„Manchmal muss man sich einmischen“
Die deutsche TV-Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim über ihre Wissensshow, Populismus und Pläne, sich selbst politisch zu engagieren
Faktentreu, unterhaltsam und meinungsstark: Mai Thi Nguyen-Kim ist die wohl bekannteste Wissenschaftsjournalistin Deutschlands. In ihrer Wissensshow „Maithink X“– neue Folgen gibt's ab diesem Sonntag auf ZDFneo – beleuchtet die 36-Jährige gesellschaftlich relevante Fragen aus allen möglichen Bereichen. In der sechsteiligen neuen Staffel geht es unter anderem um Populismus, Fasten und Klima-Kipppunkte.
Mai Thi Nguyen-Kim, die neue Staffel Ihrer Wissenschafts-Show „Maithink X“ist Ihre Bildschirm-Rückkehr nach der Babypause. Haben Sie es vermisst, in den Medien aktiv zu sein?
Ich habe es sehr vermisst zu arbeiten. Es ist zwar schmeichelhaft, wenn Leute denken, dass ich einfach alles weiß. Aber ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, neue Sachen zu lernen – und wenn man sich eine Zeit lang nur mit einem Baby beschäftigt hat, tut es richtig gut, kognitiv wieder gefordert zu werden. Ich freue mich richtig auf „Maithink X“und alles, was noch kommt.
Mit Ihrem Wissenschaftsbuch „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“sind Sie 2021 auf den Bestsellerlisten gelandet. In wenigen Wochen erscheint Ihr erstes Sachbuch für Kinder …
Es war klar, dass ich früher oder später etwas für Kinder machen würde. Ich bin der klassische Fall von: Habe mich nie für Kinder interessiert, war immer etwas linkisch und wollte nie die Babys anderer Leute auf den Arm nehmen aus Angst, etwas kaputtzumachen. Aber mit der eigenen Mutterschaft hat sich das geändert. Meine erste Tochter wurde Anfang 2020 geboren, und sie hat mir damals meinen Glauben an die Menschheit gerettet. Wenn man diese pure Form von Homo Sapiens jeden Tag beobachtet, dann denkt man sich: Was für eine tolle Spezies wir sind. (lacht) Und so freue ich mich sehr, dass im Frühjahr mit „Bibibiber hat da mal ne
Frage“eine Sachbuchreihe für Kinder erscheint, die ich gemeinsam mit Marie Meimberg gemacht habe.
Hatten Sie als Kind selbst viele Wissensbücher?
Von der Reihe „Was ist was“hatte ich, glaube ich, alle Bände, die es gab. Und natürlich hat mich mein Vater, der Chemiker war, sehr geprägt. Für mich war schon als Kind immer klar, dass Chemie nichts ist, was im Labor oder in verstaubten Bibliotheken passiert, sondern in der Küche, im Kochtopf, im Alltag. Ich konnte nie verstehen, wie man das nicht toll finden kann.
Wenn man sich einer populistischen Rhetorik bedient, wird man einfach stärker wahrgenommen als mit einer differenzierten, nuancierten Haltung.
Wenn man es gut erklärt, findet doch jeder Wissenschaft klasse. Viele Menschen können den Nerd in sich entdecken, behaupte ich.
Und woran scheitert es?
Die Darstellungsart, zum Beispiel in der Schule und in Sachbüchern, holt nicht alle ab. Es muss doch nicht sein, dass Wissenschaft immer so unglaublich ernst und staubtrocken dargestellt wird. Es kann doch in der Form ansprechend sein, dann kriegt man auch komplexe Inhalte unter. Genau das ist es ja, was ich mit meinem Erwachsenen-Content auch versuche.
In der Coronakrise wurden Wissenschaftler regelrechte Medienstars. Wie fanden Sie das?
Der Wissenschaft ist während Corona ein Schicksal widerfahren, mit dem ich nie gerechnet hätte: der Nationaltrainer-Effekt. Man sagt ja immer, dass Deutschland 80 Millionen Bundestrainer hat. Wir hatten während Corona 80 Millionen Virologen im Land, die glaubten sich auszukennen, obwohl das in den wenigsten Fällen zutraf. Das kam nur dadurch zustande, dass Wissenschaft in den Medien sehr präsent war. Dazu habe ich sehr ambivalente Gefühle.
Inwiefern?
Ich nenne es das Aufmerksamkeitsdilemma der Wissenschaft. Wenn ich keine öffentliche Aufmerksamkeit habe, kann ich nichts vermitteln – das wäre schlecht, denn dann fließen die Erkenntnisse nicht in gesellschaftliche Debatten und politische Entscheidungen ein. Aber eine zu große mediale Aufmerksamkeit schadet der Wissenschaft, weil sie automatisch Verkürzung und Zuspitzung bedeutet, denn einfache Antworten werden in unserer Mediengesellschaft lieber gehört als differenzierte.
Eine Folge aus der neuen Staffel von „Maithink X“kreist ums Thema Populismus. Wie kann man das wissenschaftlich beleuchten?
Es geht in der Sendung unter anderem um populistische Rhetorik. Es gibt diverse Scheinargumente, die auch alle einen eigenen Namen haben. Zum Beispiel das sogenannte falsche Dilemma, das derzeit in fast allen hitzigen gesellschaftlichen Debatten auftaucht, etwa in Zusammenhang mit dem Nahost-Krieg – dabei wird suggeriert, dass es nur zwei extreme Haltungen an den entgegengesetzten Enden eines Spektrums gäbe und nichts dazwischen.
Ihre These ist, dass es populistische Rhetorik in allen Parteien gibt – ist das so?
Ja, das ist so. Populismus ist keine eigene Ideologie, sondern eine bestimmte Art, Politik zu machen, und mit jeder beliebigen Parteipolitik verknüpfbar. Wenn man sich einer populistischen Rhetorik bedient, wird man einfach stärker wahrgenommen als mit einer differenzierten, nuancierten Haltung. Nicht alle Politiker und Politikerinnen arbeiten populistisch, aber Populismus gibt es in allen Parteien. Wir können das auch anhand von Beispielen demonstrieren.
Aber diese Rhetorik ist nicht in allen Parteien gleich stark ausgeprägt …
Natürlich ist es in bestimmten Parteien einfacher, Beispiele zu finden. Und es gibt eben Ideologien, die demokratiegefährdend sind, und dagegen muss man natürlich etwas unternehmen. Ich finde, dass
Artikel 1 unserer Verfassung, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, unser kleinster gesellschaftlicher Konsens ist – und der wird von Parteien wie der AfD angegriffen, den müssen wir verteidigen. Es ist ein Trugschluss zu sagen, dass man sich als Wissenschaftler raushalten sollte aus öffentlichen Debatten, weil Wissenschaft neutral sein müsse. Manchmal muss
man sich einmischen, um die Neutralität der Wissenschaft zu verteidigen.
Sie könnten sich also vorstellen, selbst aktiv in die Politik zu gehen?
Naja, Politik und Wissenschaft sind ja im Kern sehr verschieden. Ich mag an evidenzbasierten Naturwissenschaften genau das, was andere abschreckt: diese Kompromisslosigkeit. Wissenschaft ist nicht demokratisch, da gilt nicht die Mehrheit der Meinungen, sondern die Stärke der Evidenz. In meiner Welt gibt es Zahlen, Daten, Fakten, und das finde ich schon angenehm. Politik finde ich da deutlich schwieriger, da habe ich Politiker und Politikerinnen um ihren Job nie beneidet. Aber man sollte natürlich niemals nie sagen.
Der Wissenschaft ist während Corona ein Schicksal widerfahren, mit dem ich nie gerechnet hätte: der Nationaltrainer-Effekt.