Schritt für Schritt zur Schokoladen-Chefin
Wie die Finanzanalystin Alexandra Kahn aus Hongkong zurückkehrt, um die Chocolaterie Genaveh in Steinfort zu übernehmen
Ich wollte eine Arbeit mit sofort sichtbarem Resultat.
Paris, Hongkong, Steinfort. Ihre Leidenschaft für Patisserie und Pralinen führte die gebürtige Pariserin Alexandra Kahn nach internationalen Managementjobs ins Großherzogtum. 2017 übernahm sie die kleine Schokoladenmanufaktur Genaveh in Steinfort. Heute führt sie 20 Mitarbeiter und eine eigene Chocolaterie in der Hauptstadt.
Alexandra Kahn, mit Finanzstudium und Berufserfahrung in Hongkong Chefin einer Schokoladenmanufaktur in Steinfort zu werden – diese Kurve in Ihrer Karriere müssen Sie uns erklären.
Ich habe nach der Schule den klassischen Weg eingeschlagen, von dem ich meinte, ihn gehen zu wollen: Wirtschaftsstudium in Paris, Auslandssemester in Hongkong, Master in Finanzwirtschaft. Das Leben in Hongkong war fantastisch. Nach dem Abschluss des Master 1 in Finanzen habe ich deshalb ein Jahr mit dem Studium pausiert und bin zurück nach Hongkong, habe dort unter anderem bei der BNP Paribas gearbeitet. Zurück in Paris, um meinen Master 2 zu absolvieren, habe ich umgesattelt auf Entrepreneurship. Ich wollte mich nicht weiter in der Finanzwirtschaft spezialisieren, sondern mich ganz im Gegenteil wieder „generalisieren“, mir ein breiteres Wissen aneignen und mir so Türen offenhalten. Denn ich verspürte seit Langem den Wunsch, selbst Unternehmerin zu werden, wusste aber nicht, wie und in welcher Form.
Nach Studienabschluss zog es Sie wieder nach Hongkong …
Ja, ich habe anderthalb Jahre wertvolle Berufserfahrung als Projektkoordinator in einem Marketing-Beratungsunternehmen gesammelt, das auf Luxusprodukte spezialisiert war. Aber es kam der Moment, in dem ich spürte: Das ist nicht deine Leidenschaft. Du musst jetzt herausfinden, was du wirklich mit deinem Leben anfangen willst. Ich bin nach Hause zurückgekehrt, um mir selbst Zeit zum Nachdenken zu geben.
Um auf andere Gedanken zu kommen, habe ich gebacken, das war schon immer mein Hobby. Freunde begannen, Torten bei mir zu bestellen, und ich verstand: Du musst etwas Konkretes tun. Etwas, das Menschen glücklich macht. Ich wollte eine Arbeit mit sofort sichtbarem Resultat, statt jahrelanger Managementprojekte. Also habe ich ein Praktikum in einer Pariser Konditorei absolviert.
Wie haben Sie aus Paris heraus die Chocolaterie Genaveh in Steinfort entdeckt?
Meine Familie stammt aus dem Elsass und Lothringen und war stets in Luxemburg geschäftlich aktiv. Mein Großvater betrieb früher in der Hauptstadt das Geschäft „A la Bourse“und eröffnete die erste Filiale einer belgischen Schokoladenmarke in Luxemburg. Auch mein Vater lebt in Luxemburg. Als er erfuhr, dass im Großherzogtum die kleine Schokoladenmanufaktur Genaveh zu verkaufen war, sind wir beide sofort hin. Wir lernten das Team kennen, probierten die Pralinen, planten ein Jahr lang. Ende 2017 habe ich die Manufaktur samt Marke und Rezepten gekauft, die fünfköpfige Belegschaft übernommen, und zog nach Luxemburg.
Sie übernahmen eine florierende Firma?
Ganz und gar nicht. Nach dem frühen Tod von Geula Naveh, der Gründerin und Seele von Genaveh, war die Manufaktur in eine Krise geschlittert. Die Grundlagen der Rezepte waren exzellent, aber die Produkte mussten weiterentwickelt werden. Außerdem musste ich dringend das Vertrauen der Lieferanten und der Kunden zurückgewinnen. Gemeinsam mit dem Team habe ich alles neu aufgebaut. Ein echter Kraftakt! Im nächsten Schritt habe ich der Marke ein neues Image verpasst, um zu zeigen, dass ein frischer Wind durch die Firma wehte: neues Logo, neue Farben, modernere Verpackung.
Mittlerweile haben Sie Ihr Team auf 20 Mitarbeiter vervierfacht. Hat sich der Umsatz auch vervierfacht?
Wir haben Vertrieb, Verkaufsstellen und Aufträge von Unternehmen deutlich ausgebaut und so besonders in den ersten Jahren ein sehr großes Wachstum erlebt. Ich erinnere mich noch an das erste Weihnachtsgeschäft: Zu sechs Personen wurden wir mit der Welle von Bestellungen nicht fertig. Meine Freunde mussten am Wochenende kommen, um die Pralinenschachteln zu füllen. Seitdem habe ich entsprechend dem Bedarf weiter rekrutiert. Stress durch Unterbesetzung möchte ich nicht noch einmal erleben.
Ihre Kunden sind demnach vor allem Firmen?
Wir haben Business- und Privatkunden. Luxemburger Unternehmen wie Banken oder Anwaltskanzleien ordern bei uns zu Ostern oder Weihnachten Präsente für Kunden oder Mitarbeiter. Private Kunden kaufen vor allem in unserer Chocolaterie in der Rue Philippe II, über unser Webportal oder in einer der 30 Verkaufsstellen in Luxemburg und Paris – also Geschäfte, die auch Genaveh-Schokolade in ihrem Sortiment führen.
Wie haben Sie denn Kanzleien als Kunden geworben?
Ich habe monatelang jeden Tag Firmen angerufen und Präsentationstermine ausgehandelt. Anfangs war ich zu schüchtern und mochte das gar nicht, aber ich hatte keine Wahl. Zum Glück reagieren die meisten Menschen freundlich, wenn es um
Schokolade geht. Da hängt Ihnen niemand gleich den Hörer ein.
Bereitet Ihnen die Konjunkturkrise keine Sorge? Sind Fachgeschäfte wie SchokoBoutiquen in Gefahr?
Nein, ich habe nicht den Eindruck, dass bei diesem Genussmittel gespart wird. Viel mehr Sorgen hat mir die Pandemie gemacht. Die Produktionsfläche der Manufaktur musste damals dringend vergrößert werden, und es bot sich die Gelegenheit, die Werkstattfläche zu verdoppeln. Der Lockdown fiel genau in die Zeit, in der ich über diese große Investition entscheiden musste. Zum Glück hat die Investition sich gelohnt. Am Ende des Pandemiejahres gingen besonders viele Firmenaufträge ein.
Derzeit wird alles teurer – Mieten, Materialien, Gehälter. Auch Genaveh musste die Preise leicht erhöhen. Aber wir bemühen uns, zugleich auch die Qualität der Produk
te weiter zu steigern. Wir evaluieren unsere Rezepte, Zutaten und Lieferanten jedes Jahr. Ehrlichkeit ist mir wichtig: Die Preise müssen stets gerechtfertigt sein. Und natürlich spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle in unserem Métier. Was wir an Zutaten in der Region finden, kaufen wir hier, zum Beispiel Sahne. Die Bohnen für dunkle Schokolade tragen das FairTrade-Label.
Ist Ehrlichkeit eine Erfolgsstrategie?
Qualität, Ehrlichkeit, gutes Handwerk. Genaveh-Pralinen bleiben Handarbeit. Die Atmosphäre in der Firma soll familiär und wenig hierarchisch bleiben, deshalb werden wir auch nicht unendlich weiter wachsen. Teilhabe und Kontakt sind mir ebenfalls wichtig. Die Kunden lieben es, Schokolade zu probieren und mit dem Chocolatier über die Zutaten zu sprechen.
Für den Firmenerfolg gibt es letztlich kein Geheimrezept. Mein Rezept war meine langfristige Vision. Die habe ich Schritt für Schritt nach Instinkt und Logik umgesetzt, vom Material über Logistik, Verpackung, Werkstattausbau bis zur Realisierung meines Ziels, der Eröffnung einer eigenen Chocolaterie in der Hauptstadt vor zwei Jahren. Und natürlich bin ich mit Spaß an der süßen Sache dabei, nicht nur wegen der Gewinnspanne. Spaß auch an den vielfältigen Aufgaben als Geschäftsführerin. Ich liebe meine Rolle als Schweizer Taschenmesser.
Wie findet man heraus, was einem am besten liegt – und den Mut, es dann auch zu tun?
Ich selbst habe meine Wahlmöglichkeiten auf die lange Bank geschoben. Im Rückblick rate ich, auf sich selbst zu hören, sich auch die Gelegenheit dazuzugeben und Dinge einfach mal auszutesten. Als junger Unternehmer muss man sich außerdem Unterstützung holen, professionell wie privat. Ohne mein tolles Team und ohne meine Familie und Freunde hätte ich es nicht geschafft. Meine Firma geht mir ständig im Kopf herum und ich habe keinen Geschäftspartner. Da braucht man Austausch und Rat – und im Notfall Freunde, die zupacken können.
Als junger Unternehmer muss man sich auch Unterstützung holen.
Haben Sie Ausbaupläne für die Zukunft? Oder zieht es Sie wieder nach Hongkong?
Ich bleibe in Luxemburg und bei der Schokolade (lacht). Ich brauche in der Tat immer wieder neue Projekte. Aber derzeit hält mich meine acht Monate alte Tochter in Atem. Sie ist mein Großprojekt und ihr widme ich meine Freizeit. Über weitere Geschäfte ist noch nicht entschieden. Natürlich habe ich schon eine neue Projektidee im Kopf. Die ist aber noch top secret. Ich kann aber versichern: Es geht wieder um Schokolade.