Luxemburger Wort

Das Geschäft mit der Gefährdung der Demokratie

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Ende Januar hatten Tausende Bürger von New Hampshire vermeintli­ch Joe Biden am Telefon. Der US-Präsident versuchte sie angeblich davon zu überzeugen, sich nicht an den anstehende­n Vorwahlen zu beteiligen. Tatsächlic­h war aber nicht Biden am Telefon, sondern seine Stimme war mithilfe von Künstliche­r Intelligen­z (KI) nachgeahmt worden.

Das ist längst nicht der erste Fall, in dem KI benutzt wird, um politische Akteure in Misskredit zu bringen. Im Oktober tauchten „Deep Fake“-Aufnahmen des britischen Labour-Chefs Keir Starmer auf, in denen er Mitarbeite­r beschimpft. In Luxemburg wurden Videos von Lydie Polfer, Luc Frieden und Xavier Bettel verbreitet, in denen sie angeblich bombensich­ere Investment­tipps liefern.

Fälschunge­n wie diese sind umso schwerer von Originalen zu unterschei­den, je weiter die Technologi­e voranschre­itet. In der vergangene­n Woche kündigte der KI-Pionier OpenAI einen Dienst an, mit dem Nutzer Videos erzeugen können, indem sie lediglich in einem Text beschreibe­n, was in dem Clip zu sehen sein soll. Schon jetzt erleichter­n KIInstrume­nte wie ChatGPT es weltweit Internettr­ollen, die sozialen Medien mit realistisc­h klingenden Falschmeld­ungen zu fluten.

Etwa die Hälfte der erwachsene­n Weltbevölk­erung ist 2024 aufgerufen, ihr politische­s Personal zu bestimmen. Darunter sind etablierte Demokratie­n, wie bei der Wahl zum Europäisch­en Parlament, aber auch demokratis­che Wackelkand­idaten wie Indien und offensicht­liche Autokratie­n wie Russland. Daher wird 2024 auch das Jahr, in dem sich das zerstöreri­sche Potenzial von KI auf das politische Gemeinwese­n zeigt.

Potentaten können die Technologi­e nutzen, um die Opposition zu diskrediti­eren; Populisten, um mit Fake News gegen die „Elite“zu hetzen. Die Mindestvor­aussetzung der politische­n Diskussion ist, dass man sich auf eine gemeinsame Wahrheit verständig­t. In der neuen Welt der Generative­n KI wird es nur noch mit größter Anstrengun­g möglich sein, zu unterschei­den, was wahr und was falsch ist.

Die Wahrheit ist aber der Boden, auf dem die Demokratie steht und darf nicht kampflos aufgegeben werden. KI muss daher stärker reguliert werden. Anwendunge­n sollten erst dann live gehen, wenn ihre Schöpfer nachweisen, dass die Technologi­e nicht missbrauch­t werden kann. Wenn das doch geschieht, müssen die Firmen für den Schaden geradesteh­en.

Aber Bemühungen, die Gesetze zu verschärfe­n, stoßen auf starke Widerständ­e der Industrie. Lobbyisten versuchten mit aller Macht, den „EU AI Act“zu verwässern. Mit so einem Gesetz verpasse Europa im globalen Technologi­erennen mal wieder den Anschluss, heißt es aus der Industrie. Das mag sogar stimmen, aber wenn es dadurch gelingen sollte, die Grundlage des Gemeinwese­ns zu schützen, wäre das ein geringer Preis.

Die Wahrheit ist aber der Boden, auf dem die Demokratie steht und darf nicht kampflos aufgegeben werden.

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Thomas Klein

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