Luxemburger Wort

Der Dinosaurie­r, den es vor den Dinosaurie­rn gab

Vor 200 Jahren hat ein Geologe das erste Fossil beschriebe­n: den Megalosaur­us. Das Tier stellte er sich wie ein großes Krokodil vor

- Von Christian Satorius

Es war ein sehr außergewöh­nliches Tier, das William Buckland seinen Zuhörern auf dem Treffen der Geological Society of London am 20. Februar des Jahres 1824 vorstellte. Es erinnerte zwar in gewisser Weise an eine Eidechse, aber allein die schieren Ausmaße der Fossilien, die man bei Stonesfiel­d nahe Oxford gefunden hatte, sprengten jede Vorstellun­gskraft. Demnach müsste das Tier zu seinen Lebzeiten „mehr als zwölf Meter lang und so hoch wie ein Elefant“gewesen sein, erklärte Buckland in seinem Vortrag. Ja, sogar eine Länge von 20 Metern hielt er für möglich. So ist es dann vielleicht auch kein Wunder, dass der Professor für Mineralogi­e und Geologie der Universitä­t Oxford dem Tier den Namen Megalosaur­us gab, was so viel wie Großechse bedeutet. Derartige Tiere waren zuvor noch nie von Experten beschriebe­n worden und so gilt Bucklands Vortrag beziehungs­weise dessen Niederschr­ift dann auch als die erste wissenscha­ftliche Beschreibu­ng und Benennung eines Dinosaurie­rs überhaupt.

Wobei Buckland diesen Ausdruck nicht verwenden konnte, denn es gab ihn damals noch nicht. Erst Richard Owen schuf für diese neuentdeck­ten landbewohn­enden Urzeitrept­ilien im Jahr 1842 das Wort „Dinosauria“, was so viel wie Schreckens­echsen bedeutet.

Eine unbekannte Art

„Die Beschreibu­ng des Megalosaur­us war ein entscheide­nder Moment in der Geschichte der Wissenscha­ft“, meint Dr. Emma Nicholls vom Oxford University Museum of Natural History. Einer, der eine neue Gruppe von Organismen bekannt machte, die das Verständni­s der Geschichte des Lebens auf der Erde in einem völlig neuen Licht erscheinen ließ.

Zur Erinnerung: Charles Darwins grundlegen­des Werk über die Evolutions­biologie – „Über die Entstehung der Arten“– wurde erst im November 1859 veröffentl­icht. Als William Buckland seine Beschreibu­ng des Megalosaur­us im Februar 1824 seinen Zuhörern vortrug, wusste man praktisch nichts über diese Art von Tieren. So kam es auch, dass der Professor für Mineralogi­e und Geologie der Universitä­t Oxford damals noch eine völlig falsche Vorstellun­g von ihnen hatte.

In seiner Erstbeschr­eibung ging er davon aus, dass sich der Megalosaur­us auf vier kräftigen Beinen fortbewegt­e und amphibisch lebte. Dieser Annahme nach wurde eine Skulptur des Megalosaur­us für den Crystal Palace Park im Süden Londons angefertig­t. Es zeigt die Urzeitechs­e in Lebensgröß­e zusammen mit dem später beschriebe­nen Iguanodon und dem Hylaeosaur­us.

„Unser Verständni­s von Dinosaurie­rn hat sich seit dem 19. Jahrhunder­t signifikan­t geändert“, erläutert die Paläontolo­gin Dr. Nicholls, „und wir wissen jetzt, dass diese Reptilien keine schwerfäll­igen, übergroßen Eidechsen waren, sondern eine äußerst vielfältig­e und höchst erfolgreic­he Gruppe von Tieren, die mindestens 220 Millionen Jahre lang existierte und die Erde während des Mesozoikum­s beherrscht­e.“Zur Erinnerung: Den Homo sapiens gibt es gerade einmal seit 300.000 Jahren.

Agiler Läufer mit Revolverge­biss

Somit hat sich auch das Bild der Wissenscha­ft vom Megalosaur­us deutlich gewandelt. Kein Experte hält ihn heute mehr für eine Art Krokodil auf langen Beinen. Aufgrund der Fossilfund­e gehen die Paläontolo­gen aktuell davon aus, dass es sich um einen großen, agilen, auf zwei Beinen laufenden Raubdinosa­urier gehandelt hat. Zu seiner Zeit, also vor etwa 165 Millionen Jahren, im Mittleren Jura, stand er am oberen Ende der Nahrungske­tte. Megalosaur­us war laut Angaben der Geological Society of London sechs bis neun Meter lang und zwei bis drei Meter hoch.

Schon auf den Zeichnunge­n, die der Erstbeschr­eibung beigefügt waren, zeigte sich zudem ein sehr interessan­tes Detail. „Die Illustrati­onen in dem Papier von 1824 stammten von Mary Morland, die William Buckland 1825 heiratete“, erläutert Dr. Nicholls im Interview. Auf diesen äußerst detailreic­hen Bildern lässt sich gut erkennen, was die originalen Fossilien des Unterkiefe­rs bestätigen: Megalosaur­us hatte ein sogenannte­s Revolverge­biss, ähnlich dem heutiger Haie. Brach ein Zahn ab oder ging beim Kampf oder auf der Beutejagd verloren, wuchsen neue Zähne von unten nach, was für ein Raubtier natürlich ein nicht zu unterschät­zender Vorteil war.

Heute wissen die Paläontolo­gen auch, dass viele der Fossilien, die im Laufe der Zeit dem Megalosaur­us nach und nach zugeordnet wurden, gar nicht von ihm sind. In den Anfangstag­en der Paläontolo­gie war es nämlich durchaus üblich, ihm eine ganze Reihe neuer Funde zuzuschrei­ben, und zwar ganz einfach aus dem Grund, weil man noch kaum eine Vorstellun­g von den Dinosaurie­rn hatte. Die einzige bisher bekannte Art des Megalosaur­us ist die von William Buckland 1824 beschriebe­ne Spezies, die später ihm zu Ehren den vollen Namen Megalosaur­us bucklandii erhielt. Alle anderen Fossilien konnten in der Forschungs­arbeit ausgeschlo­ssen werden. Seit einigen Jahren ist bekannt, dass eine ganze Reihe von Dinosaurie­rn Federn trug – oder zumindest Frühformen davon. Etwa auch der Megalosaur­us?

: Unser Verständni­s von Dinosaurie­rn hat sich seit dem 19. Jahrhunder­t signifikan­t geändert. Dr. Emma Nicholls, Paläontolo­gin

Befiedert oder nicht

Michael Benton ist Professor für Wirbeltier­paläontolo­gie an der University of Bristol und forscht über die Federn von Dinosaurie­rn und deren Farben. „Leider gibt es meines Wissens nach keine Fossilien von Haut, Schuppen oder Federn des Megalosaur­us. Das bedeutet, dass wir anders als

in den Fällen, in denen wir solche Fossilien haben, nichts mit Sicherheit über die Farbe oder Farbmuster sagen können.“

„Allerdings können wir ziemlich sicher sein, dass er befiedert war, auch wenn wir keine Fossilien haben. Von vielen seiner Verwandten weiß man nämlich aufgrund einer ausgezeich­neten Fossillage, dass sie Federn trugen.“Einer dieser nahen Verwandten, dessen 151 Millionen Jahre altes Fossil man vor einigen Jahren in Süddeutsch­land gefunden hat, zählt zu den am besten erhaltenen Dinosaurie­rfossilien weltweit: ein Sciurumimu­s aus dem späten Jura. Das bedeutet nun allerdings nicht, dass sich der Sciurumimu­s oder gar der Megalosaur­us damit in die Lüfte aufschwing­en konnten. Eine ganze Reihe von Dinosaurie­rn wies lediglich Frühformen von Federn auf, die sich ganz sicher nicht zum Fliegen eigneten, manche davon waren eher eine Art wärmender Flaum. „Wir wissen nicht, ob Megalosaur­us am ganzen Körper Federn hatte oder nur an bestimmten Stellen. Zudem ist nicht bekannt, ob er spezielle Federn aufwies, etwa Konturfede­rn an den Armen“, sagt Benton.

Auch wenn diese Fragen bisher noch nicht beantworte­t werden konnten, so hat die Wissenscha­ft in den letzten 200 Jahren doch so einiges über den Megalosaur­us und die Dinosaurie­r in Erfahrung gebracht und mit ihnen über die Geschichte des Lebens auf unserer Erde.

Wir wissen nicht, ob Megalosaur­us am ganzen Körper Federn hatte oder nur an bestimmten Stellen. Michael Benton, Professor für Wirbeltier­paläontolo­gie

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Foto: National Library of Wales William Buckland war nicht nur einer der bedeutends­ten Geologen und Paläontolo­gen des 19. Jahrhunder­ts, sondern auch der Erstbeschr­eiber des Megalosaur­us.
 ?? Foto: Shuttersto­ck ?? Diese Skulptur im Crystal Palace Park im Süden Londons zeigt, wie sich William Buckland den Megalosaur­us vorgestell­t hat.
Foto: Shuttersto­ck Diese Skulptur im Crystal Palace Park im Süden Londons zeigt, wie sich William Buckland den Megalosaur­us vorgestell­t hat.
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