Von der Leyens rote Linien im Umgang mit Rechtskonservativen
Die EU-Kommissionschefin kann sich bei einer Wiederwahl eine Zusammenarbeit mit der ECR-Fraktion vorstellen – aber nicht um jeden Preis
Wird Ursula von der Leyen, die derzeitige EU-Kommissionschefin und designierte Spitzenkandidatin der EU-Christdemokraten (EVP), auf die Unterstützung der rechtskonservativen bis rechtsextremen ECR-Fraktion im EU-Parlament zurückgreifen, um wiedergewählt zu werden? Diese Frage wollte die CDU-Politikerin nach einem Treffen mit der EVPFraktion im EU-Parlament, der auch die CSV-EU-Parlamentarierinnen angehören, nicht klar beantworten.
Der rechtskonservativen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), der zum Beispiel die italienische Fratelli d’Italia oder die polnische PiS-Partei angehören, werden deutliche Zugewinne bei den Europawahlen im Juni vorhergesagt. Von der Leyens EVP hätte durchaus die Möglichkeit, ein Mehrheitsabkommen mit der ECR abzuschliessen und eine rechte Mehrheit anzupeilen. Die EVP hat sich in dieser Legislaturperiode auch bereits themenspezifisch mit der ECR verbündet, besonders als es darum ging, strengere EU-Umweltauflagen zu bekämpfen.
„Für mich ist es wichtig mit klaren proeuropäischen Gruppen (zu arbeiten), die sowohl die NATO als auch die Ukraine unterstützen, als auch Unterstützer unserer demokratischen Werte sind“, antwortete sie auf die Frage, ob sie sich einer Zusammenarbeit mit der ECR-Fraktion vorstellen könnte. „Und sie dürfen keine Putin-Freunde sein“.
Ein Journalist wies von der Leyen dann darauf hin, dass ihre Beschreibung zahlreiche nationale Parteien, die die ECRFraktion ausmachen, für eine Zusammenarbeit faktisch ausschließen würde. Die PiS-Partei hat in den Polen den Rechtsstaat ausgehöhlt, Eric Zemmours Reconquête ist sehr Putin-affin und die ungarische Fidesz-Partei, die mit dem Gedanken spielt, der ECR beizutreten, ist sowohl antidemokratisch als auch prorussisch.
Pokern auf Spaltung der ECR?
Von der Leyen ließ daraufhin Teile ihrer diesbezüglichen Strategie durchblicken: „Sie wissen, dass sich die Zusammensetzung der EU-Fraktionen nach den EUWahlen ändern kann“, sagte sie. „Wir wissen noch nicht, welche Parteien die ECR verlassen werden und möglicherweise der EVP beitreten werden – auch das ist möglich.“Ihr Kalkül scheint demnach klar: Von der Leyen hofft darauf, dass der gemäßigte Flügel der ECR-Fraktion sich abspalten und der EVP beitreten wird – oder sich zumindest offen für eine losere Zusammenarbeit zeigt. Damit wäre ihre Mehrheit gesichert.
: Ursula von der Leyen hat eine Gelegenheit verpasst, um sich klar von Rechtsaußen abzugrenzen. Marc Angel, LSAP-EU-Parlamentarier
Allerdings bleibt die Frage, was genau „gemäßigt“für Ursula von der Leyen bedeutet. Ihre Beschreibung scheint maßgeschneidert auf Giorgia Melonis Fratelli d’Italia zu passen. Melonis Partei ist sehr wohl stramm rechts – doch die italienische Regierungschefin gibt sich in Brüssel sehr staatstragend: Sie ist resolut für die Unterstützung der Ukraine, hat nichts Grundsätzliches gegen die Europäische Union und gibt sich auch sonst eher moderat auf dem EU-Parkett. Auch die flämische N-VA würde von der Leyens Beschreibung entsprechen – auch wenn sie auf regionaler Ebene die Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten nicht kategorisch ausschließt und an der Spaltung Belgiens arbeitet.
„Ursula von der Leyen hat eine Gelegenheit verpasst, um sich klar von Rechtsaußen abzugrenzen“, bedauert indes Marc Angel, EU-Parlamentarier der LSAP. Stattdessen „trägt sie dazu bei, Neo-Faschisten wie die Fratelli d’Italia weißzuwaschen, nur weil sie auf der internationalen Bühne eine sympathische Maske anziehen“. Diese Strategie sei ein Spiel mit dem Feuer, meint der wahrscheinliche Spitzenkandidat der LSAP bei den EU-Wahlen. „Schaut man sich an, was diese Parteien auf nationaler und regionaler Ebene machen, dann sind sie alles andere als gemäßigt: Sie beschneiden konsequent die Rechte der Ärmsten und Schwächsten“.