Räume und Träume eines Dichters
Das Wiener Theatermuseum würdigt den Dramatiker Hugo von Hofmannsthal zu seinem 150. Geburtstag
Jedermann! Dieser Ruf hallt alljährlich im gleichnamigen „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“mit langgezogenen Vokalen während der dortigen Festspiele durch das sommerliche Salzburg. Er ist wahrscheinlich das bekannteste Wort, das man mit Hugo von Hofmannsthal (1874–1929) in Verbindung bringt. Der Geburtstag dieses Dichters jährte sich in diesem Jahr am 1. Februar zum 150. Mal, sein 95. Todestag wird auf den 15. Juli fallen. Die aus diesen Anlässen unlängst im Wiener Theatermuseum eröffnete Ausstellung „Staging Hofmannsthal“vermittelt einen Eindruck von Hofmannsthals Leistungen für die Bühne.
Das Museum – demnächst wird es durch einige Räume, die bisher eine Kunsthandlung gemietet hatte, erweitert – befindet sich im ehemaligen Palais der Familie Lobkowitz, gehört zum Verband des Kunsthistorischen Museums und liegt in günstiger zentraler Lage in unmittelbarer Nähe zur Nationalbibliothek und zur Staatsoper.
Im Vorraum erinnert eine von einigen Bildern begleitete Zeitleiste an wichtige Stationen im Leben von Hugo Laurenz August Hofmann, Edler von Hofmannsthal, der am 1. Februar 1874 in Wien zur Welt kam. Er hatte böhmische, jüdische und lombardische Vorfahren. Sein jüdisch-orthodoxer Urgroßvater Isaak Löw Hofmann, der die Seidenindustrie in Österreich einführte und ein großes Vermögen erwarb, wurde als erfolgreicher Industrieller 1835 in den Adelsstand erhoben. Nach dem Börsenkrach von 1873 war die inzwischen katholisch gewordene Familie nicht mehr reich, aber der junge Hugo erhielt eine erstklassige Bildung durch Privatlehrer und am Wiener Akademischen Gymnasium.
Er lernte früh mehrere Sprachen, las sehr viel und begann schon als intellektuell frühreifer Schüler eine literarische Tätigkeit. Seine ersten Gedichte wurden unter dem Pseudonym Loris veröffentlicht. Hofmannsthal legte mit Auszeichnung die Reifeprüfung ab, ein auf Druck seines Vaters begonnenes – zunächst durch ein freiwilliges Jahr Militärdienst und eine Venedig-Reise unterbrochenes – Jura-Studium brach er ab. Er studierte dann bis zur Promotion im Jahr 1898 Französische Philologie. Bereits in jungen Jahren schloss er Freundschaften mit wichtigen Künstlern und Autoren seiner Zeit. Zeitweise prägte ihn vor allem der Dichter Stefan George, aber diese Freundschaft endete 1906 nach einem heftigen Streit. Im Jahr 1900 kam es in Paris zur ersten Begegnung mit dem Musiker Richard Strauss, mit dem Hofmannsthal später als Librettist sehr erfolgreich zusammenarbeitete.
Das Theatermuseum kann aus der Fülle seiner Bestände zum „Rosenkavalier“– Bühnenbildentwürfe, Kostümfigurinen, Schriftstücke und Fotografien – schöpfen.
Ausstellung wie ein Drama
Die Ausstellung im Theatermuseum ist bewusst wie ein Drama gegliedert – in einen Prolog, drei Akte und einen Epilog – und widmet sich in besonderer Weise der Auseinandersetzung mit der Funktion und Gestaltung von Räumen in Hofmannsthals Werk. Kaum ein Dramatiker hat seinen Texten so präzise Skizzen und Anweisungen für die Realisierung der Räume hinzugefügt wie Hugo von Hofmannsthal. Der Schwerpunkt der Schau, die sich auf eine relativ kleine Ausstellungsfläche beschränken muss, liegt auf seiner Tragödie „Elektra“, der Oper „Der Rosenkavalier“und einer frühen Stummfilmversion dieser Oper.
Der Prolog führt in einen privaten Raum, an die Adresse Stallburggasse 2 in der Wiener Innenstadt, wo Hofmannsthal sich 1916 eine kleine angemietete Wohnung von dem Architekten und Bühnenbildner Oskar Strnad ausstatten ließ. Hier im Salon hatte der Schriftsteller, der sonst in einem später „HofmannsthalSchlössl“genannten barocken Landhaus in Rodaun am südwestlichen Stadtrand von Wien wohnte, seine städtische Bühne für repräsentative Auftritte.
In dem geradezu theaterwirksam gestalteten Wohnraum mit vielen Familienerbstücken, darunter ein großes Gemälde seines Großvaters oder ein kunstvoll gestalteter chinesischer Teller, empfing er offizielle Gäste und Journalisten. Strnad entwarf später die Bühnenbilder für Hofmannsthals Komödie „Der Schwierige“(1924) und für die von Richard Strauss komponierte Oper „Ariadne auf Naxos“(1926), zu der Hofmannsthal das Libretto schrieb.
Einer weiteren Koproduktion von Hofmannsthal und Strauss ist der erste Akt der Ausstellung gewidmet. 1903 inszenierte Max Reinhardt im Kleinen Theater in Berlin Hofmannsthals „Elektra“, die dem griechischen Tragiker Sophokles nachempfunden war, mit Gertrud Eysoldt, einer der bedeutendsten Schauspielerinnen ihrer Zeit, in der Titelrolle. Richard Strauss besuchte eine Aufführung und sah darin einen geeigneten Opernstoff. Hofmannsthal, der im gleichen Jahr im Aufsatz „Die Bühne als Traumbild“für ein Bühnenbild plädierte, in dem nichts ohne Bedeutung ist, formulierte damals auch präzise „Szenische Vorschriften zu ‚Elektra‘“mit Bezug auf das Bühnenbild und die Kostüme.
Ab 1906 arbeiteten Hofmannsthal und Strauss am Libretto, das den antiken Mythos auf die von Rachegedanken besessene Psyche der Hauptfigur konzentrierte. Für die Ausstattung der Wiener Erstaufführung von „Elektra“im Jahr 1909 setzte der Bühnenbildner Alfred Roller diese Ideen kongenial um. Das Theatermuseum präsentiert Bilder und Entwürfe zu dieser Produktion, aber auch einen bemerkenswerten Bühnenbildentwurf zu „Elektra“aus dem Jahr 1905, der von dem bedeutenden britischen Künstler Edward Gordon Craig stammt.
Einen Höhepunkt des gemeinsamen Schaffens von Hofmannsthal und Strauss behandelt der nächste Akt der Schau, die Arbeit an der Oper „Der Rosenkavalier“. Hofmannsthals Streben nach Mitbestimmung bei der Gestaltung des Bühnenraums ließ ihn schon früh den Bühnenbildner Alfred Roller in den Entstehungsprozess einbeziehen. Das Theatermuseum kann aus der Fülle seiner Bestände zum „Rosenkavalier“– Bühnenbildentwürfe, Kostümfigurinen, Schriftstücke und Fotografien – schöpfen. Der inszenierte Raum gleicht einem symbolischen Raum, der Ideen und Inhalte anschaulich macht. Rollers Ausstattung wurde stilbildend für spätere Inszenierungen dieser populärsten Oper von Richard Strauss.
„Der Rosenkavalier“dominiert auch den Schlussakt der Ausstellung, nämlich als Stummfilm aus dem Jahr 1926. Nach Hofmannsthals Wünschen sollte die Verfilmung die Vorgeschichte der Opernhandlung erzählen, das Projekt wurde aber ausgeweitet, weil die Filmproduzenten auf ikonische Szenen wie die Überreichung der silbernen Rose nicht verzichten wollten. Wieder lieferte Alfred Roller die Szenenentwürfe. Das Medium Film machte es möglich, dass sich Hofmannsthals Bühnenraum in den erweiterten Raum „Wien und Umgebung“weitete, vor allem in den Park von Schloss Schönbrunn. Leider noch ohne Ton geben barocke Tanzszenen, aber etwa auch Szenen wie das Rasieren des Darstellers Michael Bohnen in der Rolle des Ochs auf Lerchenau, einen Einblick in die damalige Theaterkultur.
Der Epilog führt die Besucher schließlich in den städtischen Raum von Wien und verweist mittels eines Stadtplans auf zwölf Orte im Stadtzentrum, die mit Hofmannsthals Leben oder Werk in Beziehung stehen.
Auch wenn sich die von den Kuratorinnen Christiane Mühlegger-Henhapel und Katja Kaluga zusammengestellte Schau (die beiden sind auch Autorinnen der im Museum und online erhältlichen 96-Seiten-Publikation „Staging Hofmannsthal – Hofmannsthal inszenieren“) nur auf einen Teil von Hofmannsthals Schaffen konzentriert, regt sie doch dazu an, sich mit den vielen weiteren Leistungen dieses Autors zu beschäftigen, die hier nur gestreift werden. Dazu gehört sicher die Gründung eines der wichtigsten Kulturfestivals der Welt, der Salzburger Festspiele, im Jahr 1920, gemeinsam mit Richard Strauss und dem „Theatermagier“Max Reinhardt. Dazu zählen seine Libretti für mehrere weitere Werke von Richard Strauss, darunter „Die Frau ohne Schatten“oder „Arabella“. Hofmannsthal hat aber auch eine Fülle an Lyrik, Prosa und Dramen hinterlassen. Großes Aufsehen erregte beispielsweise sein Text „Ein Brief“aus dem Jahr 1902, in dem er als fiktiver junger Lord Chandos im Jahr 1603 ein Schreiben an den Philosophen und Naturwissenschaftler Sir Francis Bacon richtet, das sich vor allem mit einer kritischen Sicht der Sprache als Ausdrucksmittel und der Suche nach einer neuen Poetik beschäftigt.
Von Hofmannsthals Theaterstücken haben sich neben dem „Jedermann“vor allem die Komödien „Der Schwierige“und „Der Unbestechliche“auf den Spielplänen – vor allem an österreichischen Bühnen – gehalten. Erwähnenswert ist bestimmt noch sein Trauerspiel „Der Turm“, das sich auf originelle Weise an das Drama „Das Leben ein Traum“des spanischen Dichters Pedro Calderón anlehnt.
Eine konservative und monarchistische politische Linie
Als politischer Mensch vertrat Hugo von Hofmannsthal eine konservative, monarchistische Linie. Er sah eine Trennlinie zwischen Preußen und Österreich und entwickelte aus den geschichtlichen Entwicklungen seit Prinz Eugen von Savoyen und Kaiserin Maria Theresia das Leitbild des in Zentraleuropa lebenden „theresianischen Menschen“als eines katholischen Paneuropäers.
Hofmannsthal verstand sich als Katholik, war aber durch seine eigene Herkunft, aber auch durch die 1901 geschlossene Ehe mit Gertrud Schlesinger, die einer jüdischen Familie entstammte, dem Judentum verbunden. Möglicherweise haben antisemitische Ressentiments dazu beigetragen, dass keine seiner vier Nominierungen für den Literatur-Nobelpreis zum Erfolg führte. Sein Leben nahm 1929 ein tragisches Ende. Am 13. Juli beging sein Sohn Franz Suizid, zwei Tage später erlitt Hugo von Hofmannsthal im Alter von 55 Jahren einen tödlichen Schlaganfall, als er zum Begräbnis des Sohnes aufbrechen wollte. Seine Witwe, sein Sohn Raimund und seine Tochter Christiane verließen später rechtzeitig Österreich, sie wären sonst Opfer des Nationalsozialismus geworden.
Hofmannsthals ganzes Leben und Wirken kommt im Theatermuseum etwas zu kurz, nimmt aber vielleicht im Herbst in Deutschland mehr Raum ein. Das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main, das den größten Teil des Nachlasses von Hugo von Hofmannsthal verwahrt, trug durch Kooperation und wertvolle Leihgaben zur Wiener Ausstellung bei und wird vom 4. Oktober 2024 bis zum 5. Januar 2025 die Ausstellung „Hofmannsthal. Szenen – Literatur, Identität und Zeitgeschichte 1874–1929“präsentieren.l
Staging Hofmannsthal, noch bis zum 19. August 2024 im Theatermuseum, Lobkowitzplatz 2, Wien