Luxemburger Wort

Was ist los bei Boeing?

Der amerikanis­che Flugzeugba­uer fliegt derzeit von Panne zu Panne. Die Luxemburge­r Airlines, die Kunden des Unternehme­ns sind, beunruhigt das nicht

- Von Thomas Klein

Es ist der Alptraum jedes Flugreisen­den. Während des Fluges reißt in knapp 5.000 Metern ein Bauteil aus der Maschine und die Passagiere starren panisch in ein Loch in der Kabinenwan­d, während der Unterdruck lose Gegenständ­e aus dem Innenraum saugt. So geschehen an Bord einer Boeing 737 Max 9 von Alaska Airlines am 5. Januar dieses Jahres. Die Ursache für den Vorfall war offenbar, dass vier Bolzen fehlten, die den herausgefa­llenen „Door Plug“eigentlich fixieren sollten. Im Anschluss an die Panne sprach die amerikanis­che Flugaufsic­htsbehörde ein zeitweilig­es Flugverbot für weltweit 171 Maschinen vom Typ Max 9 aus.

Das war nicht der erste und nicht der letzte Vorfall in letzter Zeit im Zusammenha­ng mit einer Maschine, die von Boeing gebaut wurde. Alleine in den ersten Monaten dieses Jahres gab es weitere Meldungen über Qualitätsp­robleme bei dem amerikanis­chen Flugzeugba­uer. Alaska Airlines stellte bei internen Inspektion­en von Max 9-Flugzeugen nach der Beinah-Katastroph­e fest, dass Schrauben bei mehreren Maschinen locker waren.

Anfang Februar teilte der Konzern mit, dass Löcher in Flugzeugrü­mpfen wohl nicht den Anforderun­gen entspreche­nd gebohrt wurden, und 50 noch nicht ausgeliefe­rte Maschinen nachbearbe­itet werden müssen. Der Tiefpunkt der Krise bei dem Flugzeugba­uer waren die Abstürze zweier Passagierm­aschinen vom Typ 737 MAX 8 2018 und 2019 gewesen, bei denen insgesamt 346 Passagiere und Crew-Mitglieder ums Leben kamen. Für Maschinen dieses Typs bestand nach den Vorfällen ein weltweites Flugverbot von fast zwei Jahren.

Luxemburge­r Airlines stehen zu Boeing

Angesichts der fortgesetz­ten Qualitätsp­robleme bei Boeing verlieren die Airlines die Geduld. Der Chef von Emirates Airline, einer der größten Kunden des Unternehme­ns, sagte kürzlich, dass es einen „fortschrei­tenden Rückgang“der Boeing-Standards gebe, und dass Boeing sich im „Last Chance Saloon“befinde. Der CEO von United Airlines wetterte im Interview, dass die jüngsten Flugverbot­e für die Max 9 der Tropfen gewesen seien, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe und deutete an, die Bestellung für die nächste Max-Reihe zurückzufa­hren.

Von Luxemburge­r Airlines ist bisher nichts Derartiges zu hören. Laut „Direction de l’Aviation Civile“sind derzeit 42 Flugzeuge von Boeing in Luxemburg registrier­t: 30 747 bei Cargolux (davon vier bei Cargolux Italia), zehn 737 bei Luxair und zwei 737 bei Global Jet. Die aktuellen Qualitätsp­robleme beträfen nicht ihre Maschinen, versichern sowohl Luxair als auch Cargolux auf Anfrage. Auch zusätzlich­e Maßnahmen hält man nicht für notwendig, schreibt Luxair in einer Stellungna­hme, die Kontrollen seien „bereits auf dem allerhöchs­ten Niveau“. Ebenso wenig sieht die Luxemburge­r Flugaufsic­ht die Notwendigk­eit für zusätzlich­e Kontrollen. „Gegeben dem Umstand, dass keine der in Luxemburg immatrikul­ierten Flugzeuge von diesen Problemen betroffen sind, werden zu diesem Zeitpunkt keine zusätzlich­en Maßnahmen ergriffen“, schreibt die Behörde auf Anfrage.

Auf die Einkaufspo­litik der Luxemburge­r Airlines haben die Pannen des amerikanis­chen Hersteller­s keinen Einfluss, bestätigen beide Gesellscha­ften. Luxair wird bis 2026 zwei weitere 737 Max 8 geliefert bekommen. Cargolux bestellte 2022 zehn 777-8 Frachtflug­zeuge. Das erste davon soll im vierten Quartal 2027 ausgeliefe­rt werden. Sobald die Fertigung beginne, werde man eigene Ingenieure zu Boeing schicken, um die Produktion der Flugzeuge zu überwachen, aber das sei in der Branche gängige Praxis, schreibt das Unternehme­n.

Buchhalter statt Ingenieure

Aber wie konnte es dazu kommen, dass das Unternehme­n, das mehr als einmal die globale Luftfahrt revolution­ierte, so fehleranfä­llig wurde? Für viele Branchenke­nner beginnen die Probleme bei Boeing bereits in den 1990er Jahren mit der Übernahme des Erzrivalen McDonnell Douglas. Waren bis dato die Ingenieure die Superstars des Betriebs gewesen, rückten nun die Buchhalter in den Mittelpunk­t. In schneller Folge wechselnde Unternehme­nslenker trimmten den Konzern auf Gewinnmaxi­mierung, zulasten des alten Fokus auf technische Perfektion und der Konzentrat­ion auf kleinste Details. „Wenn Leute sagen, ich hätte die Kultur von Boeing verändert, dann war (genau) das die Absicht, damit es mehr wie ein Unternehme­n und nicht wie ein großes Ingenieurb­üro geführt wird“, sagte etwa Harry Stoneciphe­r, der Boeing zu Anfang des Jahrhunder­ts leitete.

„Damals gab es im Unternehme­n einen Bruch, der sich bis heute durchzieht. Wenn man sich die letzten zwanzig Jahre anschaut, gab es nicht nur die Probleme mit der 737; auch die 787 stand lange am Boden. Das Nachfolgem­odell der Boeing 777 ist um Jahre verspätet“, sagt Andreas Bardenhage­n, der den Lehrstuhl für „Luftfahrze­ugbau und Leichtbau“an der TU Berlin innehat. „Das findet sich in fast allen Passagier- und Transportf­lugzeugen bei Boeing. Das ist im Moment ein Unternehme­n, was nicht das zeigt, was man eigentlich von ihm erwartet.“

Gefährlich­e Kompromiss­e

Auch die Entscheidu­ng aus dem Jahr 2011, die in die Jahre gekommene 737 nicht durch ein neu entwickelt­es Flugzeug zu ersetzen, sondern mit einem Upgrade zum Typ 737 Max zu modernisie­ren, war vor allem von Rentabilit­ätsüberleg­ungen getrieben. „Um ein komplett neues Flugzeug zu entwickeln, muss man mit Kosten von um die zwölf Milliarden US-Dollar rechnen. Um das wieder einzuspiel­en, muss ich Tausende von Flugzeugen verkaufen“, erklärt der Professor gegenüber dem „Luxemburge­r Wort“. „Neue Flugzeuge erfordern fünf bis zehn Jahre Entwicklun­gszeit von der Idee bis zum Erstflug, werden dann in der Regel über 20 Jahre lang produziert und flie

gen dann nochmal 25 bis 30 Jahre. Man muss sich also sehr genau überlegen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist.“

Bei Boeing habe man sich im Falle der Boeing 737 entschiede­n, noch eine Generation zu warten. Um den Flieger dennoch konkurrenz­fähig zu modernisie­ren, mussten die Konstrukte­ure einige Kompromiss­e eingehen. „Dabei ist man aber vielleicht in einigen Punkten über das hinausgega­ngen, was ein guter Ingenieur tun sollte“, sagt Bardenhage­n.

Nicht nur für Boeing bedeutete die Entscheidu­ng eine kurzfristi­ge Kostenersp­arnis, auch die Airlines konnten mit Unterstütz­ung des Hersteller­s darauf verzichten, ihre Piloten aufwendig für ein neues System zu trainieren. Zusammen mit weiteren Faktoren führte das schließlic­h zu den katastroph­alen Abstürzen der Jahre 2018 und 2019.

Fehlende Brandmauer

In vielen der erwähnten Fälle versagten offenbar die Qualitätsk­ontrollen des Hersteller­s. „Solange Menschen involviert sind, passieren Fehler. Es muss allerdings sichergest­ellt sein, dass es eine Brandmauer gibt und solche Fehler nicht bei der Airline ankommen, und man immer ein sicheres Flugzeug ausliefert. Diese Brandmauer gab es in den bekannt gewordenen Fällen, zum Beispiel den fehlenden Bolzen bei dem Door Plug, bei Boeing offenbar nicht“, sagt Bardenhage­n.

Die jüngsten Qualitätsp­robleme dürften dabei auch eine Spätfolge der Entlassung­en in der Pandemie sein. Boeing hatte im April 2020 angekündig­t, etwa zehn Prozent seiner weltweit rund 160.000 Stellen zu streichen. „Im Unterschie­d zu Europa gibt es in den USA nicht die Möglichkei­t zur Kurzarbeit. Die Leute wurden also entlassen und später wurden andere wieder eingestell­t, als es wieder hochlief. Die für den Flugzeugba­u notwendige Qualitätsk­ultur muss sich dann aber immer wieder neu entwickeln. Das braucht Zeit“, sagt Bardenhage­n. Eine kurzfristi­ge Lösung für den Konzern sieht er nicht. „Es dauert normalerwe­ise genauso lange, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, wie ihn da reinzubrin­gen. Das ist ein langwierig­er Prozess“, sagt er.

Der Bedarf an neuen Maschinen wächst dabei beständig; der Datenanbie­ter Cirium prognostiz­ierte vor kurzem, dass in den nächsten 20 Jahren rund 46.000 neue Passagier- und Frachtflug­zeuge ausgeliefe­rt werden. Die einzige ernstzuneh­mende Alternativ­e zu Boeing ist Airbus, das seinerseit­s volle Auftragsbü­cher und begrenzte Zusatzkapa­zitäten hat. Airlines, die unzufriede­n mit der Qualität bei Boeing sind, können daher nicht so ohne weiteres zum europäisch­en Konkurrent­en ausweichen.

Trotz der Vorfälle betont Bardenhage­n aber, dass Fliegen nach wie vor sehr sicher sei, egal ob mit Boeing oder einem anderen Hersteller. „Da ist die Wahrschein­lichkeit höher, dass Sie im Lotto gewinnen, als dass Sie mit einer Maschine abstürzen“, sagt der Luftfahrti­ngenieur.

Das ist im Moment ein Unternehme­n, was nicht das zeigt, was man von ihm erwartet. Andreas Bardenhage­n, TU Berlin

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Foto: TU Berlin / Philipp Arnoldt Photograph­y Für Luftfahrte­xperte Andreas Bardenhage­n hängen die Qualitätsp­robleme bei Boeing auch mit dem Kulturwand­el bei dem Unternehme­n zusammen.
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Foto: Getty Images/iStockphot­o Auch die Luxemburge­r Fluggesell­schaften werden überwiegen­d von Boeing beliefert. Zuletzt gab es häufig Qualitätsp­robleme bei dem Hersteller.

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