlich Zustimmung.
Im Zentrum der Asylreform stehen die Grenzverfahren. In Lagern in Grenznähe soll künftig geprüft werden, ob Migranten ein Recht darauf haben, einen Asylantrag zu stellen – oder ob sie beispielsweise aus einem teilweise sicheren Drittstaat kommen und deshalb direkt abgeschoben werden können.
Eine von vielen Sorgen, die insbesondere Kinderrechtler beschäftigt, ist: Was geschieht mit Kindern auf der Flucht? Werden auch sie in Auffanglagern eingesperrt? EU-Länder unter der Führung von Frankreich hatten zuletzt versucht, die ursprünglich vorgesehene Altersbegrenzung von über zwölf Jahren bei der Inhaftnahme von Kindern auf der Flucht abzuschaffen. Dies, obwohl ihre Inhaftierung gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstößt.
Frankreich und Niederlande gegen Altersgrenze
Ein Reporterteam von „Investigative Europe“zeichnete die monatelangen, zähen Verhandlungen nach. Der EU-Asyl- und Migrationspakt ist ein kompliziertes Unterfangen. Er soll die Dublin-Verordnung ablösen, die seit vielen Jahren in der Kritik steht. Länder wie Ungarn und Polen sträubten sich lange grundsätzlich gegen eine Reform.
Aber auch andere EU-Länder fordern inzwischen eine härtere Gangart gegen Menschen, die nach Europa fliehen. Auch, wenn es sich um Kinder handelt. Frankreich hat in den Coreper-Verhandlungen darauf gedrängt, unbegleitete Minderjährige, die auf der Flucht EU-Grenzen überschreiten, festsetzen zu dürfen. Die Niederlande, Tschechien und Dänemark unterstützten den Vorstoß. Im Coreper-Ausschuss sitzen die EU-Diplomaten der Mitgliedstaaten und bereiten wichtige Ratsentscheidungen vor.
„Investigative Europe“zählte vier Länder, die – zunächst – beharrlich Widerstand gegen die Aufhebung der Altersgrenze anmeldeten und eine Ausnahme für Minderjährige von den Grenzverfahren forderten. Deutschland bezeichnete die Inhaftierung von Kindern im Dezember noch als „nicht hinnehmbar“, Luxemburg gar als „völlig indiskutabel“. Im Frühjahr 2023 pochten Diplomaten auf die Einhaltung der Kinderrechte und bekräftigten diese Position gemeinsam mit Portugal und Irland erneut während der Verhandlungen im Dezember. Ein Auszug aus den Sitzungsminuten liegt dem „Wort“vor.
Offenbar hatte der Gegendruck nur teilweise Erfolg. In der vom Innenausschuss vor drei Tagen verabschiedeten Version ist das Inhaftieren von unbegleiteten Minderjährigen nur in Ausnahmefällen erlaubt, wenn das Kind eine Gefahr für die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellt.
„Luxemburg hat sich effektiv dafür eingesetzt, dass keine Minderjährigen in die Prozedur kommen“, heißt es auf „Wort“Nachfrage aus dem Innenministerium. Das Ministerium verweist darauf, dass die Grenzverfahren „allgemein nur an Leuten zur Anwendung kommen, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie internationalen Schutz brauchen“.
Familien mit Kindern in Grenzlagern festgesetzt
Allerdings, räumt das Ministerium weiter ein: Familien mit Kindern könnten sehr wohl unter die Grenzverfahren fallen. Auch hier soll das Prinzip gelten, dass Kinder nicht eingesperrt werden dürfen und in den Auffangstrukturen an der Grenze sollen Standards gelten, „die dem Kindeswohl des Minderjährigen sowie seiner physischer, mentaler, spiritueller und sozialer Entwicklung gerecht werden“. Für deren Kontrolle sei die EU-Kommission zuständig. In Luxemburg wurde 2023 kein Kind mehr im Centre de retention in Findel eingesperrt.
Für Save the children Europe bleibt der Kompromiss dennoch problematisch. Beraterin Federica Toscano in Brüssel weist auf vage Begriffe wie „Sicherheitsrisiko“und „öffentliche Ordnung“hin. „Was verstehen Staaten darunter?“, fragt die Kinderrechtlerin. „Was jetzt vorliegt, erlaubt die Inhaftierung von Kindern unter bestimmten Umständen.“Heute schon würden Kinder auf der Flucht unter unhaltbaren Bedingungen festgesetzt, unbegleitete und auch Kinder, die mit Familienangehörigen fliehen. Der Entwurf sei „ein neuer Tiefpunkt für die Rechte von Kindern“.
Zur Erklärung, warum Luxemburg, trotz kinderrechtlicher Bedenken, den Kompromiss unterstützt, schreibt das Innenministerium: Es handele sich „um einen Kompromiss zwischen allen Mitgliedstaaten im EU-Parlament, „der ganz gut ausgewogen ist und von dem wir hoffen, dass er zu den nötigen Verbesserungen in der Praxis führt“. Die Luxemburger Abgeordnete Isabel Wiseler-Lima (EPP), Stellvertreterin im Innenausschuss, ist direkter: Der politische Druck, die Asyl- und Migrationsreform durchzubringen, sei hoch. Denn im Juli wird Ungarn die Ratspräsidentschaft übernehmen.
Federica Toscana von Save the children Europe warnt indes vor einem Narrativ der Alternativlosigkeit: „Das Ziel, zu einem politischen Deal zu kommen, war wichtiger, als einen Deal zu bekommen, der für Kinder funktioniert“. Ende April soll der Entwurf im EU-Parlament endgültig verabschiedet werden.
Federica Toscana von Save the children Europe warnt indes vor einem Narrativ der Alternativlosigkeit.