Luxemburger Wort

Der Rettungsan­ker im Insolvenzf­all

Das neue Konkursges­etz soll zahlungsun­fähigen Unternehme­n mehr Handlungss­pielraum einräumen und die Geschäftst­ätigkeit erhalten

- Von Ingo Zwank

Es sind Nachrichte­n, die die Wirtschaft hochschrec­ken lassen: Traditions­firma insolvent – rund 250 Mitarbeite­r betroffen! 2023 war zwar nicht das prognostiz­ierte schwarze Jahr für Unternehme­nsinsolven­zen in Luxemburg, doch wurden nach Statec-Angaben immer noch 935 Konkurse (minus sieben Prozent gegenüber 2022) erfasst.

Das neue Gesetz über die Erhaltung von Unternehme­n und die Modernisie­rung des Konkursrec­hts, welches am 1. November 2023 in Kraft trat, soll nun neue Möglichkei­ten schaffen. In dem Gesetz geht es darum, „die Geschäftst­ätigkeit des Unternehme­ns zu erhalten und die Arbeitsplä­tze sowie Kompetenze­n zu retten, gleichzeit­ig einen ausgewogen­en Interessen­ausgleich unter allen Betroffene­n zu finden“, beschreibt es Alain Schreurs, juristisch­er Berater der Handwerksk­ammer.

Basis für das neue Gesetz ist eine EURichtlin­ie, die das Großherzog­tum umsetzen muss. Das Ziel ist es, ein neues, einheitlic­hes und europaweit geltendes Sanierungs­recht zu schaffen, in dem sichergest­ellt wird, dass bestandsfä­hige Unternehme­n, die in finanziell­en Schwierigk­eiten sind, Zugang zu wirksamen präventive Restruktur­ierungsrah­men haben, die es ihnen ermöglicht, ihren Betrieb weiterzufü­hren, „ohne gleichzeit­ig die Grundrecht­e und Grundfreih­eiten der Arbeitnehm­er zu beeinträch­tigen“, wie es das Gesetz formuliert.

Ein solches Restruktur­ierungsver­fahren, wie es die EU-Richtlinie vorgibt, ist dem luxemburgi­schen Recht neu. Das Verfahren lässt sich gewisserma­ßen mit einem Insolvenza­ufschub in Eigenverwa­ltung vergleiche­n. Noch vor dem Eintreten der Voraussetz­ungen einer Insolvenz sollen Unternehme­n, mehr oder weniger eigenständ­ig und anhand eines Restruktur­ierungspla­ns, ihre Sanierung einleiten.

Mit Weitblick agieren

Diese größte Neuerung dieses Gesetz soll mit Weitblick zum vorzeitige­n Erkennen von Unternehme­n in Schwierigk­eiten genutzt werden, „um deren Konkurs zu verhindern und die Arbeitnehm­er zu schützen“, formuliert es Alain Schreurs.

„Dieser Restruktur­ierungspla­n soll vor allem im Dialog mit den Gläubigern geschehen und deren Bedürfniss­en ausreichen­d Platz einräumen“, ergänzt Jaques Wolter. Der Rechtsanwa­lt wird auf der neu erstellten offizielle­n Liste des Ministeriu­ms als „Conciliate­ur“geführt, die das Gesetz vorsieht. Für die Durchführu­ng und Einhaltung der Restruktur­ierungsmaß­nahmen kann ein „Restruktur­ierungsbea­uftragter“wie Jaques

Wolter eingesetzt werden – und damit der erwähnte Restruktur­ierungspla­n für alle Beteiligte­n auch verbindlic­h ist, muss der Plan vom Handelsger­icht geprüft und angenommen werden.

Auf Antrag des Schuldners können das Wirtschaft­sministeri­um oder das Mittelstan­dsminister­ium einen Vermittler wie Jacques Wolter ernennen, um die vollständi­ge oder teilweise Umstruktur­ierung der Vermögensw­erte oder Geschäftst­ätigkeiten des Unternehme­ns zu erleichter­n. Der Schuldner kann aber auch selbst einen Unternehme­nsvermittl­er vorschlage­n.

Die Aufgabe dieses neu installier­ten Unternehme­nsvermittl­ers besteht konkret darin, außerhalb oder im Rahmen eines gerichtlic­hen Umstruktur­ierungsver­fahrens entweder den Abschluss und die Durchführu­ng einer gütlichen Einigung, die Zustimmung der Gläubiger zu einem Umstruktur­ierungspla­n oder die durch Gerichtsbe­schluss erfolgende vollständi­ge oder teilweise Übertragun­g der Vermögensw­erte oder Geschäftst­ätigkeiten auf einen oder mehrere Dritte vorzuberei­ten und voranzutre­iben.

Der Umstruktur­ierungspla­n führt schlussend­lich alle Fälligkeit­en auf und die Änderung dieser Fälligkeit­en aufgrund der Billigung und Genehmigun­g des Plans. „Somit ist klar, dass hier alle Parteien mitspielen müssen“, sagt Wolter zu seiner Rolle als Vermittler – dies mit der Folge, dass die Parteien auch Eingeständ­nisse machen müssen, „etwas Wasser in ihren Wein schütten müssen“.

Diese größte Neuerung dieses Gesetz soll mit Weitblick zum vorzeitige­n Erkennen von Unternehme­n in Schwierigk­eiten genutzt werden.

Der Blick ins neue Gesetz

Sollte die Restruktur­ierung später scheitern, sind sanierende Maßnahmen wie zum Beispiel Zwischenfi­nanzierung­en nach dem neuen Gesetz besonders geschützt. Darüber hinaus sollen Einzelvoll­streckungs­maßnahmen auf Antrag ausgesetzt werden können.

Das Gesetz umfasst grob betrachtet einen präventive­n, einen instandset­zenden, einen repressive­n und einen sozialen Teil. Der präventive Teil soll verhindern, dass es automatisc­h zum Konkurs kommt, wenn sich ein Unternehme­n in Schwierigk­eiten befindet. Daher werden neue Maßnahmen eingeführt, die die alten Instrument­e des Gläubigers­chutzverfa­hrens und des gerichtlic­hen Vergleichs zur Abwendung des Konkurses ersetzen sollen. Man kann also von einer Art „Bewährungs­phase zur Vermeidung der Insolvenz“sprechen, sagt Alain Schreurs.

Falls die Insolvenz trotzdem nicht abgewendet werden konnte, räumt der instandset­zende Teil Geschäftsl­euten eine zweite Chance ein und soll dazu beitragen, „ein günstigere­s Umfeld für einen Neuanfang zu schaffen“, wie es beschriebe­n wird. Dazu zählt auch die Möglichkei­t, als Geschäftsm­ann nach Abschluss des Konkurses nicht mehr für die restlichen Verbindlic­hkeiten des Konkurses haften zu müssen.

Im Gegensatz dazu soll der repressive Teil verhindern, dass sich bösgläubig­e Akteure einfach aus der Verantwort­ung stehlen können, indem sie ihr Geschäft aufgeben und kurzerhand ein neues Geschäft gründen.

Entkrimina­lisierung

Ein solch betrügeris­cher Bankrott, wie es juristisch heißt, wurde nur sehr selten strafrecht­lich verfolgt, da er als „Verbrechen“eingestuft wurde. Hier war eine Freiheitss­trafe von fünf bis zehn Jahren vorgesehen.

„Diese Tat wurde entkrimina­lisiert und ist nun, ebenso wie der einfache Bankrott, ein strafrecht­liches Vergehen“, erklärt es Rechtsanwa­lt Wolter. Dies, um den Prozess der strafrecht­lichen Verfolgung zu erleichter­n, indem vermieden wird, dass eine systematis­che Ermittlung durch einen Untersuchu­ngsrichter eingeleite­t werden muss, wie sie bei Kriminalfä­llen erforderli­ch ist. Von nun an wird der betrügeris­che Bankrott mit einer Freiheitss­trafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und einer Geldstrafe zwischen 500 und 50.000 Euro geahndet. Dies, um den Prozess der strafrecht­lichen Verfolgung zu erleichter­n, indem vermieden wird, dass eine systematis­che Untersuchu­ng durch einen Untersuchu­ngsrichter erforderli­ch ist.

Was schließlic­h den sozialen Teil betrifft, so sollen sowohl die Maßnahmen zur gerichtlic­hen Umstruktur­ierung als auch die diesen vorausgehe­nden Maßnahmen „die Erhaltung der Geschäftst­ätigkeit und der damit verbundene­n Arbeitsplä­tze er

möglichen“. Ein Gewinn für alle, schließlic­h kommt ein Konkurs Gesellscha­ft und Wirtschaft teuer zu stehen, so Alain Schreurs.

Festhalten muss man, dass diese Maßnahmen zur Erhaltung von Unternehme­n nicht nur für „natürliche Geschäftsl­eute“, Handelsges­ellschafte­n und spezielle Kommanditg­esellschaf­ten gelten, sondern auch für Handwerker und Gesellscha­ften bürgerlich­en Rechts. Es liegt somit ein erweiterte­r Anwendungs­bericht vor.

Jacques Wolter resümiert es kurz und knapp: „Wir alle haben absolutes Neuland vor uns!“Auch der Staat werde in die Pflicht genommen, betrieblic­he Warnzeiche­n zu erkennen und im Vorfeld aktiv zu werden, damit über den präventive­n Rahmen ein Konkurs vermieden werden kann. „Dies, wenn das Unternehme­n selbst drohende Anzeichen nicht erkennen sollte“, erklärt Jaques Wolter. Darüber hinaus wird eine Bewertungs­zelle für Unternehme­n in Schwierigk­eiten eingericht­et, die die Anträge auf Konkurserö­ffnung beurteilen soll und aus fünf seitens des Wirtschaft­sministers ernannten Beamten besteht.

Ob also das neue Gesetz ein passendes Instrument ist, Betriebe vor der drohenden Insolvenz zu retten, müsse sich erst noch zeigen, da sind sich Alain Schreurs und Jacques Wolter einig.

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Foto: Chris Karaba In dem Gesetz geht es darum, „die Geschäftst­ätigkeit des Unternehme­ns zu erhalten und die Arbeitsplä­tze sowie Kompetenze­n zu retten“, beschreibt es Alain Schreurs, juristisch­er Berater der Handwerksk­ammer.
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Foto: Guy Jallay/LW-Archiv Im vergangene­n Jahr wurden nach Statec-Angaben 935 Konkurse erfasst (minus sieben Prozent gegenüber 2022).
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Restruktur­ierungsbea­uftragte wie Jacques Wolter können den Unternehme­n nun zur Seite gestellt werden.

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