30 Monate statt zwölf Jahre Haft für Schützen von Remich
Nicht wegen versuchten Totschlags, sondern nur wegen Waffenbesitzes und Körperverletzung ist Aldo I. in erster Instanz verurteilt worden
Aldo I. stand monatelang auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher Europas. Nach einer Schießerei in Remich war er zunächst in Albanien untergetaucht. Dann nahmen ihn Zielfahnder nach einem anonymen Hinweis in Brüssel fest. Nun könnte er in absehbarer Zeit aber wieder auf freien Fuß kommen. Die 12. Kriminalkammer hat ihn nämlich gestern in erster Instanz von allen Verbrechen, die ihm vorgeworfen worden waren, freigesprochen. Lediglich bei den ihm vorgeworfenen Delikten sahen die Richter seine Schuld als zweifelsfrei erwiesen an.
Konkret: Der Tatvorwurf des versuchten Totschlags, als er in Remich mit einer Pistole vom Typ Glock 30 mindestens vier Schüsse abfeuerte und einen Menschen verletzte, haben die Richter nicht aufrechterhalten. An Delikten war Aldo I. unter anderem Körperverletzung und Waffenbesitz vorgeworfen worden. Dafür wurde er gestern in erster Instanz zu einer Haftstrafe von 30 Monaten und zu einer Geldbuße von 2.000 Euro verurteilt. Die Geldstrafe zu begleichen, dürfte ihm nicht schwerfallen: Das Gericht ordnete nämlich auch an, dass Aldo I. seine Louis-Vuitton-Brieftasche mit 1.700 Euro Bargeld zurückerhalten muss.
Außerdem, und das dürfte auch dazu beigetragen haben, dass die Richter Aldo I. keine Bewährung gewährten, stellten sie noch etwas anderes fest: Er habe weder in Notwehr gehandelt, noch könne eine Provokation seine Tat entschuldigen.
Berufung sehr wahrscheinlich
Alle Parteien haben nun 40 Tage Zeit, um gegen das Urteil Berufung einzulegen. Es ist davon auszugehen, dass zumindest die Staatsanwaltschaft das auch tun wird. Sie hatte im Prozess immerhin eine Haftstrafe von zwölf Jahren für Aldo I. beantragt. Sollte das Urteil der Kriminalkammer in zweiter Instanz bestätigt werden, könnte der 33Jährige sehr bald auf freien Fuß kommen. Denn er befindet sich in dieser Strafsache seit dem 11. Dezember 2021 in Haft. Das sind 26 Monate. Damit wäre Aldo I. durchaus berechtigt, nach mehr als zwei Dritteln seiner Haftstrafe einen Antrag auf vorzeitige Entlassung zu stellen.
Allerdings gibt es noch andere Optionen: Bei seiner Festnahme in Belgien wurden neben der Tatwaffe von Remich auch Kriegswaffen sichergestellt: zwei Kalaschnikow-Sturmgewehre, ein Revolver und Munition. Die belgische Justiz könnte demnach geneigt sein, ihn deswegen vor Gericht zu stellen und dazu seine Auslieferung beantragen. Ferner erwartet ihn auch in seinem Heimatland Albanien ein internationaler Haftbefehl wegen zweifachen versuchten Mordes.
Auslöser der Schießerei in Remich ist offenbar das fragile Ego des Angeklagten. Wie sich im Prozess herausstellte, kommt es in einer Bar in Remich zu einem Streit, weil Aldo I. es nicht ertragen kann, dass zwei andere Gäste seine beiden Begleiterinnen zu einem Getränk einladen wollen. Daraufhin habe Aldo I., so die Ermittlungen, wohl eine Pistole aus seinem Auto geholt.
Mutmaßlicher Mafioso mit lockerem Finger
Als sein Kontrahent weiter mit ihm diskutieren will, fallen alle Hemmungen. Mit gezogener Waffe verfolgt Aldo I. den Mann durch die engen Gassen von Remich und schießt mehrfach auf ihn. Drei Kugeln schlagen nur knapp neben einem Schaufenster an der Fassade des Lokals ein – auf Kopfhöhe der Gäste und des Personals im Innern.
Nach gut vier Monaten auf der Flucht setzt ihn die Zielfahndungseinheit Fugitive Active Search Team (Fast) der luxemburgischen Kriminalpolizei auf die Liste der meistgesuchten flüchtigen Verbrecher Europas. Obwohl Aldo I. in seinem Heimatland Albanien ausfindig gemacht werden kann, bleibt er dort aufgrund eines fehlenden Auslieferungsabkommens dem Zugriff der luxemburgischen Justiz entzogen.
Doch dann schießt Aldo I. im Juli 2021 auch in Tirana auf zwei Männer und verletzt sie. Anlass für diesen erneuten mutmaßlichen Mordversuch soll ein Kratzer an seinem Geländewagen nach einem leichten Unfall gewesen sein.
Zehn Monate nach Beginn der Öffentlichkeitsfahndung wird Aldo I., der als eine nicht unbedeutende Figur der albanischen Drogenmafia gilt, aufgrund eines Hinweises in Belgien ausfindig gemacht.
„Keine andere Wahl“, als zu schießen
Im Prozess im November letzten Jahres und auch bei der Fortsetzung des Verfahrens im Januar rechtfertigt Aldo I. sich mit Selbstverteidigung und Notwehr. Er sei an jenem Abend in einen Hinterhalt gelockt worden. Hätte er das Opfer töten wollen, hätte er es getan, denn er sei ein hervorragender Schütze. Fast grotesk mutet eine weitere Wendung der Ermittlungen an: Kaum ist Aldo I. verhaftet, melden sich wie aus dem Nichts Zeugen, die dessen Notwehrthese stützen. Und auch der Mann, auf den Aldo I. geschossen hat, bemüht sich um dessen Verteidigung – und verstrickt sich dabei immer wieder in flagrante Widersprüche.
Als „Beweis“für seine Version des Tathergangs führt der Angeklagte zudem ein Telefongespräch an, das er selbst unter höchst zweifelhaften Umständen in der
Untersuchungshaft aufgezeichnet hat. Einen Freispruch gibt es zudem für eine Frau, die zusammen mit Aldo I. angeklagt war. Eftjona B. hatte kürzlich in einem Saarbrücker Prozess gegen die albanische Drogenmafia eine Schlüsselrolle gespielt, war am Ende aber nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Die Luxemburger Staatsanwaltschaft warf der 35-Jährigen vor, Aldo I. die Tatwaffe von Belgien ins Großherzogtum gebracht zu haben. Die DNS der Angeklagten war an einer am Tatort gefundenen Patronenhülse sowie am Magazin der Waffe gesichert worden. Die 12. Kriminalkammer sah die Tatvorwürfe rund um Verstöße gegen das Waffengesetz jedoch nicht als zweifelsfrei erwiesen an.
Für Eftjona B. hatte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft im Prozess eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und eine Geldbuße von 5.000 Euro gefordert.
Prozess unter Hochspannung
Am Rande des Prozesses, der zuletzt im Januar unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfand, waren der Polizei in der Cité judiciaire verdächtige Männer aufgefallen. Bei einer Sicherheitskontrolle stellte sich heraus, dass einer der Männer von Interpol gesucht wurde. Der 27-Jährige entpuppte sich als der Begleiter von Aldo I. beim mutmaßlichen zweifachen Mordversuch im Juli 2021 in der albanischen Hauptstadt Tirana. Zudem hat er eine offenstehende Haftstrafe in Albanien zu verbüßen.
Auch bei der Urteilsverkündung gestern waren schwer bewaffnete Polizisten der Unité de garde et d‘appui operationnel (UGAO) der Polizei, die für den Transport der Gefangenen zuständig ist, mit einem großen Aufgebot im und um das Gerichtsgebäude im Einsatz.