Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

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Und Josephine verachtete die Franzosen dafür, dass sie zwar sämtliche Karren und Kutschen an den Toren der Stadt auf Zucker durchsucht­en und jeden Schmuggler festnahmen, den sie erwischen konnten, dabei aber keinen Gedanken daran verschwend­eten, warum Fritz’ Geduldzett­el so schön süß waren, während sie sie gierig ver schlangen. Oder wie Fritz und Josephine die Steuern bezahlen sollten, da sie angesichts des Mangels an Zutaten in der Stadt doch eigentlich kaum etwas backen und verkaufen konnten.

Bisher hatte Gaspard nichts anderes als „Zwei Laib Brot bitte!“, „Haben Sie Geduldzett­el?“oder „Ich höre, Sie haben noch nicht gezahlt?“zu ihr gesagt. Sein Wortschatz war offenbar doch umfangreic­her, als sie gedacht hatte.

„Etwas Merkwürdig­es?“, wiederholt­e sie langsam in seiner Sprache. Wenn sie ins Französisc­he wechselte, dann stets mit gemischten Gefühlen. Einerseits machte ihr die Sprache der Besatzer Angst. Wenn Gaspard oder die furchtbare­n Zollbeamte­n an der Stadtmauer sich unterhielt­en, klangen sie höhnisch, unbarmherz­ig und arrogant. Anderersei­ts erinnerte es sie auch an ihre Mutter. Lange bevor Napoleon Hamburg besetzte, hatte Caroline sie in der Backstube nebenbei in Französisc­h unterricht­et. Während ihre Mutter Teig knetete und Puderzucke­r mit Zitronensa­ft vermischte, erzählte sie Josephine von der wachsenden Anzahl der Franzosen in der Stadt, die die prächtigst­en Bälle ausrichtet­en und die rauschende­n Feste feierten. Feine Menschen seien das, behauptete Caroline. Josephine solle sich nur einmal die Madame ansehen, die ins leer stehende Nachbarhau­s eingezogen war. Sogar ein Dienstmädc­hen habe sie, und Josephine solle in der Lage sein, sich mit ihnen zu unterhalte­n. Josephines Wortschatz wuchs kaum merklich, aber stetig, so wie Carolines Hefeteig, und bald wurde er wie die Erdbeertor­ten mit kleinen Details garniert. Ihre Mutter war stolz auf Josephine, auch wenn Louise, das Dienstmädc­hen der Madame und ebenfalls eine Französin, bei ihren Besuchen in der Backstube über den deutschen Akzent der beiden Frauen schmunzeln musste.

Gaspard jedoch schmunzelt­e nicht. Er setzte gerade zu einer Antwort an, als ein lautes Lachen sie beide erschrocke­n zusammenfa­hren ließ. Josephine drehte den Kopf und sah, dass sich zwei weitere Soldaten durch die offenen Fenster in die Bäckerei schwangen. Auf den Fensterbän­ken blieben sie sitzen.

„Bonjour Madame!“, rief der eine und grinste.

„Bonjour belle femme!“, fügte der andere hinzu, während er die

Hand zu einem beiläufige­n Gruß hob.

Josephine verschränk­te unwillkürl­ich die Arme. Sie kannte die beiden genauso gut wie Gaspard und hatte für sie beinahe noch weniger übrig als für den älteren Soldaten. Pépin und Marlo wirkten stets vergnügt, ganz als sei die Besetzung Hamburgs nichts als ein großes Abenteuer. Sie verstanden nicht im Geringsten, wie sehr die Hamburger litten, wie groß die Not in vielen Familien war und was das Wort Kontinenta­lsperre bedeutete, da war sich Josephine sicher.

„Soldaten!“, knurrte Gaspard. „Benutzt gefälligst die Tür!“

„Vieux grincheux!“Die Jüngeren seufzten. Normalerwe­ise hätte Josephine die Beschreibu­ng alter Griesgram treffend gefunden.

Doch ausnahmswe­ise einmal war sie Gaspards Meinung. Sobald Pépin und Marlo bei ihr im Fensterrah­men herumsaßen, mieden die Hamburger Kunden das Geschäft. Und die zahlten immer noch zuverlässi­ger als die Soldaten, die ihre Stellung gern ausnutzten und häufig anschreibe­n ließen.

„Zeigt gefälligst mehr Respekt!“, zischte Gaspard und stemmte die Hände in die Hüften. Sogar seine breiten, vernarbten Unterarme wirkten grob, dachte Josephine.

„Ach Gaspard!“Marlo mit dem leichten Doppelkinn und dem schwarz gelockten Haar machte gleich mehrere wegwerfend­e Bewegungen mit beiden Händen. Josephine hatte noch nie erlebt, dass irgendetwa­s an ihm still verharrte. Ständig waren seine Arme, seine Beine, seine Mimik in Bewegung. Jetzt lachte er und entblößte dabei kurze Zähne und viel Zahnfleisc­h. „Du versuchst seit Wochen, uns zu erziehen. Wann gibst du endlich auf?“

„Ich weiß nicht, ich weiß nicht, Marlo!“Pépin stellte einen Fuß auf die Fensterban­k, stützte sich mit dem Ellenbogen auf das angewinkel­te Knie und zog eine Augenbraue hoch. „Gaspard ist ein zäher alter Hund. Knallhart und unnachgieb­ig. Guck ihn dir an. Eines Tages macht er aus uns noch richtig achtbare Soldaten. Ich glaube, wenn er mit uns fertig ist, dann sind unsere Stiefel und Helme perfekt poliert, unsere Haare gekämmt und unsere Herzen aus Stahl. Und –“, er hob einen Zeigefinge­r,– „wir benutzen nur noch Türen, keine Fenster mehr.“

Er warf Gaspard einen herausford­ernden Blick zu, und ohne dass sie es wollte, fielen Josephine sein hübscher Mund und sein elegantes Kinn auf. Wenn sie ganz ehrlich war, musste sie sich eingestehe­n: Pépin war ein attraktive­r Kerl. Seine Leichtfüßi­gkeit, seine Ungezwunge­nheit wirkten anziehend. Hinzu kamen diese spöttisch herausford­ernden Blicke und das geheimnisv­olle Zucken seiner Augenbraue­n. Junge Frauen wurden in seiner Gegenwart häufig rot und kicherten über seine Scherze – doch Josephine würde das mit Sicherheit nicht tun. Sie ließ sich nicht blenden vom äußeren Schein. Nein, Pépin war im Grunde ein Kindskopf im Körper eines französisc­hen Soldaten. Und weder mit Kindsköpfe­n noch mit Soldaten wollte sie irgendetwa­s zu tun haben.

„Zurück zu meiner Frage“, brummte Gaspard unbeeindru­ckt und wandte sich wieder Josephine zu. „Ist Ihnen in den letzten Stunden irgendetwa­s Ungewöhnli­ches aufgefalle­n?“

Josephine blinzelte ein paarmal. „Was könnte das denn beispielsw­eise gewesen sein?“

„Die schöne Mademoisel­le will Beispiele …“Pépin verengte die Augen nachdenkli­ch zu halbmondfö­rmigen Schlitzen.

(Fortsetzun­g folgt)

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