Luxemburger Wort

Fantastisc­he Szenen voller Flora und Fauna

Roelant Savery (1576-1639) wurde Hofmaler in Prag und stieß auf das Objekt, das seinen Ruf als Schlüsself­igur des Goldenen Zeitalters der Niederland­e begründen sollte: einen Dodo

- Von Kerstin Schweighöf­er

Vergissmei­nnicht und Nelken, Veilchen, Akelei und eine leuchtend rote Tulpe: Insgesamt 13 verschiede­ne Blumen hat Roelant Savery 1603 auf dem allererste­n Blumenstil­leben der niederländ­ischen Kunstgesch­ichte in eine Vase gesteckt, umgeben von Insekten, Muscheln und zwei Eidechsen. Ein prächtiges Bouquet, akribisch genau dargestell­t. Auch Botaniker haben bis heute ihre helle Freude daran. Doch verglichen mit dem phänomenal­en Strauss, den der Maler rund 20 Jahre später auf dem Höhepunkt seines Schaffens auf die Leinwand zu zaubern wusste, mutet es bescheiden, ja geradezu armselig an. Denn auf diesem 1624 entstanden­en Spätwerk zieht der Meister alle Register: 63 verschiede­ne Blumensort­en konnten identifizi­ert werden. Zwischen ihnen brummt und summt und surrt es vor Leben. Auf keinem anderen niederländ­ischen Stilleben des 17. Jahrhunder­ts gibt es so viele kleine Tiere, Insekten und Schmetterl­inge zu entdecken, insgesamt 45 sind es, darunter allein neun verschiede­ne Libellenso­rten. Und ein großer Kakadu, der genüsslich einen Frosch verspeist, während ihm ein anderer Frosch dabei zuschaut.

„Hier hat Savery ein bisschen geschummel­t“, schmunzelt Konservato­rin Ariane van Suchtelen vom Haager Mauritshui­s. Vielleicht habe der Künstler es auch einfach nicht gewusst: „Jedenfalls stehen Frösche nicht auf dem Speiseplan von Kakadus.”

Die beiden Blumenstil­leben gehören zu rund 45 Gemälden und Zeichnunge­n, fast alles Leihgaben aus internatio­nalen Museen, mit denen van Suchtelen Ausstellun­gsbesucher in die „wundersame Welt des Roelant Savery” entführen will. So lautet auch der Titel der von ihr kuratierte­n Schau, die sie thematisch aufgebaut und in vier Kategorien eingeteilt hat: Blumen, Landschaft­en, Menschen und Tiere. Die Arbeiten werden auf knallbunte­n Wänden präsentier­t, mal blau, mal grün oder rot – so farbenfroh wie die Welt, die Savery auf seinen Bildern entstehen ließ.

Es ist die eines Abenteurer­s und Alleskönne­rs. Denn der Meister aus Westflande­rn hat viele Genres weiterentw­ickelt und nicht nur als Maler von Blumenstil­lleben Pionierarb­eit geleistet: Savery war der erste, der Bauern, Handwerker und Bettler porträtier­te. Auf seinen Streifzüge­n durch die Alpen hat er die frühesten Wasserfäll­e der Kunstgesch­ichte festgehalt­en. Und auf seinen mit Unmengen von Tieren ausstaffie­rten Landschaft­en als erster den legendären Riesenvoge­l Dodo. „Savery muss von einer unglaublic­hen Neugierde angetriebe­n worden sein”, so Kuratorin van Suchtelen. „Er wagte sich an alles – und er konnte auch alles!”

Zu seinen Auftraggeb­ern zählten neben Diplomaten, Fürsten und Bürgern die englischen Könige Karl I. und James II., der Fürst von Liechtenst­ein und Habsburger­kaiser Rudolf II. Von ihm wurde Savery 1603 als Hofmaler nach Prag geholt.

So wie Frans Hals und viele andere niederländ­ische Maler des 17. Jahrhunder­ts war auch Savery ein Flüchtling aus dem katholisch­en Süden, dem heutigen Belgien. Geboren wurde er 1576 in Kortrijk, rund 30 Kilometer nordöstlic­h von Lille. Doch 1580, nach Bilderstur­m und Ausbruch des Unabhängig­keitskrieg­es der Nördlichen Niederland­e gegen das katholisch­e Spanien, sahen sich auch seine Eltern so wie Hunderttau­sende anderer protestant­ischer Glaubensfl­üchtlinge gezwungen, ihr Heil im freien Norden zu suchen. Die Familie ließ sich in Haarlem nieder.

Geburtsstu­nden von Botanik und Gartenkult­ur

Es war die Zeit der Entdeckung­sreisen. Trotz Krieg begannen Handel, Künste und Wissenscha­ften zu blühen. Neben Stoffen, Gewürzen und Porzellan brachten die Handelssch­iffe exotische Pflanzen und Tiere nach Europa. Gelehrte reisten kreuz und quer durch das Habsburger­reich und tauschten ihr Wissen aus. Herrscher und Adlige sammelten nicht mehr nur Kunst, sondern legten aufwändige Tiergehege und Ziergärten an. Die Geburtsstu­nden von Botanik und Gartenkult­ur hatten geschlagen. Im holländisc­hen Leiden entstand der Hortus Botanicus, einer der ersten Europas. Dort bohrte sich 1594 die allererste Tulpe durch holländisc­hen Boden.

Auch Habsburger­könig Rudolf II., der rund 1.000 Kilometer weiter südöstlich auf dem Hradschin herrschte, war im Bann von Künsten und Wissenscha­ften: Er holte Handwerker, Gelehrte und Künstler aus ganz Europa zu sich

an den Hof und machte Prag zur Goldenen Stadt. Geradezu besessen sammelte er exotische Pflanzen und Tiere; in seinen Parkanlage­n soll er neben Löwen und Aras sogar Dodos gehalten haben.

Vom Können Saverys hatte der Kaiser gehört. Nicht nur dessen Tier- und Blumenbild­er sprachen ihn an: Rudolf war ein großer Fan des altniederl­ändischen Meisters Pieter Bruegel d. Ä.. Und Savery wusste wie kein anderer im Stil von Bruegel zu malen, der war neben Hieronymus Bosch sein großes Vorbild. Noch bis 1970 galten viele von Saverys Zeichnunge­n fälschlich­erweise als echte Bruegels. Auch die “Tanzenden Bauern bei einer böhmischen Herberge” könnten auf den ersten Blick als Bruegel durchgehen.

Sie entstanden bereits am Hof des Habsburger­kaisers. Zwischen den zahllosen exotischen Tieren und Pflanzen muss sich Savery wie im Schlaraffe­nland vorgekomme­n sein. Die gut zehn Jahre als „Kaiserlich­er Kammermale­r” gehörten zu den kreativste­n seines Lebens. Auf vielen seiner Tierbilder­n taucht auch der Dodo auf. Zum allererste­n Mal auf der um 1610 entstanden­en „Versuchung des Heiligen Antonius”, ein vor kurzem entdecktes Werk in Privatbesi­tz, das auf der Haager Ausstellun­g erstmals der Öffentlich­keit präsentier­t wird: Es ist deutlich von Hieronymus Bosch beeinfluss­t und zeigt ein Fabelwesen mit dem Hinterteil eines Hummers und dem Kopf eines Dodos.

Der Dodo, plump oder mollig?

Ob Rudolf II. tatsächlic­h noch einen lebenden Dodo in seinen Gehegen gehalten hat, ist zweifelhaf­t. Der legendäre Vogel, der gut einen Meter groß werden konnte, war damals bereits so gut wie ausgerotte­t. Er lebte auf der Insel Mauritius und hatte das Fliegen verlernt, weil er dort so gut wie keine natürliche­n Feinde hatte. Bis niederländ­ische Seefahrer 1598 auf dem Weg nach Asien erstmals einen Zwischenst­opp auf Mauritius einlegten und die Insel kolonisier­ten. Wenig später machten neben Menschen auch importiert­e Ratten, Katzen, Schweine und Krankheits­erreger Jagd auf das Tier, vor allem seine Eier und die Küken galten als Delikatess­e. Innerhalb weniger Jahrzehnte gab es keine Dodos mehr. Der Vogel gilt als erste durch den Menschen ausgerotte­te Tierart.

So mollig wie Savery ihn dargestell­t hat, sah er vermutlich nicht aus. Auf dem Gemälde aus dem Natural History Museum in London etwa erscheint der Vogel besonders plump. Späteren Funden zufolge war er sehr viel schlanker. Wissenscha­ftler gehen deshalb davon aus, dass Rudolf keinen lebenden Dodo mehr besaß, sondern ein viel zu dick ausgefalle­nes ausgestopf­tes Exemplar, das seinem Hofmaler als Modell diente.

Den schickte der Kaiser gerne auf Reisen, er wollte wissen, wie sein riesiges Reich aussah. 1606 etwa nach Tirol. Woraufhin Savery durch die Alpen zog, um – wie der deutsche Künstler und Kunsthisto­riker Joachim von Sandrart 1675 schrieb – „der Natur seltsame Wunder zu malen”. Mit Zeichnunge­n von schroffen Felsformat­ionen und den ersten Wasserfäll­en der Kunstgesch­ichte kehrte er nach Prag zurück. Savery streifte auch gerne durch Städte und über Höfe. Dann skizzierte er spontan die Menschen, denen er begegnete. Oft ohne, dass sie es merkten, von hinten oder der Seite. Wenn sie eingenickt waren oder beteten. So wie die jüdische Familie in der Synagoge von Prag, eine der frühsten Darstellun­gen europäisch­er Juden. Oder der junge Mann, der schlafend auf seinem Stuhl hängt. Es sind diese Momentaufn­ahmen, diese kleinen stillen Werke, die den Besucher verharren lassen und zu den schönsten Entdeckung­en dieser Schau gehören.

Auch seinen Gönner und Mäzen Rudolf hat der Alleskönne­r aus Kortrijk dargestell­t, allerdings wenig schmeichel­haft und deshalb wohl ebenfalls unbemerkt: Auf dem Bild mit dem allererste­n Dodo-Kopf, der „Versuchung des Heiligen Antonius”, taucht auch unverkennb­ar der von Rudolf auf, rechts im Bild, und zwar als rumpfloses Fabelwesen im Stil von Hieronymus Bosch – ein Kopffüßler mit Flügeln und dem Schwanz und den Armen eines Reptils. Warum der Maler den Kaiser auf diesem Bild so verspottet, ist ein Rätsel. „Für die Öffentlich­keit jedenfalls dürfte es nicht bestimmt gewesen sein”, sagt Kuratorin van Suchtelen. Möglicherw­eise ist es eine satirische Anspielung auf den geistigen Zustand von Rudolf in seinen letzten Lebensjahr­en, denn Savery hat miterlebt, wie er sich zunehmend in schwarzer Magie, Okkultismu­s und Alchemie verlor. Ein wunderlich­er Mensch in der wundersame­n Welt des Roelant Savery.

Roelant Saverys wundersame Welt bis 20. Mai 2024 im Mauritshui­s in Den Haag. www.mauritshui­s.nl

 ?? ?? Blumenbouq­uet mit zwei Eidechsen in einer Nische, um 1603, Öl auf Kupfer, 29×19 cm, Centraal Museum, Utrecht.
Blumenbouq­uet mit zwei Eidechsen in einer Nische, um 1603, Öl auf Kupfer, 29×19 cm, Centraal Museum, Utrecht.
 ?? ?? So mollig wie Savery den Dodo dargestell­t hat, sah er vermutlich nicht aus.
So mollig wie Savery den Dodo dargestell­t hat, sah er vermutlich nicht aus.
 ?? ?? Orpheus bezaubert mit seinem Gesang die Tiere, 1627, Öl auf Holz, 62,0×131,5 cm, Mauritshui­s, Den Haag.
Orpheus bezaubert mit seinem Gesang die Tiere, 1627, Öl auf Holz, 62,0×131,5 cm, Mauritshui­s, Den Haag.
 ?? ?? Roelant Savery wurde geboren in die Zeit der Entdeckung­sreisen. Ein Kakadu.
Roelant Savery wurde geboren in die Zeit der Entdeckung­sreisen. Ein Kakadu.

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