Luxemburger Wort

Ein Jahrhunder­t vor der Glotze

Im Februar vor 100 Jahren stellte der Schotte John Logie Baird den ersten wirklich funktionie­renden Fernsehapp­arat vor

- Von Olaf Neumann Von London nach New York

Paul Julius Gottlieb Nipkow legte das Fundament. Der deutsche Ingenieur konstruier­te 1883 so etwas wie den mechanisch­en Urfernsehe­r, indem er am Heiligen Abend allein in seinem möblierten Zimmer in Berlin vor seiner Petroleuml­ampe ein elektronis­ches Teleskop erfand: Die spiralförm­ig gelochte „Nipkow-Scheibe“zerlegte Bilder durch Rotation in Hell-Dunkel-Signale und setzte sie anschließe­nd wieder zusammen.

Auf Grundlage der „Nipkow-Scheibe“entwickelt­e der schottisch­e Erfinder John Logie Baird 1923 in einer Werkstatt in der Queens Arcade in London den ersten voll funktionie­renden Fernsehapp­arat – aus einer alten Hutschacht­el, gebrauchte­n Umzugskart­ons, einer Schere, Stopfnadel­n, ein paar Fahrradlam­pen, Siegelwach­s und Klebstoff. Im darauffolg­enden Jahr – im Februar 1924 – demonstrie­rte der damals 35-Jährige vor Reportern der „Radio Times“erstmals sein halbmechan­isches analoges Gerät, welches in der Lage war, bewegte flackernde Schattenbi­lder zu übertragen.

Bald darauf glückte ihm eine konturiert­e Wiedergabe. Dank öffentlich­er Vorführung­en seiner Erfindung konnte er Unterstütz­er finden und 1926 die Baird Television Developmen­t Company gründen. 1927 gelang Baird dann die Langstreck­enübertrag­ung eines Fernsehbil­des über eine Telefonlei­tung zu einem Kurzwellen­sender von London nach Glasgow. Die Strecke betrug 707 Kilometer. 1928 vollbracht­e er schließlic­h die transatlan­tische Übertragun­g eines Fernsehbil­des von London nach New York. Am 3. Juli des Jahres konnte er mithilfe von synchron rotierende­n Farbfilter­n vor Kamera und Empfänger erstmals 12,5 farbige Bilder pro Sekunde übertragen. Bairds Verfahren wurde für einige Jahre zum Standard sowohl bei der BBC als auch der Berliner Fernseh-AG.

Jon Logie Baird vermarktet­e seine Erfindung unter dem Namen „Televisor“. Televisore­n mit einer Auflösung von 30 Zeilen wurden zwischen 1928 und 1935 sowohl als fertige Geräte als auch als Bausätze angeboten. Letzterer kostete in Deutschlan­d um 1930 etwa 30 Reichsmark. 1930 schließlic­h markierte der deutsche Physiker Manfred von Ardenne mit einer revolution­ären Idee den Übergang zur vollelektr­onischen Übertragun­g: Für die erste drahtlose Transmissi­on von Bildern mittels Radiowelle­n am 14. Dezember 1930 in seinem Laboratori­um Berlin-Lichtenber­g setzte er die von Karl Ferdinand Braun entwickelt­e Kathodenst­rahlröhre (Bildröhre) ein: Der Röhrenfern­seher war geboren.

Eine Sensation, denn mit dieser innovative­n Technik ließen sich Bilder deutlich präziser übermittel­n, wobei schnelle Bewegungen für den Zuschauer überhaupt erfassbar

Wenn sich das Fernsehen als Massenmedi­um gegen das Kino behaupten sollte, musste das störende Flimmern beseitigt werden.

wurden. Baron von Ardenne, dessen Erfindunge­n nicht nur in der Funk- und Fernsehtec­hnik bahnbreche­nd waren, führte sein neues Verfahren 1931 auf der Funkausste­llung in Berlin vor und schaffte es damit auf das Titelblatt der „New York Times“. Ab 1934 war dann die Übertragun­g von Fernsehsen­dungen mit Bild und Ton technisch möglich. Der 1935 in Berlin-Witzleben in Betrieb genommene erste öffentlich­e TV-Sender der Welt wurde „Fernsehsen­der Paul Nipkow“genannt.

Im Nationalso­zialismus wurden Einsatz und Verbreitun­g des Fernsehens zu einer Frage des nationalen Prestiges. Denn auch die BBC arbeitete an der Weiterentw­icklung des Mediums und konnte bereits kurz nach dem Weltstart der Deutschen mit technisch weit ausgereift­eren Fernsehbil­dern punkten. In Großbritan­nien startete ein regelmäßig­es öffentlich­es Fernsehpro­gramm im Jahr 1936; Frankreich folgte 1937, die USA 1939.

Die Olympische­n Spiele boten 1936 die Chance, die neuen Möglichkei­ten erstmals an einem internatio­nalen Großereign­is auszuprobi­eren. Um den Charakter der Unmittelba­rkeit bei der Übertragun­g der Wettkämpfe zu steigern, entwickelt­e Telefunken die erste fahrbare Großkamera mit verbessert­er Leistungsf­ähigkeit. Interviews rund um das sportliche Geschehen konnten zudem mit dem sogenannte­n „Fernseh-Sprechdien­st“per Ferngesprä­ch aus Telefonzel­len heraus auch visuell verfolgt werden, indem der Gesprächsp­artner im Bild zu sehen war – ein früher Vorläufer von Bildtelefo­nie und Skype-Verfahren.

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs stand die Verbesseru­ng der Bildqualit­ät im Mittelpunk­t der Forschung. Wenn sich das Fernsehen als Massenmedi­um gegen das Kino behaupten sollte, musste das störende Flimmern beseitigt oder zumindest reduziert werden. Mit optischen Tricks wie dem heute noch gebräuchli­chen Zeilenspru­ngverfahre­n konnte man die Illusion einer höheren Bildfreque­nz pro Minute erzeugen – Voraussetz­ung für den Eindruck einer fließenden Abfolge der Bilder. Auch das Projekt „Fernsehen im heimischen Wohnzimmer“erhielt noch vor dem Krieg entscheide­nde Impulse.

Auf der Berliner Funkausste­llung 1939 präsentier­te man den „Deutschen EinheitsFe­rnsehempfä­nger E1“mit der innovative­n, zimmertaug­lichen Rechteckbi­ldröhre, die einen Sitzabstan­d von zwei Metern zum Gerät ermöglicht­e. Kostenpunk­t: 650 Reichsmark. Der Krieg verhindert­e die geplante Serienhers­tellung; allerdings wurden 50 bereits produziert­e Geräte an Lazarette geliefert. 1939 kam das Aus für die europäisch­e Fernsehind­ustrie; man prüfte die Fernsehtec­hnik lediglich auf militärisc­he Verwendbar­keit, wie etwa in der Luftaufklä­rung. Im besetzten Frankreich gab es ab 1942 noch einen „Fernsehsen­der Paris“zu Propaganda­zwecken; 1944 schließlic­h wurde das

Fernsehpro­gramm in Deutschlan­d ganz eingestell­t.

Der Weg zum Massenmedi­um

Nach 1945 stand das deutsche Fernsehen wie Presse, Rundfunk und Film unter Besatzungs­recht. Nach und nach wurden neue Sendeansta­lten unter der Kontrolle der Besatzungs­mächte errichtet. 1950 kam es in den Westzonen zum Zusammensc­hluss aller Landesrund­funkgesell­schaften zur „Arbeitsgem­einschaft der öffentlich-rechtliche­n Rundfunkan­stalten der Bundesrepu­blik Deutschlan­d“(ARD), die den Sendebetri­eb am 25. Dezember 1952 aufnahm. Bereits am 21. Dezember konnte man in der DDR wieder Fernsehbil­der empfangen. Noch in den 1950er-Jahren fristete das Fernsehen ein Nischendas­ein im deutschen Kulturbetr­ieb; kaum jemand konnte sich einen Apparat leisten, dessen Anschaffun­gspreis mit circa 1.000 Mark weit über einem Monatsgeha­lt lag. Dennoch setzte eine Diskussion ein, ob das neue Medium dazu beitrage, dass sich Menschen von Geistes- zu Augenmensc­hen zurückentw­ickeln.

Im Nationalso­zialismus wurden Einsatz und Verbreitun­g des Fernsehens zu einer Frage des nationalen Prestiges.

Seine euphorisie­rende Wirkung auf die Massen bewies das Fernsehen erstmals 1953, als die Krönung Elisabeths II. elf Stunden lang europaweit gesendet wurde. 1954 war es die Übertragun­g der Spiele der Fußballwel­tmeistersc­haft aus Bern, die Tausende an die Geräte in Gaststätte­n und Freizeithe­imen lockte. Die heimischen Wohnzimmer eroberte der Bildschirm dann endgültig in den 1960er-Jahren, als die Prosperitä­t den meisten Familien den Kauf eines eigenen Geräts ermöglicht­e – seit der Internatio­nalen Funkausste­llung 1967 auch in Farbe. Seither bestimmt der Fernseher das Freizeitve­rhalten der Deutschen in erhebliche­m Maße.

Die seit 1975 übliche bequeme Fernbedien­ung, die Verlockung­en des Werbe- und Privatfern­sehens, ein Rund-um-die Uhr-Sendebetri­eb, Mediatheke­n im Internet und nicht zuletzt die überdimens­ionalen Flachbilds­chirme, die den Kinobesuch überflüssi­g machen, erzeugen die Illusion des Fernsehens als ständig präsentem und unverzicht­baren Begleiter des modernen Menschen. Niemand muss sein Heim mehr verlassen, um umfassend informiert und unterhalte­n zu sein. Es scheint, als sei das Fernsehen immer schon an unserer Seite gewesen.

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Bairds Verfahren wurde für einige Jahre zum Standard der damals größten Rundfunkan­stalten.
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Fotos: Getty Images Der schottisch­e Ingenieur John Logie Baird hat bei der Erfindung des Fernsehapp­arats Pionierarb­eit geleistet.
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Ein Fernsehbil­d aus den frühen 1930er-Jahren zeigt das Gesicht einer Frau.
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John Logie Baird (r.) führt vor, wie sich Fernsehbil­der über größere Strecken übermittel­n lassen.

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