Der Duft von Zimt
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Und Josephine verachtete die Franzosen dafür, dass sie zwar sämtliche Karren und Kutschen an den Toren der Stadt auf Zucker durchsuchten und jeden Schmuggler festnahmen, den sie erwischen konnten, dabei aber keinen Gedanken daran verschwendeten, warum Fritz’ Geduldzettel so schön süß waren, während sie sie gierig ver schlangen. Oder wie Fritz und Josephine die Steuern bezahlen sollten, da sie angesichts des Mangels an Zutaten in der Stadt doch eigentlich kaum etwas backen und verkaufen konnten.
Bisher hatte Gaspard nichts anderes als „Zwei Laib Brot bitte!“, „Haben Sie Geduldzettel?“oder „Ich höre, Sie haben noch nicht gezahlt?“zu ihr gesagt. Sein Wortschatz war offenbar doch umfangreicher, als sie gedacht hatte.
„Etwas Merkwürdiges?“, wiederholte sie langsam in seiner Sprache. Wenn sie ins Französische wechselte, dann stets mit gemischten Gefühlen. Einerseits machte ihr die Sprache der Besatzer Angst. Wenn Gaspard oder die furchtbaren Zollbeamten an der Stadtmauer sich unterhielten, klangen sie höhnisch, unbarmherzig und arrogant. Andererseits erinnerte es sie auch an ihre Mutter. Lange bevor Napoleon Hamburg besetzte, hatte Caroline sie in der Backstube nebenbei in Französisch unterrichtet. Während ihre Mutter Teig knetete und Puderzucker mit Zitronensaft vermischte, erzählte sie Josephine von der wachsenden Anzahl der Franzosen in der Stadt, die die prächtigsten Bälle ausrichteten und die rauschenden Feste feierten. Feine Menschen seien das, behauptete Caroline. Josephine solle sich nur einmal die Madame ansehen, die ins leer stehende Nachbarhaus eingezogen war. Sogar ein Dienstmädchen habe sie, und Josephine solle in der Lage sein, sich mit ihnen zu unterhalten. Josephines Wortschatz wuchs kaum merklich, aber stetig, so wie Carolines Hefeteig, und bald wurde er wie die Erdbeertorten mit kleinen Details garniert. Ihre Mutter war stolz auf Josephine, auch wenn Louise, das Dienstmädchen der Madame und ebenfalls eine Französin, bei ihren Besuchen in der Backstube über den deutschen Akzent der beiden Frauen schmunzeln musste.
Gaspard jedoch schmunzelte nicht. Er setzte gerade zu einer Antwort an, als ein lautes Lachen sie beide erschrocken zusammenfahren ließ. Josephine drehte den Kopf und sah, dass sich zwei weitere Soldaten durch die offenen Fenster in die Bäckerei schwangen. Auf den Fensterbänken blieben sie sitzen.
„Bonjour Madame!“, rief der eine und grinste.
„Bonjour belle femme!“, fügte der andere hinzu, während er die
Hand zu einem beiläufigen Gruß hob.
Josephine verschränkte unwillkürlich die Arme. Sie kannte die beiden genauso gut wie Gaspard und hatte für sie beinahe noch weniger übrig als für den älteren Soldaten. Pépin und Marlo wirkten stets vergnügt, ganz als sei die Besetzung Hamburgs nichts als ein großes Abenteuer. Sie verstanden nicht im Geringsten, wie sehr die Hamburger litten, wie groß die Not in vielen Familien war und was das Wort Kontinentalsperre bedeutete, da war sich Josephine sicher.
„Soldaten!“, knurrte Gaspard. „Benutzt gefälligst die Tür!“
„Vieux grincheux!“Die Jüngeren seufzten. Normalerweise hätte Josephine die Beschreibung alter Griesgram treffend gefunden.
Doch ausnahmsweise einmal war sie Gaspards Meinung. Sobald Pépin und Marlo bei ihr im Fensterrahmen herumsaßen, mieden die Hamburger Kunden das Geschäft. Und die zahlten immer noch zuverlässiger als die Soldaten, die ihre Stellung gern ausnutzten und häufig anschreiben ließen.
„Zeigt gefälligst mehr Respekt!“, zischte Gaspard und stemmte die Hände in die Hüften. Sogar seine breiten, vernarbten Unterarme wirkten grob, dachte Josephine.
„Ach Gaspard!“Marlo mit dem leichten Doppelkinn und dem schwarz gelockten Haar machte gleich mehrere wegwerfende Bewegungen mit beiden Händen. Josephine hatte noch nie erlebt, dass irgendetwas an ihm still verharrte. Ständig waren seine Arme, seine Beine, seine Mimik in Bewegung. Jetzt lachte er und entblößte dabei kurze Zähne und viel Zahnfleisch. „Du versuchst seit Wochen, uns zu erziehen. Wann gibst du endlich auf?“
„Ich weiß nicht, ich weiß nicht, Marlo!“Pépin stellte einen Fuß auf die Fensterbank, stützte sich mit dem Ellenbogen auf das angewinkelte Knie und zog eine Augenbraue hoch. „Gaspard ist ein zäher alter Hund. Knallhart und unnachgiebig. Guck ihn dir an. Eines Tages macht er aus uns noch richtig achtbare Soldaten. Ich glaube, wenn er mit uns fertig ist, dann sind unsere Stiefel und Helme perfekt poliert, unsere Haare gekämmt und unsere Herzen aus Stahl. Und –“, er hob einen Zeigefinger,– „wir benutzen nur noch Türen, keine Fenster mehr.“
Er warf Gaspard einen herausfordernden Blick zu, und ohne dass sie es wollte, fielen Josephine sein hübscher Mund und sein elegantes Kinn auf. Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie sich eingestehen: Pépin war ein attraktiver Kerl. Seine Leichtfüßigkeit, seine Ungezwungenheit wirkten anziehend. Hinzu kamen diese spöttisch herausfordernden Blicke und das geheimnisvolle Zucken seiner Augenbrauen. Junge Frauen wurden in seiner Gegenwart häufig rot und kicherten über seine Scherze – doch Josephine würde das mit Sicherheit nicht tun. Sie ließ sich nicht blenden vom äußeren Schein. Nein, Pépin war im Grunde ein Kindskopf im Körper eines französischen Soldaten. Und weder mit Kindsköpfen noch mit Soldaten wollte sie irgendetwas zu tun haben.
„Zurück zu meiner Frage“, brummte Gaspard unbeeindruckt und wandte sich wieder Josephine zu. „Ist Ihnen in den letzten Stunden irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
Josephine blinzelte ein paarmal. „Was könnte das denn beispielsweise gewesen sein?“
„Die schöne Mademoiselle will Beispiele …“Pépin verengte die Augen nachdenklich zu halbmondförmigen Schlitzen.
(Fortsetzung folgt)