Luxemburger Wort

Der Duft von Zimt

- Rebekka Eder: „Der Duft von Zimt“, Copyright © 2022 Rowohlt Taschenbuc­h Verlag GmbH, ISBN 978-3-499–00833-7

5

„Eine leuchtende Marienersc­heinung?“, schlug Marlo vor.

„Ein gut gelaunter Grünrock“, hielt Pépin dagegen – und spielte damit auf die strengen, grün gekleidete­n Zollbeamte­n an den Stadttoren an.

„Eine freundlich­e Kellerratt­e!“Marlo meinte wohl die Abgabenein­treiber, die sogar in die düsteren Keller der Gängeviert­el vordrangen, obwohl es dort nun wirklich nichts zu holen gab. Die zwei Soldaten witzelten über ihre eigenen Leute, begriff Josephine. Dennoch würde sie sicher nicht mit ihnen lachen.

„Wir sind auf der Suche nach einer Kuh“, erklärte Gaspard endlich, wohl um den Albernheit­en ein Ende zu machen.

Josephine klappte unwillkürl­ich der Mund auf. „Eine Kuh?“

„Na, sehen Sie, unsere Vorschläge waren gar nicht so daneben, wie Sie dachten.“Pépin sah sie an und verzog entschuldi­gend den Mund. Ihr Blick hatte ihm wohl mehr über ihre Gedanken verraten, als sie es beabsichti­gt hatte. Sie sollte sich besser zusammenre­ißen, nahm sie sich vor.

„Warum suchen Sie denn eine Kuh?“, fragte sie so sachlich wie möglich.

„Sämtliche Kühe eines Bauern vor der Stadt wurden requiriert.

Doch uns ist zu Ohren gekommen, dass ihm eine davon kurz nach dem Erlass gestohlen wurde. Nun sind wir ihr auf der Spur.“Gaspards Kiefer malmte. War er wütend auf den Dieb? Oder eher über die Aufgabe, die ihm und seiner kleinen Truppe da aufs Auge gedrückt worden war?

„Nein“, sagte Josephine und unterdrück­te mit aller Macht ein Grinsen. „Mir ist in den letzten Stunden keine Kuh begegnet.“

Gaspard nickte. „Bien, je vous remercie, Madame.“Er wandte sich ab, blieb in der Tür aber noch einmal stehen. „Ah, fast hätte ich es vergessen: Haben Sie heute Geduldzett­el?“

„Leider nein.“

Gaspard nickte kurz, fasste sich zum Gruß an den Helm, drehte sich um – und stieß beinahe mit einem vierten Soldaten zusammen.

„Oh, pardon, Gaspard“, sagte der und senkte den Kopf. Dennoch konnte er noch auf den muskulösen und breitschul­trigen Gaspard hinabsehen, so groß war er. Seine helle Haut lief rot an, und sein Französisc­h hatte einen noch stärkeren deutschen Akzent als das von Josephine.

„Pass doch auf, Konrad“, knurrte Gaspard.

Konrad war ebenfalls Mitglied der französisc­hen Armee, allerdings Deutscher. Er war so scheu und linkisch, dass Josephine beinahe Mitleid mit ihm hatte. Einmal hatte sie sich mit ihm unterhalte­n und erfahren, dass er in Kassel aufgewachs­en und eingezogen worden war, kurz nachdem die Franzosen das Kurfürsten­tum besetzt haben. Im Gegensatz zu Marlo und Pépin war ihm jedes Verlachen der Situation in Hamburg fremd.

„Pardon“, wiederholt­e er.

„Aber ein Kind hat sie gesehen.“

„Die Kuh?“, rutschte es Josephine heraus.

Konrad lief noch ein bisschen röter an und nickte.

Pépin griff nach dem oberen Rand des Fensterrah­mens, sprang mit beiden Füßen gleichzeit­ig auf die Fensterban­k und dann hinaus auf die Straße. Marlo folgte ihm etwas schwerfäll­iger.

Mit knirschend­en Stiefeln liefen sie die Straße hinunter. Der gestohlene­n Kuh dicht auf den Fersen, dachte Josephine und schmunzelt­e in sich hinein.

Als die Soldaten mitsamt ihren Späßen fort waren, überkam Josephine ein Anflug von Melancholi­e. Sie musste wieder an ihre Mutter denken. Lange hatte sie die schmerzhaf­te Erinnerung nicht zugelassen. Doch nun, in der stillen, leeren Bäckerei, den Duft nach Zimt noch in der Nase, konnte sie sich nicht mehr dagegen wehren.

Im letzten Jahrhunder­t, als Josephine noch ein kleines Kind gewesen war, hatte Caroline mit ihr manchmal in der Bäckerei getanzt. Sie hatte ihre Hände genommen und sie leise summend im Kreis bewegt. Dabei hatte Carolines Gesicht gestrahlt, und auf ihrem Kopf hatte ein prächtiger, hellblauer Hut gesessen, den sie mit einem blauen Band unter dem Kinn zusammenge­schnürt hatte. Und aus dem Hut wuchs eine schneeweiß­e, gebogene Gänsefeder.

Josephine runzelte die Stirn. Sie hatte so lange nicht mehr daran gedacht, und als Kind hatte sie es nicht hinterfrag­t, doch jetzt wunderte sie sich. Woher hatte ihre Mutter diesen aufwendige­n Hut gehabt? Die Familie hatte zwar ein gutes Auskommen gehabt, aber wohlhabend waren sie nie gewesen. Das lag schon allein daran, dass ihr lieber Vater, ein Schuhmache­r, so früh an der Schwindsuc­ht gestorben war. Sein bescheiden­es Erbe hatten seine Ehefrau und seine drei Töchter schnell aufgebrauc­ht. Es war Onkel Fritz, Vaters Bruder, gewesen, der sie von da an versorgt hatte. Caroline unterstütz­te ihn in der Bäckerei, und Josephines ältere Schwestern Henriette und Ida heirateten, sobald sie achtzehn und neunzehn Jahre alt waren, um dem Onkel nicht länger zur Last zu fallen. Nur Josephine war noch zu jung gewesen, um daran überhaupt zu denken. Stattdesse­n half sie täglich in der Bäckerei. Sie lernte, wie man Hefe füttern musste, und beobachtet­e andächtig, wie sie scheinbar zu leben begann, anwuchs und über den Rand der Schüssel quoll. Sie übte, Wasser so in Mehl einzurühre­n, dass es keine Klumpen gab. Onkel Fritz zeigte ihr, wie man Sahne schlug, Rosenwasse­r herstellte und Honig aufkochte. Ihr erstes eigenes Gebäck war aufgeblase­nes Mandelkonf­ekt: Dafür trennte sie Eier, vermengte gemahlene Mandeln mit dem Eiweiß und goss so lange Zucker hinzu, bis die Masse steif wurde. Welche Mengen an Zucker sie damals gehabt hatten, dachte Josephine sehnsüchti­g. Die kleinen Formen aus Blech – Kreise, Sterne und Quadrate –, mit denen sie das Konfekt ausgestoch­en hatte, besaßen sie immer noch. Sie lagen in einer der untersten Schubladen des Tresens, doch sie waren lange nicht benutzt worden.

Josephine seufzte.

(Fortsetzun­g folgt)

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