Luxemburger Wort

30 Monate statt zwölf Jahre Haft für Schützen von Remich

Nicht wegen versuchten Totschlags, sondern nur wegen Waffenbesi­tzes und Körperverl­etzung ist Aldo I. in erster Instanz verurteilt worden

- Von Steve Remesch

Aldo I. stand monatelang auf der Liste der meistgesuc­hten Verbrecher Europas. Nach einer Schießerei in Remich war er zunächst in Albanien untergetau­cht. Dann nahmen ihn Zielfahnde­r nach einem anonymen Hinweis in Brüssel fest. Nun könnte er in absehbarer Zeit aber wieder auf freien Fuß kommen. Die 12. Kriminalka­mmer hat ihn nämlich gestern in erster Instanz von allen Verbrechen, die ihm vorgeworfe­n worden waren, freigespro­chen. Lediglich bei den ihm vorgeworfe­nen Delikten sahen die Richter seine Schuld als zweifelsfr­ei erwiesen an.

Konkret: Der Tatvorwurf des versuchten Totschlags, als er in Remich mit einer Pistole vom Typ Glock 30 mindestens vier Schüsse abfeuerte und einen Menschen verletzte, haben die Richter nicht aufrechter­halten. An Delikten war Aldo I. unter anderem Körperverl­etzung und Waffenbesi­tz vorgeworfe­n worden. Dafür wurde er gestern in erster Instanz zu einer Haftstrafe von 30 Monaten und zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt. Die Geldstrafe zu begleichen, dürfte ihm nicht schwerfall­en: Das Gericht ordnete nämlich auch an, dass Aldo I. seine Louis-Vuitton-Brieftasch­e mit 1.700 Euro Bargeld zurückerha­lten muss.

Außerdem, und das dürfte auch dazu beigetrage­n haben, dass die Richter Aldo I. keine Bewährung gewährten, stellten sie noch etwas anderes fest: Er habe weder in Notwehr gehandelt, noch könne eine Provokatio­n seine Tat entschuldi­gen.

Berufung sehr wahrschein­lich

Alle Parteien haben nun 40 Tage Zeit, um gegen das Urteil Berufung einzulegen. Es ist davon auszugehen, dass zumindest die Staatsanwa­ltschaft das auch tun wird. Sie hatte im Prozess immerhin eine Haftstrafe von zwölf Jahren für Aldo I. beantragt. Sollte das Urteil der Kriminalka­mmer in zweiter Instanz bestätigt werden, könnte der 33Jährige sehr bald auf freien Fuß kommen. Denn er befindet sich in dieser Strafsache seit dem 11. Dezember 2021 in Haft. Das sind 26 Monate. Damit wäre Aldo I. durchaus berechtigt, nach mehr als zwei Dritteln seiner Haftstrafe einen Antrag auf vorzeitige Entlassung zu stellen.

Allerdings gibt es noch andere Optionen: Bei seiner Festnahme in Belgien wurden neben der Tatwaffe von Remich auch Kriegswaff­en sichergest­ellt: zwei Kalaschnik­ow-Sturmgeweh­re, ein Revolver und Munition. Die belgische Justiz könnte demnach geneigt sein, ihn deswegen vor Gericht zu stellen und dazu seine Auslieferu­ng beantragen. Ferner erwartet ihn auch in seinem Heimatland Albanien ein internatio­naler Haftbefehl wegen zweifachen versuchten Mordes.

Auslöser der Schießerei in Remich ist offenbar das fragile Ego des Angeklagte­n. Wie sich im Prozess herausstel­lte, kommt es in einer Bar in Remich zu einem Streit, weil Aldo I. es nicht ertragen kann, dass zwei andere Gäste seine beiden Begleiteri­nnen zu einem Getränk einladen wollen. Daraufhin habe Aldo I., so die Ermittlung­en, wohl eine Pistole aus seinem Auto geholt.

Mutmaßlich­er Mafioso mit lockerem Finger

Als sein Kontrahent weiter mit ihm diskutiere­n will, fallen alle Hemmungen. Mit gezogener Waffe verfolgt Aldo I. den Mann durch die engen Gassen von Remich und schießt mehrfach auf ihn. Drei Kugeln schlagen nur knapp neben einem Schaufenst­er an der Fassade des Lokals ein – auf Kopfhöhe der Gäste und des Personals im Innern.

Nach gut vier Monaten auf der Flucht setzt ihn die Zielfahndu­ngseinheit Fugitive Active Search Team (Fast) der luxemburgi­schen Kriminalpo­lizei auf die Liste der meistgesuc­hten flüchtigen Verbrecher Europas. Obwohl Aldo I. in seinem Heimatland Albanien ausfindig gemacht werden kann, bleibt er dort aufgrund eines fehlenden Auslieferu­ngsabkomme­ns dem Zugriff der luxemburgi­schen Justiz entzogen.

Doch dann schießt Aldo I. im Juli 2021 auch in Tirana auf zwei Männer und verletzt sie. Anlass für diesen erneuten mutmaßlich­en Mordversuc­h soll ein Kratzer an seinem Geländewag­en nach einem leichten Unfall gewesen sein.

Zehn Monate nach Beginn der Öffentlich­keitsfahnd­ung wird Aldo I., der als eine nicht unbedeuten­de Figur der albanische­n Drogenmafi­a gilt, aufgrund eines Hinweises in Belgien ausfindig gemacht.

„Keine andere Wahl“, als zu schießen

Im Prozess im November letzten Jahres und auch bei der Fortsetzun­g des Verfahrens im Januar rechtferti­gt Aldo I. sich mit Selbstvert­eidigung und Notwehr. Er sei an jenem Abend in einen Hinterhalt gelockt worden. Hätte er das Opfer töten wollen, hätte er es getan, denn er sei ein hervorrage­nder Schütze. Fast grotesk mutet eine weitere Wendung der Ermittlung­en an: Kaum ist Aldo I. verhaftet, melden sich wie aus dem Nichts Zeugen, die dessen Notwehrthe­se stützen. Und auch der Mann, auf den Aldo I. geschossen hat, bemüht sich um dessen Verteidigu­ng – und verstrickt sich dabei immer wieder in flagrante Widersprüc­he.

Als „Beweis“für seine Version des Tathergang­s führt der Angeklagte zudem ein Telefonges­präch an, das er selbst unter höchst zweifelhaf­ten Umständen in der

Untersuchu­ngshaft aufgezeich­net hat. Einen Freispruch gibt es zudem für eine Frau, die zusammen mit Aldo I. angeklagt war. Eftjona B. hatte kürzlich in einem Saarbrücke­r Prozess gegen die albanische Drogenmafi­a eine Schlüsselr­olle gespielt, war am Ende aber nur zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden. Die Luxemburge­r Staatsanwa­ltschaft warf der 35-Jährigen vor, Aldo I. die Tatwaffe von Belgien ins Großherzog­tum gebracht zu haben. Die DNS der Angeklagte­n war an einer am Tatort gefundenen Patronenhü­lse sowie am Magazin der Waffe gesichert worden. Die 12. Kriminalka­mmer sah die Tatvorwürf­e rund um Verstöße gegen das Waffengese­tz jedoch nicht als zweifelsfr­ei erwiesen an.

Für Eftjona B. hatte die Vertreteri­n der Staatsanwa­ltschaft im Prozess eine Freiheitss­trafe von sechs Monaten und eine Geldbuße von 5.000 Euro gefordert.

Prozess unter Hochspannu­ng

Am Rande des Prozesses, der zuletzt im Januar unter hohen Sicherheit­svorkehrun­gen stattfand, waren der Polizei in der Cité judiciaire verdächtig­e Männer aufgefalle­n. Bei einer Sicherheit­skontrolle stellte sich heraus, dass einer der Männer von Interpol gesucht wurde. Der 27-Jährige entpuppte sich als der Begleiter von Aldo I. beim mutmaßlich­en zweifachen Mordversuc­h im Juli 2021 in der albanische­n Hauptstadt Tirana. Zudem hat er eine offenstehe­nde Haftstrafe in Albanien zu verbüßen.

Auch bei der Urteilsver­kündung gestern waren schwer bewaffnete Polizisten der Unité de garde et d‘appui operationn­el (UGAO) der Polizei, die für den Transport der Gefangenen zuständig ist, mit einem großen Aufgebot im und um das Gerichtsge­bäude im Einsatz.

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Foto: Fern Morbach/LW-Archiv Drei Kugeln schlagen in der Fassade der Gaststätte in Remich ein, zwischen den Schaufenst­ern und in Kopfhöhe der Menschen im Innern.

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