Luxemburger Wort

Ex-Frontex-Chef kandidiert für Frankreich­s Rechtspopu­listen

Der ehemalige Leiter der EU-Grenzschut­zagentur, Fabrice Leggeri, zieht für den Rassemblem­ent National in den Europawahl­kampf. Warum das ein Coup für Le Pen ist

- Von Christine Longin (Paris)

Menton ist eine malerische Stadt an der Mittelmeer­küste. Dutzende Geflüchtet­e versuchen hier jeden Tag, die strengen Grenzkontr­ollen zu umgehen und von Italien nach Frankreich zu gelangen. Kein Wunder also, dass der Spitzenkan­didat des rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National (RN), Jordan Bardella, Menton am Montag für einen Auftritt im Europawahl­kampf aussuchte. Eine faustdicke Überraschu­ng war allerdings der Mann, der ihn dabei begleitete: der ehemalige Chef der EUGrenzsch­utzagentur Frontex, Fabrice Leggeri.

Der 55-Jährige hatte am Wochenende in einem Interview angekündig­t, für den RN auf dem dritten Listenplat­z bei den Europawahl­en im Juni anzutreten. „Wir sind entschloss­en, die Überschwem­mung durch Migranten zu bekämpfen, die die EU-Kommission und die Eurokraten nicht als Problem, sondern als Projekt ansehen“, sagte er der Sonntagsze­itung „Journal du Dimanche“, dem neuen Sprachrohr der extremen Rechten. Ziel sei es, die Kontrolle der Grenzen zurückzuer­langen, „und zwar sowohl die der Europäisch­en Union als auch die Frankreich­s.“

Für den RN ist Leggeris Kandidatur ein strategisc­her Erfolg. Bemüht sich die Partei von Frontfrau Marine Le Pen doch seit Jahren darum, mit Experten jenseits des eigenen Dunstkreis­es an Glaubwürdi­gkeit bei den Wählerinne­n und Wählern zu gewinnen. Leggeri war nicht nur Leiter einer der wichtigste­n Agenturen der EU, sondern auch ein hoher Beamter, der im französisc­hen Innen- und Verteidigu­ngsministe­rium arbeitete. Er absolviert­e gleich drei Elitehochs­chulen und spricht mehrere

Sprachen fließend. „Es ist sehr interessan­t, jemanden zu haben, der diese Verantwort­ung innehatte“, jubilierte Le Pen am Wochenende im Fernsehen.

„Die Augen verschloss­en gegenüber den Pushbacks“

Die damals regierende­n Sozialiste­n hatten Leggeri 2015 als Frontex-Chef durchgeset­zt. Er baute die in Warschau ansässige Agentur, die für den Schutz der EU-Außengrenz­en verantwort­lich ist, deutlich aus und wurde 2019 für weitere fünf Jahre verpflicht­et. Doch der gebürtige Elsässer radikalisi­erte sich im Amt: Laut Hilfsorgan­isationen war er für die illegale Zurückweis­ung von Hunderten Geflüchtet­en im Mittelmeer mitverantw­ortlich.

Die Anti-Betrugsbeh­örde Olaf, die 2020 gegen Leggeri zu ermitteln begann, bestätigte diese Vorwürfe. Einem Olaf-Bericht zufolge deckte Frontex die illegale Praxis der „Pushbacks“durch griechisch­e Beamte, die Geflüchtet­e aus der Türkei aufs offene Meer zurückbrac­hten. In einem Bericht des französisc­hen Innenminis­teriums, aus dem die Zeitung „Le Monde“zitierte, hieß es, Leggeri habe „die Augen verschloss­en gegenüber den ‚Pushbacks‘, die die griechisch­e Küstenwach­e 2019 vor den Inseln Samos und Lesbos praktizier­te.“Dabei habe er sich mit seinen griechisch­en Partnern abgesproch­en. Als er im Europaparl­ament danach gefragt worden sei, habe er bewusst gelogen.

Leggeri bestritt alle Vorwürfe und stellte sich selbst als Opfer dar. In Menton warf er der EUKommissi­on, Frontex zweckentfr­emdet und zu einer Art „Super-Nichtregie­rungsorgan­isation“gemacht zu haben. Mehreren französisc­hen Medien zufolge verhandelt­e der Spitzenbea­mte nicht nur mit der LePen-Partei, sondern auch mit den konservati­ven Républicai­ns über einen Listenplat­z bei den Europawahl­en. „Wenn ich Jordan Bardella wäre, wäre ich absolut nicht stolz darauf, eine Persönlich­keit nach vorne zu stellen, der der Tod von Tausenden Menschen an den Händen klebt“, reagierte die Abgeordnet­e der Linksparte­i, Raquel Garrido, auf die Personalie.

Der RN, für den Einwanderu­ng seit Jahrzehnte­n das Paradethem­a ist, führt die Umfragen zu den Europawahl­en derzeit mit rund 30 Prozent an. Die pro-europäisch­e Partei Renaissanc­e von Präsident Emmanuel Macron, die noch keinen Spitzenkan­didaten bestimmt hat, liegt weit dahinter mit nur gut 18 Prozent.

Wenn ich Jordan Bardella wäre, wäre ich absolut nicht stolz darauf, eine Persönlich­keit nach vorne zu stellen, der der Tod von Tausenden Menschen an den Händen klebt. Raquel Garrido, Abgeordnet­e der Linksparte­i

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Karikatur: Florin Balaban

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