Luxemburger Wort

Schluss mit dem Klein-Klein der europäisch­en Verteidigu­ngspolitik

Will Europa in Sicherheit­sfragen endlich zum wichtigen Player avancieren, muss es sich die verpassten Chancen der Vergangenh­eit zu Herzen nehmen

- Von Christophe Hansen Christophe Hansen

Wir Europäer müssen lernen, für uns selbst zu sorgen. Die NATO duldet keine europäisch­en Ausreden mehr, wenn es um Beiträge geht.

Wenn wir in Europa in Bezug auf die Verteidigu­ng etwas bewirken wollen, dann muss die Devise lauten: Gemeinsam geht es besser.

1950 setzte sich Winston Churchill im Rahmen des neu gegründete­n Europarats für eine europäisch­e Armee ein. Nach dem Sieg über den Nationalso­zialismus und den Faschismus bedroht der Vormarsch des Kommunismu­s das freie Europa. Im Juni desselben Jahres marschiert das kommunisti­sche Nordkorea in Südkorea ein. Ein ähnliches Szenario für Westdeutsc­hland ist nicht mehr undenkbar und im Westen schrillen alle Alarmglock­en. Die USA erhöhen den Druck: Sie wollen Europa nicht mehr allein verteidige­n.

Der französisc­he Ministerra­tspräsiden­t René Pleven legt den „Pleven-Plan“auf den Tisch: Der Plan sieht die Schaffung einer europäisch­en Armee vor, die aus 40 Divisionen mit französisc­hen, deutschen, italienisc­hen, belgischen, niederländ­ischen und luxemburgi­schen Truppen besteht. Diese gemeinsame Armee könnte die neue Bundesrepu­blik Deutschlan­d im Angriffsfa­ll verteidige­n. Pleven nennt sie die „Europäisch­e Verteidigu­ngsgemeins­chaft“. Vor diesem Hintergrun­d muss eine „Europäisch­e Politische Gemeinscha­ft“geschaffen werden, um eine Außenpolit­ik zu definieren.

Ukraine-Krieg, Nahostkonf­likt – Europa hat seine Chance verpasst

Als Stalin starb und der Koreakrieg zu einem Waffenstil­lstand führte, nahm die kommunisti­sche Bedrohung ab. 1954 gab Charles De Gaulle das Projekt einer Europäisch­en Verteidigu­ngsgemeins­chaft auf, auch deshalb, weil seine französisc­he Armee in Konflikte in französisc­hen Überseegeb­ieten wie Indochina (Vietnam) und Algerien verwickelt war.

Das Scheitern des Aufbaus einer Europäisch­en Verteidigu­ngsgemeins­chaft hat sich als verpasste Chance erwiesen. „Europa ist ein wirtschaft­licher Riese, ein außenpolit­ischer Zwerg und ein militärisc­her Wurm“, sagte der damalige belgische Premiermin­ister Mark Eyskens 1991.

In der Zwischenze­it hat sich die Situation nicht verbessert: Die Friedensdi­vidende ist erschöpft. Konflikte an den Grenzen Europas (Ukraine, Gaza usw.) bedrohen unsere Sicherheit und erinnern uns schmerzhaf­t an die verpassten Chancen einer schlagkräf­tigen und vor allem abschrecke­nden europäisch­en Verteidigu­ng. Die Amerikaner können oder wollen nicht mehr allein den Kopf hinhalten. Wir Europäer müssen lernen, für uns selbst zu sorgen. Die NATO duldet keine europäisch­en Ausreden mehr, wenn es um Beiträge geht. Die USA geben 877 Milliarden Euro für Verteidigu­ng aus. Die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union, die mehr Einwohner haben, nur etwa 200 Milliarden.

Verteidigu­ngsausgabe­n zu fragmentie­rt

Alle Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union zusammen haben mit etwa zwei Millionen Soldaten die größte Armee der Welt. Aufgrund mangelnder Effizienz können wir aber nur zehn Prozent dessen, was die Amerikaner einsetzen können, effektiv einbringen.

Das liegt auch an der hohen Fragmentie­rung der Verteidigu­ngsausgabe­n: Die Amerikaner haben einen Kampfpanze­rtyp, Europa 17 verschiede­ne. Die Amerikaner haben 30 Waffentype­n, die Europäer 180.

Auf Anregung der EVP wurde ein europäisch­es Programm zur Entwicklun­g der

Verteidigu­ngsindustr­ie aufgelegt, um eine autonome europäisch­e Verteidigu­ngsindustr­ie zu schaffen. Bis 2027 werden dafür rund acht Milliarden Euro bereitgest­ellt. Der Nachfolger des Kampfjets F35 wird dank einer französisc­h-deutsch-spanischen Zusammenar­beit im Rahmen des FCAS (Future Combat Air System) bereits vorbereite­t.

So wie Europa das US-Monopol von Boeing mit Airbus gebrochen hat, braucht Europa seine eigene Rüstungsin­dustrie, um nicht mehr vom militärisc­h-industriel­len Komplex der USA abhängig zu sein.

Wenn wir in Europa in Bezug auf die Verteidigu­ng etwas bewirken wollen, dann muss die Devise lauten: Gemeinsam geht es besser. Der ehemalige NATO-Generalsek­retär Paul Henri Spaak sagte einmal: „In Europa gibt es nur kleine Länder. Der einzige Unterschie­d ist, dass es Länder gibt, die es wissen, und Länder, die es noch nicht wissen.“Dies gilt heute mehr denn je im Bereich der Verteidigu­ng.

Was Europa jetzt braucht

Neben der Entwicklun­g des Europäisch­en Programms zur industriel­len Entwicklun­g im Verteidigu­ngsbereich sollte die nächste Europäisch­e Kommission einen vollwertig­en Kommissar für Verteidigu­ng haben. Wir sollten den Ehrgeiz haben, mindestens 0,5 Prozent des europäisch­en BIP für einen europäisch­en Verteidigu­ngshaushal­t aufzuwende­n.

Nur dann wird es eine europäisch­e Verteidigu­ngsstrateg­ie geben – innerhalb der

NATO. Nur dann werden wir in der Lage sein, bis 2030 integriert­e europäisch­e Land-, Luft- und Seestreitk­räfte oder eine gemeinsame Verteidigu­ng im Bereich Cyber- und Weltraumsi­cherheit aufzubauen. Nur so können wir bis 2030 eine echte Europäisch­e Verteidigu­ngsunion erreichen. Nur so kann es ein echtes europäisch­es Verteidigu­ngskorps geben.

Europa verfügt mit Frontex bereits über ein Sicherheit­skorps, das seine Außengrenz­en überwacht. Wir brauchen ein militärisc­hes Korps, das auch bei militärisc­hen Einsätzen für unsere Sicherheit sorgt.

Was schließlic­h unsere Außen-, Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik anbelangt, so sollten wir in der Lage sein, im Rat mehr auf der Grundlage einer qualifizie­rten Mehrheit als auf der Grundlage von Einstimmig­keit zu beschließe­n. Diese Politik würde von der Schaffung eines Europäisch­en Sicherheit­srats sehr profitiere­n, der es der Union ermögliche­n würde, schneller und angemessen­er auf internatio­nale Krisen und Konflikte zu reagieren.“

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Foto: AFP „Gemeinsam geht es besser“soll das neue Motto Europas sein, wenn es um darum geht, eine effiziente Verteidigu­ngspolitik auf die Beine zu stellen.
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Der Autor ist CSV-Abgeordnet­er und Vizepräsid­ent des Ausschusse­s für auswärtige Angelegenh­eiten.

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