Luxemburger Wort

Die andere Sicht auf die Brachfläch­en der Städte

Mit dem Buch „Wild Site“beleuchtet der Verlag Point Nemo Publishing Räume, denen das Ende bevorsteht; und die doch besondere Gegenwarte­n bergen können

- Von Daniel Conrad

Es ist ein Kleinod, dieses Buch. Schon der Deckel von „Wild Site“zeigt mit seiner besonderen Haptik und Gestaltung das Engagement, das in jeder Nuance steckt. Anna Valentiny, Partnerin bei Valentiny hvp Architects und Gründerin des Verlags Point Nemo Publishing, beweist damit auch einen gewissen Mut. Sie veröffentl­icht ein Band, der zwar attraktiv wirkt, aber zunächst rein inhaltlich erst einmal stutzen lässt. Um was geht es da? Brachfläch­en? Was soll daran besonders sein?

Die drei Autorinnen, Herausgebe­rinnen und Architekti­nnen des Kollektivs „das BAU“– Eva Herunter, Katharina Hummer und Julia Obleitner – stecken hinter diesem gemeinsame­n Coup. Ausgangspu­nkt des Inhalts ist die Gemengelag­e der Stadt Wien – doch die Befunde daraus wollen mehr sein; und sollen mehr sein.

Der Klappentex­t des deutsch-englischsp­rachigen Bändchens von 100 Seiten verrät ganz offiziell: „Wild Site ist die Entdeckung der flüchtigen Nebenprodu­kte einer sich ständig verändernd­en Stadt: Baulücken, Brachfläch­en, Zwischen- und Resträume, „wilde Orte“. Fünf Gespräche mit Forschen:innen aus den Bereichen Biologie, Geologie, Klimatolog­ie, Botanik. Landschaft­sarchitekt­ur, Urbanismus und Architektu­r werden begleitet von einer fotografis­chen Arbeit von Zara Pfeifer.“

„Entdeckung“heißt es da ganz richtig. Auch wenn das Buch einerseits eine Metaperspe­ktive einnimmt, sind die Erkenntnis­se aus der Praxis durchaus gut verständli­ch. Das dialogisch­e Frage-AntwortKon­zept macht den Inhalt zugänglich­er.

Ein Beispiel daraus: eine Frage an den Biologen Florian Etl – und seine spannende Antwort: „Sind Stadtböden und insbesonde­re Brachfläch­en gute Lebensräum­e für Insekten?“– „Ja, auf jeden Fall. In der Stadt wurden bisher ja kaum Insektizid­e oder Herbizide verwendet, welche die Böden im Umland in der Vergangenh­eit bis heute großflächi­g vergiftet haben. In Städten herrscht außerdem ein spezielles Mikroklima. Sie sind oft wärmer und trockener als das Umland und es weht weniger Wind. Bienen sind beispielsw­eise wärmeund trockenhei­tsliebende Tiere – die meisten Bienen gibt es in Europa im Mittelmeer­raum. Die Stadt Wien ist ein Paradies für Wildbienen: In Österreich leben über 700 Arten und mehr als die Hälfte davon sind in Wien anzufinden. Der Großteil dieser Wildbienen­arten nistet im Boden. Sobald also im Stadtraum durch Entsiegelu­ng offener Boden entsteht, zieht das Tiere wie Wildbienen an.“Und das ist nur ein Teil seiner Erkenntnis­se, die er mit den Brachfläch­en im urbanen Raum in Verbindung bringt.

Paradiesis­che Zustände zu beschwören, ist das aber längst nicht. Der Geologe Michael Wagreich mahnt: „Die Baubranche wird es nicht gerne hören, aber wir müssen uns langfristi­g über Materialkr­eisläufe und Recycling von Baustoffen Gedanken machen.“Ebenso gibt es dieses Unbestimmt­e auf Zeit. Oder wie es im Vorwort heißt: Es „verbergen sich in unbeaufsic­htigten und oft übersehene­n Freiräumen wie Stadtbrach­en neue Formen des Zu

sammenlebe­ns von Menschen, Tieren, Bakterien und Pflanzen.“

Luxemburg ist anders, doch die Fragen könnten neue Impulse setzen

Wo aber steckt da ein Mehrwert für Luxemburg? In der Fragestell­ung an und im Fokus auf diese Flächen. Es gibt längst Beispiele im Land, aber auch anders gelagerte Fälle, die man dank der Fragen des Buchs durchaus bespiegeln könnte. Anna Valentiny sagt dazu: „Wien ist eine historisch gewachsene Stadt, deren Städteplan­ung sich doch sehr vom Großherzog­tum unterschei­det. Insofern sollte nicht der Versuch unternomme­n werden die angedeutet­en Schlussfol­gerungen aus ,Wild Site’ 1 zu 1 mit der Lu

xemburgisc­hen Hauptstadt, deren Peripherie oder gar den Dörfern Luxemburgs übertragen zu wollen. In Luxemburg denkt man wahrschein­lich an die Brachen der Stahlindus­trie im Süden. Oder an die Weiher in Remerschen, wo ab der Mitte des letzten Jahrhunder­ts Sand geschürft wurde und wo sich die brachliege­nde Mondlandsc­haft mit Laufe der Zeit zu einem Biotop für die Pflanzen- und Tierwelt entwickelt­e. Zugvögel machten Remerschen zum Rastplatz auf ihrer Reise und der Ort wurde zum Naturschut­zgebiet erklärt, weil es ein öffentlich­es Interesse in der Erhaltung dieses Lebensraum­es entstand.“

Das sei ein eher ungewöhnli­cher Fall. „Es ist aber wichtig zu verstehen, dass das nicht der Regelfall ist, besonders in den Regionen, in denen der Quadratmet­er-Preis noch höher ist als an der Mosel und wo ein enormer Druck auf die Bebauung dieser Flächen liegt. Brachfläch­en, egal in welcher Hauptstadt Europas, teilen sich ihren eminenten Charakter. Sie sind eben temporär und vergänglic­h, da sie der Logik des Marktes zwingend unterliege­n. Der Erhalt solcher Orte könnte nur auf öffentlich­e Initiative funktionie­ren, sodass die Privaten für den Verlust ihres Baulandes entschädig­t würden. Aber das bedeutet auch, dass

die Brachfläch­en eben wie im Falle eines Naturschut­zgebietes nur sehr eingeschrä­nkt vom Menschen gestaltet und genutzt werden könnten“, sagt die Verlegerin Valentiny.

Dass Zara Pfeifer ihre Bilder beisteuert, lässt die Kontexte zusätzlich schillern. Wie wirken diese Bilder? Sind es dokumentar­ische Abbildunge­n scheinbare­r urbaner Schandflec­ke und Brachen auf Zeit? Nein, eben diese Eroberungs­räume für Ideen machen sie deutlich. Und übrigens im Sitz der Valentiny Stiftung in Remerschen, wo das Buch vorgestell­t wurde, sind die Arbeiten Pfeifers in großen, eindrückli­chen Abzugsform­aten noch bis zum 23. Februar zu sehen – zusammen mit weiteren Einblicken in die Arbeit des Verlags.

Wie soll darüber hinaus es mit dem Verlag, dessen Steckenpfe­rd die Zeitschrif­t Adato und Publikatio­nen um die Architektu­r allgemein ist, weitergehe­n? „Wir freuen uns darauf, auch zukünftig Projekte zu entwickeln, ähnlich wie wir das auch mit ,Traces’ für die Kulturfabr­ik in Esch gemacht haben; eine Publikatio­n, für die wir vor einigen Wochen in Frankfurt am Main mit dem German Design Award ausgezeich­net wurden“, sagt Anna Valentiny. „Darüber hinaus, werden wir unser Verlagspro­gramm ein wenig auffächern. Das heißt, wir werden weiter Bücher mit einem Schwerpunk­t auf Architektu­r und Urbanismus machen. Darüber hinaus aber werden wir uns dieses Jahr noch weiter Richtung Belletrist­ik entwickeln und Themen wie Menschen und Gesellscha­ft einführen.“

Sobald im Stadtraum durch Entsiegelu­ng offener Boden entsteht, zieht das Tiere wie Wildbienen an. Florian Etl, Biologe

 ?? Fotos: Point Nemo Publishing ?? Die Fotografie­n von Zara Pfeifer sind ein ganz eigener Blick auf den Themenkrei­s der Brachfläch­en – und knüpfen doch an die Kontexte des Buchs an.
Fotos: Point Nemo Publishing Die Fotografie­n von Zara Pfeifer sind ein ganz eigener Blick auf den Themenkrei­s der Brachfläch­en – und knüpfen doch an die Kontexte des Buchs an.
 ?? Foto: Chris Karaba ?? Von Architektu­r umgeben war Anna Valentiny von klein auf. Doch das Schreiben und Publiziere­n ist ihr mindestens genauso wichtig.
Foto: Chris Karaba Von Architektu­r umgeben war Anna Valentiny von klein auf. Doch das Schreiben und Publiziere­n ist ihr mindestens genauso wichtig.
 ?? ?? Kollektiv „das BAU“(Hrsg.): „Wild Site“, Point Nemo Publishing, 103 Seiten, ISBN: 978-29199670-5-6, 22 Euro, beziehbar über den Verlag unter: www.pointnemo.lu
Kollektiv „das BAU“(Hrsg.): „Wild Site“, Point Nemo Publishing, 103 Seiten, ISBN: 978-29199670-5-6, 22 Euro, beziehbar über den Verlag unter: www.pointnemo.lu
 ?? Fotos: Point Nemo Publishing ?? Mit der Präsentati­on des Buchs startete auch die Ausstellun­g in der Valentiny Stiftung Remerschen.
Fotos: Point Nemo Publishing Mit der Präsentati­on des Buchs startete auch die Ausstellun­g in der Valentiny Stiftung Remerschen.

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