Luxemburger Wort

Neue Hoffnung im Kampf gegen Fettleibig­keit

Das Luxembourg Institute of Health arbeitet federführe­nd am EU-Projekt „Healthy W8“, mit dem neue Wege gegen die Krankheit beschritte­n werden sollen. Ernährungs­experte Dr. Torsten Bohn erklärt das Vorhaben

- Interview: Sebastian Weisbrodt

Die Volkskrank­heit Adipositas – oder Fettleibig­keit – birgt schwerwieg­ende gesundheit­liche Risiken wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en oder Krebs. Nicht immer ist das jeweilige Essverhalt­en die Ursache. Vielmehr begünstige­n mehrere Faktoren die Krankheit. Nun haben sich Forschende aus ganz Europa versammelt, die Adipositas früh einen Riegel vorschiebe­n wollen. Als Koordinato­r mit dabei ist Dr. Tosten Bohn vom Luxembourg Institute of Health (LIH). Er erklärt die Krankheit im Allgemeine­n und das Projekt „Healthy W8“.

Dr. Torsten Bohn, wo hört Übergewich­t auf und wo fängt Adipositas an?

Das ist nicht ganz einfach zu beantworte­n. Meistens wird hierzu der Body-Mass Index hinzugezog­en. Ist der Index über einem Wert von 25 spricht man von Übergewich­t. Liegt er höher als 30 von Adipositas – oder Fettleibig­keit oder Fettsucht. Das ist aber nur eine grobe Einteilung und sagt nicht unbedingt etwas über den Gesundheit­szustand eines Menschen, die Masse seines Fettgewebe­s oder seine Fettvertei­lung aus. Ebenso wenig lässt der Body-Mass-Index eine Unterschei­dung der Fetttypen zu. Ein Beispiel: Intra-abdominale­s Fett in der Bauchhöhle und um die Organe herum, gilt als besonders schädlich, was für das besser sichtbare subkutane Fett, also das unter der Haut, weniger zutrifft.

Eine andere Einteilung von Übergewich­t und Adipositas kann man auch durch das Verhältnis vom Taillen- zum Hüftumfang vornehmen. Hier gilt ein Wert 0,9 für Männer als kritisch, bei Frauen von 0,85. Sinnvoll wäre aber natürlich, bei jedem Patienten die Menge des intra-abdominale­n Fettes zu beziffern. Das ist zwar möglich, aber mit einem aufwendige­ren Prozess verbunden.

Was sind die Ursachen von Adipositas?

Genetische Veranlagun­g kann ein Risikofakt­or sein, aber unsere Gene ändern sich in einer Million Jahren nur zu etwa 0,3 Prozent. Es muss also an der Umwelt liegen. Hier kommen viele Ursachen in Fragen. Am naheliegen­dsten sind natürlich schlechte Ernährungs­gewohnheit­en: zu viele Kalorien, zu viel Zucker, ungesunde Fette, zu viel Salz, hochverarb­eitete Lebensmitt­el sowie zu wenig Obst und Gemüse stehen ganz oben. Zu wenig Bewegung, aber auch Stress, Umweltgift­e und Schlafstör­ungen sind weitere Einflüsse Auch sind Personen mit geringem Einkommen und niedrigem Bildungsst­and meist stärker und häufiger betroffen. Die Ursachen sind also multifakto­riell.

Die Daten für Luxemburg sind auch nicht positiv. Der Konsum von Fetten und Fleisch ist nach wie vor hoch und nach eigenen Daten des LIH in den vergangene­n beiden Jahrzehnte­n eher noch angestiege­n, während Gemüse und Cerealien eher weniger konsumiert wurden.

Wie weit sind Übergewich­t und Adipositas in Luxemburg verbreitet?

Ganz aktuelle Zahlen gibt es dazu nicht. Aus dem letzten Obesity-Atlas der World Obesity Federation geht allerdings hervor, dass 26 Prozent der Luxemburge­r und Luxemburge­rinnen an Adipositas und 60 Prozent an Übergewich­t leiden.

Welche Kosten verursacht das?

Der wirtschaft­liche Schaden durch Übergewich­t und Adipositas liegt hierzuland­e bei etwa einer Milliarde Euro pro Jahr.

Das sind rund 1,4 Prozent des Bruttosozi­alprodukte­s. Damit steht Luxemburg etwas besser da als beispielsw­eise das Vereinigte Königreich, in dem 33 Prozent der Menschen adipös sind. In den USA sind es sogar 43 Prozent und die Folgekoste­n verschling­en dort 3,5 Prozent des Bruttosozi­alprodukte­s. Aber auch in Luxemburg zeigt der Trend in die falsche Richtung, weil die Zahlen zuletzt nach oben gegangen sind und nach Prognosen weiter ansteigen werden. Das ist gelinde gesagt ernüchtern­d. Auch weltweit ist vor Kurzem die Waage gekippt, denn mittlerwei­le leiden mehr Menschen an Übergewich­t als an Untergewic­ht.

Welche gesundheit­lichen Konsequenz­en kann Übergewich­t nach sich ziehen?

Sicher ist, dass die Auswege aus der Adipositas­Pandemie nicht über einen einzigen Ansatz funktionie­ren.

Das Problem sind die sogenannte­n Komorbidit­äten, also das gleichzeit­ige Vorkommen von zwei oder mehreren Erkrankung­en. Kardio-vaskuläre Erkrankung­en, Typ-2-Diabetes, aber auch Arthrose, ernstzuneh­mende Atemstörun­gen im Schlaf, Asthma und Infektions­krankheite­n wie etwa Covid 19 gehen oft damit einher. Alleine Bluthochdr­uck ist bei Übergewich­t laut einigen Studien bereits dreimal verbreitet­er als bei Personen mit Normalgewi­cht. In den USA wird geschätzt, dass über 40 Prozent aller Todesfälle auf einen zu hohen Body-Mass-Index zurückgehe­n.

Wie kann man dem Problem begegnen?

Das ist die Millionen-Euro-Frage. Vorbeugung ist die beste Strategie, auch wenn es mittlerwei­le Magen-Operatione­n und die Abnehmspri­tze „Wegovy“gibt. Die medikament­öse Behandlung ist teuer, birgt Risiken und muss trotzdem von einer Umstellung der Lebensgewo­hnheiten begleitet werden. Je früher man im Leben eines Menschen ansetzt, des

to eher hat man Erfolg. Dann ist der Hebelarm für drastische Veränderun­gen länger und der Effekt stärker.

Frühe Aufklärung über gesunde Lebensumst­ände muss stärker in den Schulen gelehrt und durch die Politik verbreitet werden. Auch Kantinen und Mensen sollten gesünderes Essen bereitstel­len. Hochverarb­eitete Lebensmitt­el, die viel Zucker oder Fett enthalten, zum Beispiel Softdrinks, könnten vom Staat teurer gemacht werden, während gesunde Lebensmitt­el wie Obst und Gemüse eventuell niedriger besteuert werden sollten. Mit gesünderen Fertigprod­ukten und einer besseren Kennzeichn­ung der Inhaltssto­ffe könnte auch die Industrie helfen. Die Liste ist sehr lang.

Die meisten Menschen wissen eigentlich, was gesund ist. Weshalb greifen wir trotzdem immer wieder zu Cola und Co.?

Oft steht da Praktische­s im Weg, etwa die Schokolade im Automaten oder der Aufzug am Arbeitspla­tz. Das beheizte Auto ist auch bequemer, als bei schlechtem Wetter das Fahrrad zu nehmen. Es ist oft die Macht der Gewohnheit. Sicher ist, dass die Auswege aus der Adipositas­Pandemie nicht über einen einzigen Ansatz funktionie­ren, sondern nur über einen multifakto­riellen Ansatz, der an verschiede­nen Aspekten ansetzt.

Am Luxembourg Institute of Health (LIH) koordinier­en Sie mit Ihren Kolleginne­n und Kollegen das europaweit­e Projekt „Healthy W8“, das sich dem Kampf gegen die Fettleibig­keit verschrieb­en hat. Worum geht es dabei?

Das ist ein Fünf-Jahres-Projekt mit 24 Partnern aus Forschungs­einrichtun­gen und Industrie aus neun Ländern, das von der Europäisch­en Union gefördert wird. Es zielt darauf ab, die Progressio­n von Übergewich­t zu Adipositas zu vermeiden. Das Luxembourg Institute of Health ist der Koordinato­r. Beteiligt aus luxemburgi­scher Sicht sind auch das Luxembourg Institute of Technology und die Firma NIUM. Im Rahmen des Projektes erstellen wir auf das Individuum angepasste Portfolios, die neben Ernährung auch Bewegung, emotionale Aspekte, aber auch etwa Schlaf berücksich­tigen. Unser Fokus liegt dabei auf Bevölkerun­gsgruppen, die stärkere Veränderun­gen in ihrem Leben durchlaufe­n, das heißt konkret Schulkinde­r, junge Erwachsene und ältere Menschen, die in Rente gehen. In diesen Gruppen sind Änderungen in den Gewohnheit­en besonders stark zu erwarten.

Wie wird das Projekt letztendli­ch umgesetzt?

Über eine Smartphone-App, die wir derzeit entwickeln, erhalten die Teilnehmer­innen und Teilnehmer personalis­ierte Vorschläge, etwa Kochrezept­e mit Mengenanga­ben oder Tipps zur bewegungsr­eicheren Lebensweis­e. Sie deckt auch die Barrieren auf, die einen daran hindern, diese Vorschläge in die Tat umzusetzen, misst die Emotionen des Nutzers und wertet Bewegungsm­uster und Schlaf aus. Ein digitaler Zwilling der jeweiligen Person erlaubt es, besser zu verstehen, warum gewisse Empfehlung­en nicht oder doch angenommen und umgesetzt werden. Das Ganze hat auch einen spielerisc­hen Anteil, der die Teilnehmer bei Stange halten soll. Wir hoffen, dass so optimierte Interventi­onen ermöglicht werden, die besser auf das Individuum zugeschnit­ten sind, psychologi­sche Aspekte mitberücks­ichtigen und Anreize geben, wie man gesünder leben kann.

Mittlerwei­le leiden weltweit mehr Menschen an Übergewich­t als an Untergewic­ht.

In welcher Phase befindet sich „Healthy W8“zurzeit?

Momentan versuchen wir, verschiede­ne Interessen­gruppen aus Medizin, Forschung und Politik anhand von Workshops einzubezie­hen. Diese werden in den nächsten Wochen durchgefüh­rt und wir sind offen für Interessie­rte, die gerne teilnehmen möchten. Durch deren Feedback wollen wir erfahren, wie genau die App letztendli­ch arbeiten soll, welche Aspekte noch berücksich­tigt werden sollten und welche Hürden zur tatsächlic­hen Nutzung ausgeräumt werden müssen. Was derzeit geschieht, ist also sehr nutzerzent­riert.

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Foto: Marc Wilwert Bei dem Projekt „Healthy W8“erstellen Torsten Bohn und sein Team individuel­l angepasste Tipps, um die Ess- und Bewegungsg­ewohnheite­n der Teilnehmen­den zu ändern – und Übergewich­t zu verhindern.
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Foto: Shuttersto­ck Auch in Luxemburg leiden immer mehr Menschen an Übergewich­t. Das Luxembourg Institute of Health möchte nun mit einer neuen App dagegen vorgehen.
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Foto: Shuttersto­ck Die Pandemie Adipositas greift immer weiter um sich: Mittlerwei­le gibt es auf der Welt mehr Menschen mit Übergewich­t, als Untergewic­htige.

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