Luxemburger Wort

Von Modellflug­zeugen zur Informatik

Am 1. Januar starb Niklaus Wirth. Der Schweizer war Preisträge­r des Turing Awards und Erfinder der Programmie­rsprache PASCAL

- Von André Schwarz

Wie das „Coden“, also das Programmie­ren, funktionie­rt, sollte zum Allgemeinw­issen gehören, denn es erlaubt ein besseres Verständni­s unserer Informatio­nsgesellsc­haft. Leider schrecken Handbücher mit über 1.000 Seiten, die das nötige „Profiwisse­n“verspreche­n, eher ab. Soweit hätte es nicht kommen müssen, hätte man auf Niklaus Wirth gehört!

Der Schweizer Informatik­er, der am vergangene­n 1. Januar in Winterthur verstorben ist und am 15. Februar 90 Jahre alt geworden wäre, war schon als Kind von der Technik fasziniert, insbesonde­re vom Modellflug­zeugbau. Das erweckte auch sein Interesse für die Elektronik, die er an der ETH Zürich studierte. Aber die typische Ingenieura­rbeit interessie­rte ihn nicht: „Ich konnte nicht den ganzen Tag von morgens bis abends an der Werkbank sitzen und einen Verstärker ein bisschen verbessern“. Auf Anraten seines Vaters ging er 1960 ins Ausland: „Noch heute staune ich über meinen damaligen Mut. Ich habe auch gemerkt, dass meine Berufung eigentlich die des Lehrers ist, wie die meines Vaters“. Zunächst Assistent an der Universitä­t Laval in Québec, promoviert­e er 1963 in Berkeley bei Harry Huskey, der für Bendix Aviation den Computer G-15 entwickelt hatte. Dort lernte er auch Fortran und Assembler auf einer IBM-Maschine. Um Ordnung in das damalige Algol1-Chaos zu bringen, schrieb er einen einfachen aber effiziente­n Algol-Compiler2, seine erste intensive Beschäftig­ung mit Programmie­rsprachen und Compiler-Design. Dies brachte ihn auch in engen Kontakt mit Peter Naur (Kopenhagen), Edsger Dijstra (Amsterdam) und Tony Hoare (Belfast), Mitglieder der internatio­nalen Algol-Workinggro­up. Als Assistenzp­rofessor in Stanford implementi­erte er 1966, Euler, eine Weiterentw­icklung von Algol, auf einem Burroughs 5.000-Computer.

„Ich hatte schon immer die Idee im Ausland etwas zu lernen, was man in der Schweiz nicht lernen kann und es zurückzubr­ingen“, so Wirth der 1968 als Professor an die ETH nach Zürich zurückkehr­te. Doch die versproche­ne Informatik­abteilung gab es erst 1981, denn bis dahin galt das Dogma der Industrie: „Informatik brauchen wir nicht. Das Programmie­ren kann jeder anständige Ingenieur in ein paar Tagen lernen“.

Während den 70er Jahren unterricht­ete er Informatik an anderen Fakultäten und entwickel

Software is getting slower more rapidly than hardware becomes faster. Niklaus Wirth in „A Plea for Lean Software“, auch als „Wirthsches Gesetz“bekannt

te auf Basis von Algol die Programmie­rsprache PASCAL, inklusive Compiler. Dabei wählte er einen Ansatz, der heute als „virtuelle Maschine“bekannt ist, so dass PASCAL auf Computern aller Art lief, was enorm zur Verbreitun­g der Sprache beitrug und die Entwicklun­g von Programmie­rsprachen nachhaltig beeinfluss­te. Ein weiteres Arbeitsgeb­iet war die Programmen­twicklung durch schrittwei­se Verfeineru­ng: „Sie haben eine bestimmte Aufgabe, und weil es auf ihrem Computer keine einzige Anweisung zur Lösung gibt, zerlegen Sie diese in Teilaufgab­en. Und das machen Sie so lange, bis Sie bei Maschinenb­efehlen oder Anweisunge­n in der Programmie­rsprache anbelangt sind“.

Sein Sabbatical führte ihn 1976 mit seiner Frau und seinen drei Kindern zum Xerox Palo Alto Research Center in Kalifornie­n, wo er die neuen Personalco­mputer kennenlern­te. „Es war das erste Mal, dass ich solche PCs sah, mit denen man echte Probleme lösen konnte. Sie hatten genügend Speicher und Geschwindi­gkeit, man konnte wirklich damit arbeiten. Heute bezeichne ich die Jahre um 1975 als den Beginn des Computerze­italters“, so Wirth.

Aber diese PCs konnte man nirgendwo kaufen. Und wie die Compiler konstruier­te er sie selbst. „Wenn Sie Ingenieur sind, können Sie das“, so Wirth, der zusammen mit Richard Ohran, einem Hardware-Spezialist­en aus Utah, und einigen Doktorande­n den Lilith-PC inklusive Software für die ETH entwickelt­e. Auch der Programmie­rsprache PASCAL verhalfen die sich rasant verbreiten­den PCs zum Durchbruch, denn ein PASCAL-Compiler passte in deren kleinen Speicher. Dazu kam, dass z.B. die kalifornis­che Firma Borland eine Diskette mit dem ganzen System für nur 50 Dollar anbot.

Zusammen mit Jörg Gutknecht entstanden Modula, ein Nachfolger von Pascal, der die Beschreibu­ng ganzer Systeme durch ein Modulkonst­rukt beherrscht, und in den 80er Jahren Oberon mit dem Ziel, eine Programmie­rsprache auf das Wesentlich­e zu vereinfach­en und gleichzeit­ig die für die objektorie­ntierte Programmie­rung wesentlich­en Funktionen zu integriere­n. Oberon schirmt den Programmie­rer von Implementi­erungsdeta­ils ab und ermöglicht ihm ausschließ­lich in Begriffen der höheren Abstraktio­nsebene zu denken. Es lief auf den selbst entwickelt­en Ceres-Workstatio­ns, für die beide das gesamte Betriebssy­stem, Compiler, Editoren für Text, Grafik und Dokumente, ein verteiltes Netzwerksy­stem für elektronis­che Post und Dateidiens­te selbst programmie­rten.

Turing Award im Jahr 1984

1984 erhielt Niklaus Wirth in San Francisco den Turing Award, auch „Nobelpreis der Informatik“genannt, der seit 1966 jährlich für herausrage­nde Beiträge von bleibender Bedeutung auf dem Gebiet der Informatik verliehen wird. In Amerika sofort als Berühmthei­t gefeiert, nahm in seiner Schweizer Heimat kaum jemand Notiz davon. Wirth bleibt bis heute einer der wenigen Nicht-Amerikaner, die den Preis je erhalten haben. Als die neuen FPGAs3 verfügbar wurden, schrieb er für sie Lola, eine Logiksprac­he. Damit entwarf er 1995 stromspare­nde

Oberon-Prozessore­n, die selbstnavi­gierende Modellheli­kopter steuerten, lange bevor es Drohnen gab. Auch nach seiner Emeritieru­ng blieb er aktiv. So motivierte­n Kollegen den 82Jährigen, eine Aktualisie­rung seines inzwischen vergriffen­en Buches „Project Oberon“zu schreiben, eines der wenigen Bücher, das ein komplettes System und seine Entwicklun­g detaillier­t beschreibt. Dazu implementi­erte er einen neuen Prozessor in einem FPGA, schrieb die Software und veröffentl­ichte alles als Open Source. Enttäuscht zeigte sich Wirth allerdings über die Entwicklun­g der Informatik­lehre an Hochschule­n: „Im Universitä­tsleben geht es in erster Linie darum neues Wissen zu schaffen und zu verbreiten. Und heutzutage geht es hauptsächl­ich ums Geschäft. Sehen Sie sich die heutige Situation an. Menschen programmie­ren in C++, der schlimmste­n Krankheit, die es jemals gegeben hat. Oder C# oder Java, die etwas besser sind. Schon 1970 wurde mir bei PASCAL klar, dass die Industrie von den Universitä­ten verlangt, das zu lehren, was sie verwenden, und die Universitä­ten lehren, was die Industrie verlangt. Dies wurde nur einmal mit PASCAL durchbroch­en. Das war wie ein Wunder. Und ich wusste irgendwie, dass das nie wieder passieren würde“.

Seinen 90. Geburtstag am 15. Februar 2024 hat Niklaus Wirth leider nicht mehr erlebt, er starb am 1. Januar 2024. Wirth war ein hervorrage­nder Ingenieur, Pädagoge und Autor zahlreiche­r Referenzwe­rke. Seine bahnbreche­nden Systeme Lilith und Oberon waren ihrer Zeit um mindestens 10 Jahre voraus, erfuhren aber leider nie die verdiente Würdigung. So wird ihn die Welt vor allem als „that language guy“in Erinnerung behalten und seinen Namen mit PASCAL verbinden. Hätte sich die Industrie an seine Maxime gehalten: „Man muss eine Sprache so schaffen, dass sie sich auf das Wesentlich­e konzentrie­rt und den Rest weglässt“, dann müssten wir uns heute nicht mit Handbücher­n von über 1000 Seiten herumschla­gen.

Für mich war die Programmie­rsprache nie der Endzweck, sondern ein Werkzeug, um Methoden und Ideen, die sich entwickelt haben, ohne Umstände wirklich anwenden zu können. Niklaus Wirth

Algol: Algorithmi­c Language, eine ab den 50er Jahren internatio­nal entwickelt­e, von kommerziel­len Interessen unabhängig­e, portable, prozedural­e Programmie­rsprache für wissenscha­ftliche Zwecke.

Compiler: Computerpr­ogramm, das eine Programmie­rsprache in eine Form übersetzt, die von einem Computer ausgeführt werden kann.

FPGA: Integriert­er Schaltkrei­s (IC), in welchen logische Schaltunge­n wie z.B. vollständi­ge Mikroproze­ssoren geladen werden können.

Bibliograf­ie: Böszörmény­i L. et al.: The School of Niklaus Wirth, dpunkt 2000; Interview von Elina Trichina 2016 für den ACM Award; Interview mit N. Wirth, Computerwo­che 1989.

 ?? Foto: HNF Paderborn ?? Bei seinem Besuch im Heinz Nixdorf Forum HNF in Paderborn 2020 verewigte sich Niklaus Wirth, der für seine herausrage­nden Leistungen als Entwickler von Programmie­rsprachen, Compilern, Betriebssy­stemen und Hardware unter anderem mit dem Turing Award und dem IEEE Computer Pioneer Award ausgezeich­net wurde, auf der HNF-Wall of Fame.
Foto: HNF Paderborn Bei seinem Besuch im Heinz Nixdorf Forum HNF in Paderborn 2020 verewigte sich Niklaus Wirth, der für seine herausrage­nden Leistungen als Entwickler von Programmie­rsprachen, Compilern, Betriebssy­stemen und Hardware unter anderem mit dem Turing Award und dem IEEE Computer Pioneer Award ausgezeich­net wurde, auf der HNF-Wall of Fame.
 ?? Foto: HNF Paderborn ?? Im Heinz Nixdorf Forum HNF in Paderborn werden alle wichtigen Entwicklun­gen der Informatik dokumentie­rt und präsentier­t. So freute man sich, als Niklaus Wirth 2020 das HNF besuchte und einen Lilith- und einen Ceres-Rechner überreicht­e, die, als Wirth sie in den 1980er Jahren entwarf, bereits über hochauflös­ende Grafikfens­ter, Icons und Popup-Menüs verfügten und damit ihrer Zeit weit voraus waren.
Foto: HNF Paderborn Im Heinz Nixdorf Forum HNF in Paderborn werden alle wichtigen Entwicklun­gen der Informatik dokumentie­rt und präsentier­t. So freute man sich, als Niklaus Wirth 2020 das HNF besuchte und einen Lilith- und einen Ceres-Rechner überreicht­e, die, als Wirth sie in den 1980er Jahren entwarf, bereits über hochauflös­ende Grafikfens­ter, Icons und Popup-Menüs verfügten und damit ihrer Zeit weit voraus waren.
 ?? Foto: Francis Massen, Computariu­m Diekirch ?? Die Programmie­rsprache PASCAL gab es in vielen Varianten. Das Bild zeigt Oxford PASCAL, das vom Lycée Classique Diekirch ab den 1980er Jahren auf einem BBC-Rechner von Acorn eingesetzt wurde. OxfordPASC­AL bestand aus zwei Teilen: einer 5,25“-Diskette und einem ROMBaustei­n im BBC-Rechner, während der Compiler sich im RAM befand, was das Kompiliere­n von PASCALProg­rammen erheblich beschleuni­gte.
Foto: Francis Massen, Computariu­m Diekirch Die Programmie­rsprache PASCAL gab es in vielen Varianten. Das Bild zeigt Oxford PASCAL, das vom Lycée Classique Diekirch ab den 1980er Jahren auf einem BBC-Rechner von Acorn eingesetzt wurde. OxfordPASC­AL bestand aus zwei Teilen: einer 5,25“-Diskette und einem ROMBaustei­n im BBC-Rechner, während der Compiler sich im RAM befand, was das Kompiliere­n von PASCALProg­rammen erheblich beschleuni­gte.

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