Wenn die Beantragung von Beihilfen zu kompliziert ist
Die Armut nimmt zu, obwohl es in Luxemburg eine Vielzahl staatlicher Hilfen gibt. Das Problem: Sie werden nicht immer in Anspruch genommen. Warum das so ist, zeigt eine Studie des Liser
Im Kampf gegen die Armut ist die Nichtinanspruchnahme staatlicher Hilfen ein Problem, das die schwarz-blaue Regierung angehen muss – und will. Über die Gründe dieses „non-recours“wurde viel spekuliert: Entweder sind sich die Menschen nicht bewusst, dass ihnen bestimmte Leistungen zustehen, sie wissen nicht, dass es sie gibt, oder sie sind mit dem Antragsverfahren überfordert.
Tatsache ist, dass ein Fünftel der Bevölkerung von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht ist. Fakt ist auch, dass beispielsweise nur 60 Prozent der Anspruchsberechtigten die Teuerungszulage (Allocation de vie chère) erhalten. Beim Mietzuschuss sind es noch weniger: 80 Prozent der Berechtigten beantragen diesen Zuschuss nicht. „Seit zehn Jahren weisen wir als CSL auf die beunruhigenden Statistiken hin. Oft wird uns entgegengehalten, es handele sich um ein statistisches Phänomen, alles sei nicht so schlimm, denn es sei immer noch besser, in Luxemburg arm zu sein als in einem weniger entwickelten Land. Das ist nicht der richtige Weg, um mit Menschen in prekären Situationen umzugehen“, betont CSL-Präsidentin Nora Back.
Studie im Auftrag der Arbeitnehmerkammer
Die Arbeitnehmerkammer (CSL) hat der Regierung nun einen Teil der Arbeit abgenommen und beim Liser in Zusammenarbeit mit dem Statec eine Studie in Auftrag gegeben, um die Faktoren, die zu prekären Lebensverhältnissen führen, zu verstehen und die Gründe für die Nichtinanspruchnahme von finanzieller Unterstützung genauer zu untersuchen.
Die Studie basiert auf Interviews mit 40 Betroffenen – darunter Revis-Bezieher, Rentner, Arbeitslose, Alleinerziehende und Studenten – und einem Austausch mit Akteuren des sozialen Sektors. Die große Mehrheit der Befragten sind Mieter. „Die Studie zeigt, dass Prekarität jeden treffen kann. Ausgelöst werden kann sie durch unvorhergesehene Ereignisse, eine Trennung, Krankheit oder den Verlust der Arbeitsstelle. Menschen mit niedrigem Einkommen sind durch die Inflation stark betroffen. Oft leben sie in unwürdigen Wohnverhältnissen“, berichtet Anne Franziskus vom Statec. Die psychologischen Auswirkungen – Stress,
Überforderung, Scham – seien nicht zu vernachlässigen.
Informationen müssen verfügbar und verständlich sein
„Die Schwierigkeit, die notwendigen Informationen zu finden und zu verstehen, wird in der Analyse sehr deutlich“, sagt Anne-Catherine Guio vom Liser. „Wir wollen die Ministerien und Verwaltungen nicht verurteilen, sondern herausfinden, wie der Zugang verbessert werden kann.“
„Bevor man Hilfe in Anspruch nimmt, muss man wissen, dass es sie gibt“, fasst Statec-Mitarbeiterin Anne Franziskus zusammen. Kaum bekannt sei zum Beispiel der Mietzuschuss. Die Informationen der öffentlichen Stellen seien schwer verständlich. Immerhin habe man festgestellt, dass einige Verwaltungen Anstrengungen unternommen hätten, die Sprache zu vereinfachen, und auch andere Wege gesucht hätten, um die betroffene Bevölkerung zu erreichen, etwa über Videoclips oder Radiospots.
Lange Wartezeiten und jährliche Erneuerung
Ein weiteres Problem sind die langen Wartezeiten nach der Antragstellung – selbst für kleine Beihilfen. „Wenn Menschen auf das Geld angewiesen sind, um ihre Rechnungen zu bezahlen, kann das zu großem Stress führen“, bemerkt Franziskus. Hinzu kommt, dass die Anträge jedes Jahr neu gestellt und jedes Mal dieselben Unterlagen eingereicht werden müssen. „Das ist sehr umständlich“, sagt sie.
Der Gang zum Sozialamt ist oft mit Schamgefühlen verbunden, wie die Befragung der Teilnehmer ebenfalls ergab. Einige berichten auch von einem stigmatisierenden Empfang bei den Behörden.
Zu strikte Gesetze und Zugangsbestimmungen
Nicht selten lägen Haushalte nur knapp über der festgelegten Einkommensgrenze und hätten daher keinen Zugang zu der finanziellen Unterstützung. Dies wurde von mehreren Befragten kritisiert. Die Kriterien seien zu streng und würden der jeweiligen Situation nicht gerecht. Die Wissenschaftlerin des Liser spricht von einer „Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der administrativen Situation der Menschen“. „Wenn die Politik das Einkommen des gesamten Haushalts berücksichtigt, ist es für eine Hausgemeinschaft, in der ein Student, ein behindertes Kind oder einfach nur ein Freund lebt, schwierig, Unterstützung zu bekommen“, gibt sie zu bedenken.
„Was uns wirklich überrascht hat, ist, dass die meisten Hilfen für Studenten nicht zugänglich sind. Dabei leben viele von ihnen in sehr prekären Situationen“, bemerkt Guio.
In Luxemburg sind viele der Meinung, dass es Arme gibt, die Hilfe verdienen und andere, die es nicht verdienen. Anne-Catherine Guio, Liser
Hinsichtlich der Stigmatisierung der Betroffenen wurde eine gewisse Klassifizierung festgestellt. „In Luxemburg sind viele der Meinung, dass es Arme gibt, die Hilfe verdienen und andere, die es nicht verdienen. Viele Betroffene werten sich auch selbst ab. Sie haben das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, weil sie Hilfe brauchen“, beschreibt Guio die Aussagen der Befragten.
Empfehlungen in Richtung Politik
Das Liser sieht eine Reihe von Möglichkeiten, das Problem der Nichtnutzung zu lösen. Zunächst sollte darauf geachtet werden, eine einfache Sprache zu verwenden und Übersetzungen in mehrere Sprachen anzubieten. Sämtliche Haushalte sollten über alle verfügbaren Hilfen informiert werden (Verteilung von Flyern oder Broschüren in alle Briefkästen). Die Beantragung und Verlängerung von Subventionen sollte vereinfacht beziehungsweise automatisiert werden, und es sollte möglich sein, die erforderlichen Unterlagen nur einmal einzureichen. Die Einrichtung eines Guichet unique als zentrale Anlaufstelle könnte ein wichtiger Ansatz sein. Die Vereinfachung der Verfahren sollte oberste Priorität haben.
Statt Haushalten, die knapp über der Einkommensgrenze liegen, keine Unterstützung zu gewähren, sollten die Beträge degressiv gestaltet werden.