Rohstoffriese Indonesien wendet sich von Europa ab
Als größte Volkswirtschaft in Südostasien könnte das Land eine Alternative zu China sein – doch der alte Kontinent spielt dort kaum noch eine Rolle
Was er von Europa hält, machte Prabowo Subianto im November deutlich. „Wir öffnen euch unseren Markt für eure Mercedes, eure Volkswagen, eure Airbus, aber ihr erlaubt uns nicht, Palmöl zu verkaufen“, sagte der in Umfragen führende indonesische Präsidentschaftskandidat bei einer Wahlkampfveranstaltung. Und fand dann noch klarere Worte: „Es gibt einen Wandel in der Welt. Wir brauchen Europa nicht mehr wirklich, um ganz offen zu sein. Wir lieben Europa, aber wenn Europa uns nicht liebt, dann gibt es eine Doppelmoral.“
Am Mittwoch wählt Indonesien, das nach Bevölkerung viertgrößte Land der Welt, einen neuen Präsidenten. Bereits heute ist es, unter anderem dank seiner riesigen Nickelerzvorkommen, die größte Volkswirtschaft Südostasiens. Prognosen zufolge wird Indonesien bis zum Jahr 2045 unter die fünf größten Volkswirtschaften der Welt aufsteigen – und Deutschland überholen.
Ein wichtiger Handelspartner möchte man meinen. Doch Europa spielt für Indonesien fast keine Rolle mehr und wird von vielen im Land als arrogant angesehen. Das Freihandelsabkommen mit der EU stockt seit Jahren, kaum einer glaubt, dass es noch zustande kommt. China ist inzwischen ein wichtigerer Handelspartner.
Was bedeutet es für Europa, wenn es den Anschluss im wichtigsten Land Südostasiens verliert – ausgerechnet an China?
Außenpolitik kein Thema im Wahlkampf
Die Wähler Indonesiens sind jung. Mehr als die Hälfte der 205 Millionen Wahlberechtigten sind zwischen 17 und 39 Jahren alt. Ein Großteil war noch nicht geboren, als der brutale Langzeit-Diktator Suharto 1998 gestürzt wurde. Jetzt strebt Suhartos früherer Schwiegersohn Prabowo Subianto an die Macht. In Umfragen liegt der ehemalige General klar vor seinen beiden Mitbewerbern.
Bei der jungen Wählerschaft kommt der 72-Jährige gut an – dank einer cleveren Social-Media-Kampagne, die K-Popmusik und Video-Wahlkampfveranstaltungen nutzt. Im Wahlkampf konzentriert er sich auf Themen, die jungen Leuten am Herzen liegen: Arbeitsplätze, Klimawandel und institutionelle Korruption. Außenpolitik oder eine gute Beziehung zu Europa gehören eher nicht dazu.
„Indonesien ist das wichtigste Land in Südostasien. Es ist die drittgrößte Demokratie der Welt, G-20-Mitglied und führendes Mitglied im ASEAN (Verband Südostasiatischer Nationen, Anm. d. Red.). Dass Europa hier immer weniger eine Rolle spielt, ist ein Problem“, sagt Denis Suarsana, der die Konrad-Adenauer-Stiftung in Indonesiens Hauptstadt Jakarta leitet. Europa sei zwar der fünftgrößte Handelspartner Indonesiens, aber der Handel stagniere inzwischen größtenteils.
Eine Ausnahme ist Palmöl, das Europa überwiegend aus Indonesien bezieht und – seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine – Kohle. Die weitaus wichtigeren Partner für Jakarta sind jedoch China und die USA, wobei man stets darum bemüht ist, eine möglichst neutrale Haltung gegenüber den beiden Großmächten einzunehmen.
Kritik an EU-Vorgaben für Palmölproduktion
Die Beziehungen zu Europa bröckeln hingegen. Hauptgrund ist eine EU-Verordnung aus dem April letzten Jahres, die Subianto in seiner Rede ansprach. Indonesien ist der größte Palmölproduzent der Welt. Für die Herstellung werden Regenwälder vor allem auf Borneo geopfert, Palmöl gilt als Klimakiller.
Bisher war die EU der drittgrößte Abnehmer von indonesischem Palmöl. Im vergangenen Jahr kündigte Brüssel jedoch an, das Öl nur noch importieren zu wollen, wenn es ohne Entwaldung produziert wurde. Die komplexen Vorgaben der Verordnung sorgen für Ärger in Indonesien. Viele der Kleinbauern, die die Palmölproduktion im Land dominieren, können diese nicht erfüllen.
„Die Verordnung gilt für alle, innerhalb und außerhalb Europas. Sie gilt für Waren, nicht für Länder, und ist weder strafend noch protektionistisch, sondern schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen“, erklärte die EU.
Subianto kritisierte, dass die Europäer die Einwohner Indonesiens während der Kolonialherrschaft gezwungen hätten, Tee, Kaffee, Kautschuk und Kakao anzupflanzen. Das Land war bis Ende des Zweiten Weltkriegs eine niederländische Kolonie. „Ihr habt unsere Wälder also schon vorher zerstört“, sagte Subianto.
Nickelerz ist unverzichtbar für Energiewende
„Die EU hat in Indonesien an Ansehen eingebüßt. Sie wird als moralisch belehrend und überheblich angesehen“, erklärt Experte Suarsana. Und Indonesien hat derzeit allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. Denn das Land hat etwas, was die EU noch dringender braucht als Palmöl: Nickelerz.
Indonesien verfügt über einen erheblichen Teil der weltweiten Reserven an dem Rohstoff. Ihn braucht insbesondere das Auto-Land Deutschland für E-Auto-Batterien und somit für seine Energiewende.
Doch 2020 verhängte Indonesien ein Ausfuhrverbot für unverarbeitetes Nickelerz. „Zu lange haben wir unsere Rohstoffe unverarbeitet zu Billigpreisen exportiert“, sagte Subianto im Wahlkampf. Das könne man sich nicht länger leisten. „Wenn wir sie künftig selbst verarbeiten, werden wir ein zweistelliges Wirtschaftswachstum erreichen“.
Europäische Unternehmen kaum vertreten
Solche Versprechungen kommen im Land gut an. Die EU klagte zwar erfolgreich gegen das Ausfuhrverbot bei der Welthandelsorganisation (WTO), aber Indonesien legte Widerspruch ein. Bis zu einer Entscheidung können noch Jahre vergehen. Auch andere Wirtschaftsmächte wie China sind von dem Exportverbot betroffen. Die Volksrepublik war bisher der größte Rohstoffabnehmer Indonesiens. Um weiterhin an die Rohstoffe zu kommen, investiert China stark in Verarbeitungskapazitäten im Land. Der größte Teil der Rohstoffverarbeitung in Indonesien erfolgt inzwischen durch chinesische Unternehmen. Europäische Firmen sind kaum vertreten.
Zwar ist Indonesien allein aufgrund seiner Größe nicht hochgradig abhängig von China. Suarsana hört im Land jedoch immer wieder das Argument, mit Peking könne man einfach Geschäfte machen – einfacher als mit der EU. Und China investiert im Rahmen seiner „Belt and Road Initiative“in indonesische Infrastruktur.
Chinesische Investitionen
So baute China die Stadtbahn in Jakarta und eine Schnellzugstrecke zwischen Jakarta und Bandung. Im Januar kündigte der chinesische Autohersteller BYD an, rund 1,3 Milliarden Dollar in eine Fabrik für Elektrofahrzeuge in Indonesien zu investieren – mit dem Ziel, die größte Elektrofahrzeugmarke im Land zu werden. Subiantos Plan, Investitionen anzulocken, scheint aufzugehen.
„Ich will keinen Protektionismus, ich will gleiche Wettbewerbsbedingungen“, so der Favorit für die Wahlen am Mittwoch. In Europa könnte ein Sieg des früheren Generals angesichts dessen möglicher Verwicklungen in Morde, Folter und Entführungen seit den 1980er-Jahren mit Besorgnis aufgenommen werden.
Trotzdem wären gute Beziehungen Europas zu Indonesien von Vorteil – auch als Alternative zu China, von dem sich Deutschland derzeit aus einer zu starken wirtschaftlichen Abhängigkeit zu lösen versucht. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indonesien wird jedoch seit 2016 erfolglos verhandelt. Im Dezember gingen die Verhandlungen in die 16. Runde.
Anfang 2023 versprachen der scheidende indonesische Präsident Joko Widodo und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass es vor den Wahlen am 14. Februar finalisiert werden würde. Ohne Erfolg. dpa