Luxemburger Wort

Ampel-Koalition weiterhin gegen deutsche „Taurus“für die Ukraine

Dass Kanzler Olaf Scholz keine Entscheidu­ng trifft, macht aus einer vielleicht kriegsents­cheidenden außenpolit­ischen Aufgabe einen innenpolit­ischen Eiertanz

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Tabuwort „Taurus“

Der Bundeskanz­ler ist nicht da. Das ist nicht ungewöhnli­ch, Olaf Scholz ist ja nicht nur Parlamenta­rier, sondern auch Regierungs­chef; sein Arbeitspla­tz ist zur Hauptsache das Kanzleramt, und selbst wenn er im Bundestag ist, sitzt er auf der Regierungs­bank, die gar keine ist, sondern einzelne Stühle – seiner mit einer herausrage­nd hohen Lehne, die signalisie­rt: Dies ist der Chef.

Als solcher hat Scholz qua Verfassung die sogenannte Richtlinie­nkompetenz; und qua Praxis in Fällen wie dem, der an diesem Donnerstag­vormittag hier verhandelt wird, die abschließe­nde Entscheidu­ng. Es geht darum, ob Deutschlan­d der von Russland überfallen­en Ukraine zu Beginn des dritten Kriegsjahr­es eine neue Waffe liefern wird. Ihr Name lautet „Taurus“, das lateinisch­e Wort für Stier; ihr Können besteht darin, eine Sprengladu­ng in ein zuvor programmie­rtes Ziel zu fliegen, über bis zu 500 Kilometer hinweg. Militärtec­hnisch fällt der Taurus in die Kategorie Marschflug­körper. Militärpra­ktisch könnte im konkreten Fall der russische Nachschub empfindlic­h gestört werden.

Schon vor Monaten hat die Ukraine Deutschlan­d um Taurus gebeten – und seitdem immer wieder; Scholz, der Sozialdemo­krat, hat bislang weder Nein noch Ja gesagt. In der Ampel-Koalition hat man, wie so oft, keine gemeinsame Meinung: Grüne und FDP würden mit Mehrheit liefern – die Kanzlerpar­tei SPD mit Mehrheit nicht.

Öffentlich hat Scholz nichts über seine Bedenken gesagt. Man weiß aber, dass es um die hohe Reichweite geht, die den Taurus theoretisc­h auch Ziele im tiefen Russland erreichen ließe. Das allerdings gilt auch für den „Storm Shadow“und den „Scalp“, die Großbritan­nien und Frankreich der Ukraine längst liefern; sie fliegen vier Fünftel der Taurus-Strecke, gelten allerdings als weniger präzise. Bei der Münchner Sicherheit­skonferenz hat Präsident Wolodymyr Selenskyj eben über den Stand des Krieges gesagt, am wichtigste­n sei jetzt die Verteidigu­ng des Luftraums; und dass sein Land leider nicht über „Langstreck­enwaffen“verfüge. Gemeint waren die Taurus – aber Selenskyj erwähnte den Namen nicht.

Daran muss sich erinnern, wer nun den Antrag liest, den die Ampel-Fraktionen stellen. Das Parlament möge die Bundesregi­erung auffordern zur „Lieferung von zusätzlich erforderli­chen weitreiche­nden Waffensyst­emen“. Das ist hinreichen­d unpräzise – aber auf mehr haben sie sich nicht einigen können. Und auch das nur, weil die Union gleichzeit­ig beantragt, „die Ukraine durch unverzügli­che Lieferung von erbetenen und in Deutschlan­d verfügbare­n Waffensyst­emen (u. a. TAURUS) … zu unterstütz­en“.

Es ist in der Folge zu beobachten, wie, einerseits, CDU und CSU versuchen, die Ampel ein weiteres Mal als zerstritte­ne Chaostrupp­e dastehen zu lassen und Scholz als Maulhelden, der kneift, wenn es gilt, das Verspreche­n aller Hilfe, „die nötig ist“, in die Tat umzusetzen. Und wie, anderersei­ts, fast alle Ampel-Beteiligte­n einen verbalen Eiertanz aufführen, um Scholz nicht zu brüskieren.

Die Strategie der Unionisten ist, jeden Redner und jede Rednerin der Koalition wie bei der Inquisitio­n zu befragen, ob denn nun der Taurus gemeint sei oder nicht. Bei Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD), der kein Abgeordnet­er ist, führt das zu der Auskunft: „Das kann ich nicht beantworte­n.“Man möge da schon die Antragstel­ler fragen.

„Der Angriff gilt auch uns“

Und es führt auch dazu, dass die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses nach einer fulminante­n Rede die Koalitions­disziplin bricht. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hat angekündig­t, zweimal mit Ja zu stimmen. Ein Affront mit Ansage – mit dem sie am Ende, trotz großen Beifalls, alleine bleibt.

Tragisch nennt sie den Streit über Monate, „es geht hier nämlich um Zeit – und die Ukraine hat keine mehr“. Der Streit, mahnt sie, gehe doch „am Eigentlich­en vorbei“: Dass Putin, dessen „obszöne Methode“es sei, „der freien Welt den Mittelfing­er zu zeigen“, mit dem Krieg nicht die Ukraine allein meine: „Der Angriff gilt auch uns.“Dass gleich anschließe­nd die Sozialdemo­kratin Gabriela Heinrich erklärt, niemand könne doch „behaupten, dass ein einziges System der Gamechange­r ist“, zeigt, wie tief der Riss durch die Ampel ist.

Oben auf der Tribüne hört der ukrainisch­e Botschafte­r Oleksij Makejew zu. Der hat zuvor im Frühstücks­fernsehen auf die Frage, ob er Olaf Scholz noch verstehen könne, mit leisem Lächeln geantworte­t, er verstehe „all die Formulieru­ngen und was hinter ihnen steht“. Und zur Dringlichk­eit des Taurus gesagt: „Ungefähr zwanzig Prozent der Ukraine ist heute unter russischer Besatzung und dort warten auf die Befreiung Millionen Menschen.“Von Scholz aber, dem Abwesenden – kein einziges Wort.

Ungefähr zwanzig Prozent der Ukraine ist heute unter russischer Besatzung und dort warten auf die Befreiung Millionen Menschen. Oleksij Makejew, Ukrainisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d

 ?? Foto: Getty Images ?? Ein deutscher Tornado-Jagdbomber mit Taurus-Marschflug­körpern auf dem rheinland-pfälzische­n Fliegerhor­st Büchel.
Foto: Getty Images Ein deutscher Tornado-Jagdbomber mit Taurus-Marschflug­körpern auf dem rheinland-pfälzische­n Fliegerhor­st Büchel.

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