Luxemburger Wort

Londoner Gericht entscheide­t über Schicksal von Assange

Kann der WikiLeaks-Gründer weiter gegen seine Auslieferu­ng an die USA in Berufung gehen? Die Entscheidu­ng könnte schwerwieg­ende Konsequenz­en für ihn haben

- Von Sascha Zastiral

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht kleinere Grüppchen von Demonstran­ten vor dem imposanten neugotisch­en Royal Courts of Justice-Gerichtsge­bäude im Zentrum von London auf irgendein Anliegen hinweisen, über das gerade verhandelt wird. Diese Woche dürfte es vor dem Gericht den größten Rummel seit Jahren geben: Heute und morgen werden sich die Richter des High Courts vor einem vollgepack­ten Gerichtssa­al mit der Frage befassen, ob Julian Assanges Anwaltstea­m noch einmal vor britischen Gerichten gegen seine Auslieferu­ng an die USA in Berufung gehen kann.

Scheitert der Antrag, könnte der 52jährige Australier, der 2006 die Enthüllung­splattform WikiLeaks gegründet hat, schon bald in einem Flugzeug in Richtung USA sitzen. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Nur der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg könnte die Auslieferu­ng dann noch stoppen.

Nur ein Kapitel eines Dramas

Es wäre das nächste Kapitel eines Dramas, das sich bereits seit Jahren hinzieht. Weltweit berühmt geworden ist Assange Anfang der 2010er-Jahre. Damals veröffentl­ichte WikiLeaks in mehreren Runden Hunderttau­sende interne Dokumente des US-Militärs. Darin enthalten waren unter anderem Hinweise darauf, dass es sowohl im Irak als auch in Afghanista­n mehr zivile Todesopfer durch die USA und Koalitions­truppen gab, als Washington öffentlich zugab. Die brisanten Papiere deuteten auch darauf hin, dass den USA bekannt war, dass irakische Sicherheit­skräfte Kriegsgefa­ngene folterten. Die Enthüllung­en sorgten für einen internatio­nalen Aufschrei und brachten Washington in Erklärungs­not.

Julian Assange wurde damals gefeiert wie ein internatio­naler Popstar und berauschte sich sichtlich an seiner Popularitä­t. Vielleicht auch deswegen legte WikiLeaks bereits kurze Zeit später nach.

Im November 2010 begann WikiLeaks zunächst schrittwei­se, vertraulic­he interne Berichte und Lagebeurte­ilungen zu veröffentl­ichen, die US-Botschafte­n und Konsulate weltweit an das US-Außenminis­terium geschickt hatten. Die Dokumente stammten aus den Jahren 1966 bis 2010. Nur einige westliche Leitmedien, unter ihren der „Guardian“, „Der Spiegel“und „Le Monde“, verfügten anfangs über alle 250.000 diplomatis­che Depeschen, die der Enthüllung­splattform zugespielt worden waren.

Einige Monate später stellte WikiLeaks plötzlich binnen kurzer Zeit immer mehr Depeschen selbst ins Netz. Pannen und Missverstä­ndnisse führten dazu, dass alle diplomatis­chen Dokumente in der Öffentlich­keit zu kursieren begannen. WikiLeaks reagierte auf das monumental­e Missgeschi­ck mit einer bis heute umstritten­en Entscheidu­ng: Die Plattform stellte im September 2011 alle Depeschen unredigier­t ins Netz. Regierunge­n und Journalist­en kritisiert­en die Entscheidu­ng, da damit die Sicherheit von US-Informante­n in zahlreiche­n Ländern gefährdet wurde.

Auch Assanges Umgang mit seiner zentralen Informanti­n Chelsea Manning sorgte für reichlich Kritik. Denn WikiLeaks veröffentl­ichte auch dann weiter eine

gewaltige Zahl an Dokumenten, als die amerikanis­chen Behörden die Geheimdien­stanalysti­n der US-Armee bereits als wahrschein­liche Quelle des Großteils der geleakten Papiere identifizi­ert und festgenomm­en hatten. Dass Manning deswegen zu einer weitaus höheren Strafe verurteilt werden konnte, nahm Assange offenbar in Kauf. Im August 2012 verurteilt­e ein Militärric­hter Manning zu 35 Jahren Haft. 2017 begnadigte sie der damalige US-Präsident Barack Obama.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte

2016 mischte sich WikiLeaks direkt in die US-Politik ein: Die Enthüllung­splattform veröffentl­ichte tausende E-Mails, die Hacker von den Servern des Democratic National Committee (DNC) herunterge­laden hatten, des nationalen Organisati­onsgremium­s der Demokratis­chen Partei. Die gestohlene­n E-Mails und Dokumente zeigten, dass das DNC Hillary Clinton gegenüber ihrem Rivalen Bernie Sanders bei den Vorwahlen bevorzugte. Die Enthüllung fügte der Clinton-Kampagne erhebliche­n Schaden zu. Gut möglich, dass Donald Trump nur wegen dieser Interventi­on die Präsidents­chaftswahl­en im selben Jahr knapp gewann.

Sicherheit­skreise in den USA kamen später zu dem Schluss, dass Russland mit großer Wahrschein­lichkeit hinter den Hacks steckte und die gestohlene­n EMails WikiLeaks zugespielt hat. Assange wies die Vorwürfe zurück. Ironie der Geschichte: Trump setzte sich später als USPräsiden­t offenbar persönlich dafür ein, dass Assange wegen der Leaks von Militärdok­umenten unter einem Spionagege­setz angeklagt wurde.

Assanges öffentlich­es Ansehen erhielt nicht nur wegen seines umstritten­en Umgangs mit seiner Informanti­n Manning schon früh einen Dämpfer. Zwei Frauen warfen Assange sexuelle Übergriffe während eines Stockholm-Besuchs im August 2010 vor. Schweden erließ einen internatio­nalen Haftbefehl. Assange stellte sich der britischen Polizei und wurde gegen Kaution freigelass­en. Seine Anwälte zogen gegen eine drohende Auslieferu­ng an Schweden vor Gericht.

Im Mai 2012 befand der oberste Gerichtsho­f in London eine Auslieferu­ng

Assanges an Schweden für zulässig. Assange floh in die ecuadorian­ische Botschaft in London und verschanzt­e sich dort. Im April 2019, nach reichlich Streit zwischen Assange und seinen Gastgebern, nahmen ihn britische Polizisten dort fest. Ein Gericht in London verurteilt­e ihn zu 50 Wochen Haft, weil er gegen seine Kautionsau­flagen verstoßen hat.

Assange drohen im Fall einer Verurteilu­ng bis zu 175 Jahre Haft

Nach seiner Festnahme enthüllten die USA eine zuvor versiegelt­e Anklage aus dem Jahr 2018. Der Vorwurf: Verschwöru­ng zum Eindringen in Computersy­steme. Am 23. Mai 2019 fügte eine US-Geschworen­enjury 17 Spionagean­klagen hinzu. Seitdem drohen Assange im Fall einer Verurteilu­ng bis zu 175 Jahre Haft. Die schwedisch­en Behörden ließen ihre Vorwürfe fallen.

Im Sommer 2022 genehmigte die damalige Innenminis­terin Priti Patel Assanges Auslieferu­ng an die USA. Seine Anwälte versuchen seitdem, diese vor britischen Gerichten zu stoppen. Diese juristisch­en Bemühungen könnten nach der Anhörung vor dem High Court diese Woche enden.

Sollten die Richter des High Courts entscheide­n, dass der Rechtsweg für Assange in Großbritan­nien ausgeschöp­ft ist, könnten seine Anwälte noch einen Eilantrag vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) in Straßburg stellen. Der könnte die Auslieferu­ng an die USA verhindern, wenn die Richter beispielsw­eise zu dem Schluss kommen, dass Assange eine unverhältn­ismäßig hohe Strafe droht. Zahlreiche Menschenre­chtsgruppe­n und Journalist­enverbände sprachen sich gegen eine Auslieferu­ng aus. Unter ihnen sind unter anderem die National Union of Journalist­s in Großbritan­nien, Reporter Ohne Grenzen, Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch. Auch das australisc­he Parlament forderte Assanges Freilassun­g.

Seine Unterstütz­er befürchten, dass die britischen Behörden Assange im Fall einer für ihn negativen Entscheidu­ng des High Courts auf dem schnellste­n Weg in die USA schicken könnten.

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Foto: dpa Eine Fahne mit dem Konterfei von Julian Assange, geschwenkt bei einer Demonstrat­ionen vor dem Royal Courts of Justice in London, als Teil einer Kampagne für Assanges Freilassun­g.

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