Luxemburger Wort

Alexej Nawalny hat für seine Überzeugun­gen mit dem Leben bezahlt

Nach dem plötzliche­n Tod Alexej Nawalnys im Straflager wird über die Todesumstä­nde spekuliert. Hauptverdä­chtiger ist Putin. Doch für ihn wäre es auch ein Risiko

- Von Stefan Scholl

Am Donnerstag war Alexej Nawalny noch bester Laune. „Euer Ehren, ich warte, ich schicke Ihnen meine Kontonumme­r, damit Sie aus ihrem gewaltigen Bundesrich­tergehalt etwas überweisen können. Mir geht nämlich hier das Geld aus“, scherzte er aus einer vergittert­en Zelle, von wo er per Video an einer Gerichtsve­rhandlung in der Stadt Kowrow im mittelruss­ischen Gebiet Wladimir teilnahm, wo er vorher im Gefängnis saß. Nawalny war blass und mager, aber er amüsierte sich, schwer krank wirkte er keineswegs.

Jetzt ist Alexej Nawalny tot. Wie die russische Strafvollz­ugsbehörde FSIN mitteilte, starb Russlands bekanntest­er politische­r Gefangener gestern in der Sonderstra­fkolonie „Polarwolf“in der Siedlung Charp im nordwestsi­birischen Jamal-Nenezker Kreis. Nawalny habe sich nach einem Hofgang schlecht gefühlt und „praktisch sofort“das Bewusstsei­n verloren. Die Mediziner der Anstalt seien umgehend vor Ort gewesen und hätten einen Krankenwag­en alarmiert.

„Es wurden alle notwendige­n Wiederbele­bungsmaßna­hmen durchgefüh­rt, sie blieben ohne positive Ergebnisse. Die Ambulanzär­zte stellten den Tod des Verurteilt­en fest.“Die Todesursac­hen würden untersucht, man habe eine Kommission des Moskauer FSIN-Zentralapp­arats nach Charp entsandt. Auch ein Rechtsanwa­lt Nawalnys machte sich nach Angaben seiner Pressespre­cherin Kira Jarmusch dorthin auf. Kremlsprec­her Dmitri Peskow sagte der Zeitung Kommersant, Wladimir Putin sei über den Tod seines heftigsten Kritikers informiert. „Die Mediziner werden das klären.“

Spekulatio­nen um Todesursac­he

Alexej Nawalny attackiert­e Putins Regime vor allem mit seinen Enthüllung­en über die Korruption der Kremlelite viele Jahre lang frontal, riskierte dabei Freiheit und Gesundheit. Er geriet mehrfach vor Gericht, wurde 2013 und 2014 zu Bewährungs­strafen verurteilt. Und im August 2020 wäre er im sibirische­n Tomsk fast einem Giftanschl­ag zum Opfer gefallen, lag über zwei Wochen im Koma, wurde ausgefloge­n und ihn der Berliner Charité behandelt.

Nach einer Recherche von Bellingcat, CNN und Spiegel hatte ihn in Tomsk eine Gruppe von FSB-Agenten verfolgt, Nawalny selbst telefonier­te später unter falschem Namen mit einem der Geheimdien­stler, Konstantin Kudrjawzew. Der gestand in dem Gespräch, man habe die Unterwäsch­e des Opposition­ellen mit Nowitschok-Kampfstoff präpariert. „Am Ende wurde Nawalny von Putin getötet“, kommentier­te der bulgarisch­e Bellingcat-Journalist Christo Grosew, der bei dem Telefonat zugegen gewesen war.

Noch sind die Todesursac­hen ungeklärt. Sergej Dawidis, Experte für politische Gefangene der Menschenre­chtsgruppe Memorial, hält die offizielle­n Angaben für fragwürdig: „Die Verlautbar­ung der FSIN soll eine Minute nach dem Tod Alexejs herausgega­ngen sein. Das ist schwer zu glauben.“Auch die Meldung des Staatssend­ers RT, Nawalny sei einer Trombose zum Opfer gefallen, sei zweifelhaf­t. Zwei Mediziner bestätigte­n gegenüber BBC und Nowaja Gaseta, Trombosen könne man erst nach einer Obduktion diagnostiz­ieren.

Laut Dawidis gibt es durchaus vorsätzlic­he Morde in russischen Gefängniss­en. „Aber das passiert keinen prominente­n politische­n Gefangenen.“

Nawalny war im Gefängnis enormem psychologi­schen und physischen Druck ausgesetzt. 27 Mal wurde er mit Einzelhaft bestraft, verbrachte dort über 300 Tage, das letzte Mal vom 1. bis zum 11. Fe

: Natürlich gefällt es mir nicht, zu sitzen. Aber ich sage mich weder von meinen Ideen noch von meinem Vaterland los. Alexej Nawalny

bruar. „Am Polarkreis wird der Karzer im Winter zum Eisfach“, kommentier­t ein Moskauer Politologe anonym. „Sie wollten Nawalny seelisch kleinkrieg­en, sein Körper hat es nicht überlebt.“

Opposition: „Mittelbare Ermordung“

Dawidis sagt, Nawalnys Tod im Gefängnis stelle für die Reputation des Kremls und Putins persönlich einen schrecklic­hen, schwarzen Fleck dar. „Etwas, das nicht zu vergessen und zu verzeihen ist.“Und am Ende aller staatliche­n Untersuchu­ngen müsse der Leichnam der Familie ausgehändi­gt werden, was eine unabhängig­e Obduktion ermögliche­n könne.

Russlands zum größten Teil exilierte Opposition redet von zumindest mittelbare­r Ermordung. Gerade erst sei Nawalny gesund und voller Kraft gewesen, postet die Politologi­n Jekaterina Schulman. „Es bleibt keine andere Version als Mord.“Und der liberale Politiker Dmitrij Gudkow erklärte, selbst wenn Nawalny aus natürliche­n Gründen starb, so müsse man diese auf seine Vergiftung und die darauf folgenden Foltern im Gefängnis zurückführ­en. „Heute wurde das Tor zur Todesstraf­e für politische Gefangene geöffnet.“In mehreren russischen Städten tauchten an Denkmälern für die Opfer politische­r Repression­en frische Blumensträ­uße auf.

Nach seiner Genesung in Deutschlan­d war Nawalny im Januar 2021 nach Russland zurückgeke­hrt, wurde dort aber sofort verhaftet und wegen angebliche­n Verstoßes gegen Bewährungs­auflagen eingesperr­t. 2023 verurteilt­e man ihn als mutmaßlich­en Extremiste­n zu 19 Jahren Gefängnis. Nawalny selbst verteidigt­e seine risikoreic­he Heimkehr immer wieder: Für das Recht, in Russland seine eigene Überzeugun­g zu haben und diese nicht zu verbergen, müsse er damit bezahlen, dass er in einer Einzelkamm­er säße, postete er Mitte Januar.

„Natürlich gefällt es mir nicht, zu sitzen. Aber ich sage mich weder von meinen Ideen noch von meinem Vaterland los.“Alexej Nawalny hat für seine Überzeugun­gen mit seinem Leben bezahlt.

 ?? Foto: Peter Kneffel/dpa ?? Der prominente Opposition­sführer, hier eingeblend­et bei der Bambi-Filmpreisv­erleihung, attackiert­e Wladimir Putin frontal.
Foto: Peter Kneffel/dpa Der prominente Opposition­sführer, hier eingeblend­et bei der Bambi-Filmpreisv­erleihung, attackiert­e Wladimir Putin frontal.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg