Neue Hoffnung im Kampf gegen Fettleibigkeit
Das Luxembourg Institute of Health arbeitet federführend am EU-Projekt „Healthy W8“, mit dem neue Wege gegen die Krankheit beschritten werden sollen. Ernährungsexperte Dr. Torsten Bohn erklärt das Vorhaben
Die Volkskrankheit Adipositas – oder Fettleibigkeit – birgt schwerwiegende gesundheitliche Risiken wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Nicht immer ist das jeweilige Essverhalten die Ursache. Vielmehr begünstigen mehrere Faktoren die Krankheit. Nun haben sich Forschende aus ganz Europa versammelt, die Adipositas früh einen Riegel vorschieben wollen. Als Koordinator mit dabei ist Dr. Tosten Bohn vom Luxembourg Institute of Health (LIH). Er erklärt die Krankheit im Allgemeinen und das Projekt „Healthy W8“.
Dr. Torsten Bohn, wo hört Übergewicht auf und wo fängt Adipositas an?
Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Meistens wird hierzu der Body-Mass Index hinzugezogen. Ist der Index über einem Wert von 25 spricht man von Übergewicht. Liegt er höher als 30 von Adipositas – oder Fettleibigkeit oder Fettsucht. Das ist aber nur eine grobe Einteilung und sagt nicht unbedingt etwas über den Gesundheitszustand eines Menschen, die Masse seines Fettgewebes oder seine Fettverteilung aus. Ebenso wenig lässt der Body-Mass-Index eine Unterscheidung der Fetttypen zu. Ein Beispiel: Intra-abdominales Fett in der Bauchhöhle und um die Organe herum, gilt als besonders schädlich, was für das besser sichtbare subkutane Fett, also das unter der Haut, weniger zutrifft.
Eine andere Einteilung von Übergewicht und Adipositas kann man auch durch das Verhältnis vom Taillen- zum Hüftumfang vornehmen. Hier gilt ein Wert 0,9 für Männer als kritisch, bei Frauen von 0,85. Sinnvoll wäre aber natürlich, bei jedem Patienten die Menge des intra-abdominalen Fettes zu beziffern. Das ist zwar möglich, aber mit einem aufwendigeren Prozess verbunden.
Was sind die Ursachen von Adipositas?
Genetische Veranlagung kann ein Risikofaktor sein, aber unsere Gene ändern sich in einer Million Jahren nur zu etwa 0,3 Prozent. Es muss also an der Umwelt liegen. Hier kommen viele Ursachen in Fragen. Am naheliegendsten sind natürlich schlechte Ernährungsgewohnheiten: zu viele Kalorien, zu viel Zucker, ungesunde Fette, zu viel Salz, hochverarbeitete Lebensmittel sowie zu wenig Obst und Gemüse stehen ganz oben. Zu wenig Bewegung, aber auch Stress, Umweltgifte und Schlafstörungen sind weitere Einflüsse Auch sind Personen mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsstand meist stärker und häufiger betroffen. Die Ursachen sind also multifaktoriell.
Die Daten für Luxemburg sind auch nicht positiv. Der Konsum von Fetten und Fleisch ist nach wie vor hoch und nach eigenen Daten des LIH in den vergangenen beiden Jahrzehnten eher noch angestiegen, während Gemüse und Cerealien eher weniger konsumiert wurden.
Wie weit sind Übergewicht und Adipositas in Luxemburg verbreitet?
Ganz aktuelle Zahlen gibt es dazu nicht. Aus dem letzten Obesity-Atlas der World Obesity Federation geht allerdings hervor, dass 26 Prozent der Luxemburger und Luxemburgerinnen an Adipositas und 60 Prozent an Übergewicht leiden.
Welche Kosten verursacht das?
Der wirtschaftliche Schaden durch Übergewicht und Adipositas liegt hierzulande bei etwa einer Milliarde Euro pro Jahr.
Das sind rund 1,4 Prozent des Bruttosozialproduktes. Damit steht Luxemburg etwas besser da als beispielsweise das Vereinigte Königreich, in dem 33 Prozent der Menschen adipös sind. In den USA sind es sogar 43 Prozent und die Folgekosten verschlingen dort 3,5 Prozent des Bruttosozialproduktes. Aber auch in Luxemburg zeigt der Trend in die falsche Richtung, weil die Zahlen zuletzt nach oben gegangen sind und nach Prognosen weiter ansteigen werden. Das ist gelinde gesagt ernüchternd. Auch weltweit ist vor Kurzem die Waage gekippt, denn mittlerweile leiden mehr Menschen an Übergewicht als an Untergewicht.
Welche gesundheitlichen Konsequenzen kann Übergewicht nach sich ziehen?
Sicher ist, dass die Auswege aus der AdipositasPandemie nicht über einen einzigen Ansatz funktionieren.
Das Problem sind die sogenannten Komorbiditäten, also das gleichzeitige Vorkommen von zwei oder mehreren Erkrankungen. Kardio-vaskuläre Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, aber auch Arthrose, ernstzunehmende Atemstörungen im Schlaf, Asthma und Infektionskrankheiten wie etwa Covid 19 gehen oft damit einher. Alleine Bluthochdruck ist bei Übergewicht laut einigen Studien bereits dreimal verbreiteter als bei Personen mit Normalgewicht. In den USA wird geschätzt, dass über 40 Prozent aller Todesfälle auf einen zu hohen Body-Mass-Index zurückgehen.
Wie kann man dem Problem begegnen?
Das ist die Millionen-Euro-Frage. Vorbeugung ist die beste Strategie, auch wenn es mittlerweile Magen-Operationen und die Abnehmspritze „Wegovy“gibt. Die medikamentöse Behandlung ist teuer, birgt Risiken und muss trotzdem von einer Umstellung der Lebensgewohnheiten begleitet werden. Je früher man im Leben eines Menschen ansetzt, des
to eher hat man Erfolg. Dann ist der Hebelarm für drastische Veränderungen länger und der Effekt stärker.
Frühe Aufklärung über gesunde Lebensumstände muss stärker in den Schulen gelehrt und durch die Politik verbreitet werden. Auch Kantinen und Mensen sollten gesünderes Essen bereitstellen. Hochverarbeitete Lebensmittel, die viel Zucker oder Fett enthalten, zum Beispiel Softdrinks, könnten vom Staat teurer gemacht werden, während gesunde Lebensmittel wie Obst und Gemüse eventuell niedriger besteuert werden sollten. Mit gesünderen Fertigprodukten und einer besseren Kennzeichnung der Inhaltsstoffe könnte auch die Industrie helfen. Die Liste ist sehr lang.
Die meisten Menschen wissen eigentlich, was gesund ist. Weshalb greifen wir trotzdem immer wieder zu Cola und Co.?
Oft steht da Praktisches im Weg, etwa die Schokolade im Automaten oder der Aufzug am Arbeitsplatz. Das beheizte Auto ist auch bequemer, als bei schlechtem Wetter das Fahrrad zu nehmen. Es ist oft die Macht der Gewohnheit. Sicher ist, dass die Auswege aus der AdipositasPandemie nicht über einen einzigen Ansatz funktionieren, sondern nur über einen multifaktoriellen Ansatz, der an verschiedenen Aspekten ansetzt.
Am Luxembourg Institute of Health (LIH) koordinieren Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen das europaweite Projekt „Healthy W8“, das sich dem Kampf gegen die Fettleibigkeit verschrieben hat. Worum geht es dabei?
Das ist ein Fünf-Jahres-Projekt mit 24 Partnern aus Forschungseinrichtungen und Industrie aus neun Ländern, das von der Europäischen Union gefördert wird. Es zielt darauf ab, die Progression von Übergewicht zu Adipositas zu vermeiden. Das Luxembourg Institute of Health ist der Koordinator. Beteiligt aus luxemburgischer Sicht sind auch das Luxembourg Institute of Technology und die Firma NIUM. Im Rahmen des Projektes erstellen wir auf das Individuum angepasste Portfolios, die neben Ernährung auch Bewegung, emotionale Aspekte, aber auch etwa Schlaf berücksichtigen. Unser Fokus liegt dabei auf Bevölkerungsgruppen, die stärkere Veränderungen in ihrem Leben durchlaufen, das heißt konkret Schulkinder, junge Erwachsene und ältere Menschen, die in Rente gehen. In diesen Gruppen sind Änderungen in den Gewohnheiten besonders stark zu erwarten.
Wie wird das Projekt letztendlich umgesetzt?
Über eine Smartphone-App, die wir derzeit entwickeln, erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer personalisierte Vorschläge, etwa Kochrezepte mit Mengenangaben oder Tipps zur bewegungsreicheren Lebensweise. Sie deckt auch die Barrieren auf, die einen daran hindern, diese Vorschläge in die Tat umzusetzen, misst die Emotionen des Nutzers und wertet Bewegungsmuster und Schlaf aus. Ein digitaler Zwilling der jeweiligen Person erlaubt es, besser zu verstehen, warum gewisse Empfehlungen nicht oder doch angenommen und umgesetzt werden. Das Ganze hat auch einen spielerischen Anteil, der die Teilnehmer bei Stange halten soll. Wir hoffen, dass so optimierte Interventionen ermöglicht werden, die besser auf das Individuum zugeschnitten sind, psychologische Aspekte mitberücksichtigen und Anreize geben, wie man gesünder leben kann.
Mittlerweile leiden weltweit mehr Menschen an Übergewicht als an Untergewicht.
In welcher Phase befindet sich „Healthy W8“zurzeit?
Momentan versuchen wir, verschiedene Interessengruppen aus Medizin, Forschung und Politik anhand von Workshops einzubeziehen. Diese werden in den nächsten Wochen durchgeführt und wir sind offen für Interessierte, die gerne teilnehmen möchten. Durch deren Feedback wollen wir erfahren, wie genau die App letztendlich arbeiten soll, welche Aspekte noch berücksichtigt werden sollten und welche Hürden zur tatsächlichen Nutzung ausgeräumt werden müssen. Was derzeit geschieht, ist also sehr nutzerzentriert.