Ex-Frontex-Chef kandidiert für Frankreichs Rechtspopulisten
Der ehemalige Leiter der EU-Grenzschutzagentur, Fabrice Leggeri, zieht für den Rassemblement National in den Europawahlkampf. Warum das ein Coup für Le Pen ist
Menton ist eine malerische Stadt an der Mittelmeerküste. Dutzende Geflüchtete versuchen hier jeden Tag, die strengen Grenzkontrollen zu umgehen und von Italien nach Frankreich zu gelangen. Kein Wunder also, dass der Spitzenkandidat des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), Jordan Bardella, Menton am Montag für einen Auftritt im Europawahlkampf aussuchte. Eine faustdicke Überraschung war allerdings der Mann, der ihn dabei begleitete: der ehemalige Chef der EUGrenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri.
Der 55-Jährige hatte am Wochenende in einem Interview angekündigt, für den RN auf dem dritten Listenplatz bei den Europawahlen im Juni anzutreten. „Wir sind entschlossen, die Überschwemmung durch Migranten zu bekämpfen, die die EU-Kommission und die Eurokraten nicht als Problem, sondern als Projekt ansehen“, sagte er der Sonntagszeitung „Journal du Dimanche“, dem neuen Sprachrohr der extremen Rechten. Ziel sei es, die Kontrolle der Grenzen zurückzuerlangen, „und zwar sowohl die der Europäischen Union als auch die Frankreichs.“
Für den RN ist Leggeris Kandidatur ein strategischer Erfolg. Bemüht sich die Partei von Frontfrau Marine Le Pen doch seit Jahren darum, mit Experten jenseits des eigenen Dunstkreises an Glaubwürdigkeit bei den Wählerinnen und Wählern zu gewinnen. Leggeri war nicht nur Leiter einer der wichtigsten Agenturen der EU, sondern auch ein hoher Beamter, der im französischen Innen- und Verteidigungsministerium arbeitete. Er absolvierte gleich drei Elitehochschulen und spricht mehrere
Sprachen fließend. „Es ist sehr interessant, jemanden zu haben, der diese Verantwortung innehatte“, jubilierte Le Pen am Wochenende im Fernsehen.
„Die Augen verschlossen gegenüber den Pushbacks“
Die damals regierenden Sozialisten hatten Leggeri 2015 als Frontex-Chef durchgesetzt. Er baute die in Warschau ansässige Agentur, die für den Schutz der EU-Außengrenzen verantwortlich ist, deutlich aus und wurde 2019 für weitere fünf Jahre verpflichtet. Doch der gebürtige Elsässer radikalisierte sich im Amt: Laut Hilfsorganisationen war er für die illegale Zurückweisung von Hunderten Geflüchteten im Mittelmeer mitverantwortlich.
Die Anti-Betrugsbehörde Olaf, die 2020 gegen Leggeri zu ermitteln begann, bestätigte diese Vorwürfe. Einem Olaf-Bericht zufolge deckte Frontex die illegale Praxis der „Pushbacks“durch griechische Beamte, die Geflüchtete aus der Türkei aufs offene Meer zurückbrachten. In einem Bericht des französischen Innenministeriums, aus dem die Zeitung „Le Monde“zitierte, hieß es, Leggeri habe „die Augen verschlossen gegenüber den ‚Pushbacks‘, die die griechische Küstenwache 2019 vor den Inseln Samos und Lesbos praktizierte.“Dabei habe er sich mit seinen griechischen Partnern abgesprochen. Als er im Europaparlament danach gefragt worden sei, habe er bewusst gelogen.
Leggeri bestritt alle Vorwürfe und stellte sich selbst als Opfer dar. In Menton warf er der EUKommission, Frontex zweckentfremdet und zu einer Art „Super-Nichtregierungsorganisation“gemacht zu haben. Mehreren französischen Medien zufolge verhandelte der Spitzenbeamte nicht nur mit der LePen-Partei, sondern auch mit den konservativen Républicains über einen Listenplatz bei den Europawahlen. „Wenn ich Jordan Bardella wäre, wäre ich absolut nicht stolz darauf, eine Persönlichkeit nach vorne zu stellen, der der Tod von Tausenden Menschen an den Händen klebt“, reagierte die Abgeordnete der Linkspartei, Raquel Garrido, auf die Personalie.
Der RN, für den Einwanderung seit Jahrzehnten das Paradethema ist, führt die Umfragen zu den Europawahlen derzeit mit rund 30 Prozent an. Die pro-europäische Partei Renaissance von Präsident Emmanuel Macron, die noch keinen Spitzenkandidaten bestimmt hat, liegt weit dahinter mit nur gut 18 Prozent.
Wenn ich Jordan Bardella wäre, wäre ich absolut nicht stolz darauf, eine Persönlichkeit nach vorne zu stellen, der der Tod von Tausenden Menschen an den Händen klebt. Raquel Garrido, Abgeordnete der Linkspartei