Luxemburger Wort

Die Klage wird auf andere Gemeinden ausstrahle­n

- Volker Bingenheim­er

Das gibt es in Luxemburg nicht oft: In dieser Woche sitzt der gesamte Schöffenra­t der Gemeinde Schengen auf der Anklageban­k, weil er sich in einer Gemeindera­tssitzung und danach gegenüber Zeitungen und Fernsehen negativ über das Architekte­nbüro von François Valentiny geäußert haben soll. Unabhängig davon, ob das Gericht den Vorwurf der Rufschädig­ung erfüllt sieht, wird der Prozess andere Gemeinden aufhorchen lassen. Sie werden sich in Zukunft genau überlegen, an welchen Architekte­n sie sich beim nächsten Bauprojekt vertraglic­h binden.

Man muss vorausschi­cken: Bei dem Prozess gegen Bürgermeis­ter Michel Gloden und seine beiden Schöffen handelt es sich um eine Zivilklage, bei der die Staatsanwa­ltschaft das Geschehen lediglich von der Seitenlini­e verfolgt. Sollte die Vorsitzend­e Richterin der Forderung des Büros Valentiny hvp nachkommen, droht den drei ehrenamtli­chen Politikern und dem mitangekla­gten Gemeindete­chniker eine Geldstrafe von bis zu 50.000 Euro, zu zahlen aus dem privaten Portemonna­ie. Für François Valentiny dürfte es auf den genauen Betrag nicht ankommen. Er hat schon einen Triumph damit erzielt, seine ehemaligen Kunden auf der Anklageban­k zu sehen.

Geradezu hellseheri­sche Fähigkeite­n hat das ehemalige Ratsmitgli­ed Pierre Hirtt unter Beweis gestellt. Während der Ratssitzun­g vom 4. Mai warnte er: „Da muss es schon ein dickes Dossier von Vorwürfen geben, sonst holt uns der Architekt wegen Rufschädig­ung vor Gericht.“Und Bingo, genauso kam es.

Das Zerwürfnis zwischen dem Rathaus in Remerschen und der berühmtest­en Persönlich­keit der Gemeinde, dessen Büro wortwörtli­ch um die Ecke liegt, hat eine längere Vorgeschic­hte. Öffentlich bekannt wurden Streiterei­en um ein undichtes Dach der Grundschul­e Remerschen, ebenfalls von Valentinys Büro entworfen. Auch bei mehreren anderen Dossiers sei man sich nicht einig geworden, sagten Ratsmitgli­eder im Zeugenstan­d.

Da stellt sich die Frage, warum die Gemeinde Schengen ausgerechn­et dieses Büro für die Planungen zum Schulcampu­s an den Baggerweih­ern und der Sporthalle beauftragt hat – offensicht­lich war es ja nicht der Wunschkand­idat. Hinter den Kulissen heißt es, bei der Ausschreib­ung habe sich Valentiny hvp mit seinen umfangreic­hen Referenzen als Punktesieg­er auf Platz 1 gesetzt. Doch selbst dann hätte sich die Gemeinde – mit argumentat­iven Kunststück­en – für Kandidat Nummer 2 entscheide­n oder ein anderes Vergabever­fahren wählen können. Alles wäre besser gewesen, als die beiden Verträge wenige Monate nach Unterzeich­nung wieder aufzulösen. Dies ist nämlich nur unter genau definierte­n Bedingunge­n möglich. Der Verweis darauf, die Chemie zwischen Architekt und Gemeinde habe nicht gestimmt, ist da ein wenig dünn.

Auch in anderer Hinsicht wird der Gerichtspr­ozess seine Wirkung auf andere Gemeindeob­erhäupter nicht verfehlen. Kein Bürgermeis­ter hat Lust, wegen nüchtern vorgetrage­ner Kritik während einer Gemeindera­tssitzung für mehrere Tage vor dem Richter zu landen. Kann es wirklich den Tatbestand der Verleumdun­g erfüllen, wenn ein Gemeindepo­litiker Differenze­n offen benennt? Dann würden in Zukunft Entscheidu­ngen noch mehr als bisher im Hinterzimm­er getroffen und der Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt.

Alles wäre besser gewesen, als die Verträge schon nach wenigen Monaten wieder aufzulösen.

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