Streitbar, aber kompromissbereit
Mehr als zehn Jahre nach seinem Tod zeichnet ein Buch Stationen des OGBL-Gründers und LSAP-Abgeordneten John Castegnaro nach
Zu viel Nähe zwischen Journalisten und Politiker gilt heutzutage als eher anrüchig. Doch zum einen wechselte OGBL-Gründer John Castegnaro, dessen Lebensweg der Journalist Robert Schneider in „De Casteg – Ein Leben für die Anderen“nachzeichnet, erst spät in die Politik. (Den Namen Casteg soll Castegnaro selbst geprägt haben.)
Zum anderen ist der Journalist des „Tageblatt“wie kein anderer prädestiniert, den Rückblick auf den Gründer von Luxemburgs größter Gewerkschaft zu schreiben. Zu den vielen Engagements Castegnaros neben der Leitung des Onofhängegen Gewerkschaftsbond Lëtzebuerg, wie die Gründung des Pflegedienstes Help ASBL oder der Fondation Elysis ASBL, zählte auch der Vorsitz der Editpress-Gruppe.
Zehn Jahre nach Castegnaros Tod Startschuss für Buchprojekt
Schneider ist nicht der einzige Autor: Initiator der mit vielen Bildern und einigen handschriftlichen Notizen versehenen 190-seitigen Fleißarbeit ist John Castegnaros einziger Sohn, Guy, heute Anwalt und auf Arbeitsrecht spezialisiert. „Ich musste erst einmal trauern. Aber der Gedanke, über das Leben meines Vaters zu schreiben, kam mir beim Begräbnis.“Zur Trauerfeier am 20. Juli 2012 in Rümelingen kamen damals Hunderte Menschen, darunter bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft.
„Ich war ganz frei, aufzuschreiben. Ich habe mich nicht in seinen Teil gemischt und er sich nicht in meinen.“Guy sei auf ihn zugegangen, erzählt Robert Schneider. Das war ziemlich genau zum zehnten Todestag des Gewerkschaftschefs, LSAP-Mitglieds und späteren Abgeordneten. Schneider hatte im „Tageblatt“einen Rückblick verfasst; kurz darauf habe sich Castegnaro gemeldet, um ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen.
Herausgekommen ist eine gemeinschaftlich erstellte Biografie, erschienen bei Editions le Phare, dessen erste, vom Sohn verfasste Partie eine Hommage an einen für sein Engagement bewunderten, aber oft abwesenden Vater ist. Der Titel kommt nicht von ungefähr: „Er war ein guter Vater, aber er war häufig unterwegs. Wir haben ihn nicht oft gesehen“, erinnert sich Guy Castegnaro.
Seine Herkunft hat Castegnaro nie vergessen
Guy Castegnaro gibt Einblick in die armen Verhältnisse, in die John, der 1944 in Differdingen als Sohn italienischer Einwanderer geboren wurde, aufgewachsen ist. Vater Claudio (Guys Großvater) stammte aus dem norditalienischen Brendalo und verstarb früh nach einem Arbeitsunfall. John wuchs mit Bruder Mario und Schwester Sonja allein bei der Mutter auf, lernt Maschinenschlosser und wird mit jungen Jahren bereits gewerkschaftlich aktiv.
Der frühe Verzicht sollte Castegnaros Engagement prägen – deren Kehrseite für seine Kinder eine häufige Abwesenheit bedeutete. Bei aller Anerkennung und Bemühen, die beträchtlichen Errungenschaften zu unterstreichen, fällt eine gewisse Distanz auf. Intimere Erzählungen von Momenten zwischen Vater und Sohn tauchen in der ersten Partie nicht auf.
Für politisch und gewerkschaftlich Interessierte gibt die zweite Partie mehr Aufschluss über eine ambivalente Person, die Zeitzeugen als charismatisch, kompromissbereit, andere auch als aufbrausend und mit großem Ego beschreiben: Entlang von Material aus über 20 Interviews von Weggefährten zeichnet Robert Schneider wichtige Stationen des Lebens des letzten Arbeiters an der Spitze des OGBL nach.
Ihm geht es dabei nicht um eine historische Aufarbeitung von Castegnaros Werdegangs, der wie kaum ein anderer die Geschicke der Gewerkschaft geprägt hat. Das überlässt der Journalist bewusst Historikern: „Mich haben zwei, drei Schlüsselmomente besonders interessiert.“
Einheitsgewerkschaft scheitert, aber OGBL wird ins Leben gerufen
Einer etwa ist der zweifellos größte Erfolg des Wahl-Rümelingers: die Gründung des OGBL im Jahr 1979 und die damit verbundene Annäherung der Arbeiter und Angestellten. Wäre es nach dem damaligen LAV-Generalsekretär Castegnaro gegangen, hätten alle damaligen Gewerkschaften unter einem Dach Kräfte bündeln sollen.
Jos Kratochwil, damals Präsident der Fédération des Employés Privés (FEP), und John arbeiteten dafür eng zusammen. Kratochwil wird der erste OGBL-Generalsekretär und Castegnaro Präsident. „Ich kannte ihn nicht näher, ich war damals Lokaljournalist“, erinnert sich Schneider. Bis heute analysiere der Pensionär scharf und präzise, erzählt Schneider beeindruckt.
Die Stärke des Buchs zeigt sich dort, wo Weggefährten auspacken und ihre Sicht auf den OGBL-Gründer und seinen Einfluss schildern.