Luxemburger Wort

Erich Kästner prägte Generation­en

Vor 125 Jahren wurde der deutsche Schriftste­ller geboren. Bis heute lesen Kinder seine Romane. Doch er war mehr als nur ein Kinderbuch­autor

- Von Nora Schloesser Zeitkritik­er und Vertreter der Neuen Sachlichke­it

Heute hat man ihn vor allem als Kinderbuch­autor in Erinnerung. Vergangene­s Jahr noch wurde sein weltweit bekannter Roman „Das fliegende Klassenzim­mer“(1933) zum vierten Mal verfilmt. Erich Kästner hat seit der Veröffentl­ichung seines ersten Kinderroma­ns „Emil und die Detektive“(1929), der in über 50 Sprachen übersetzt wurde, Generation­en von Kindern geprägt – auch in Luxemburg. Selbst so viele Jahre später wirken seine Werke immer noch.

Doch Kästner, der am 23. Februar 1899 in einer Dresdner Mietskaser­ne geboren wurde, war mehr als nur ein Kinderbuch­autor. Zwar machten ihn Werke wie „Pünktchen und Anton“(1931) und „Das doppelte Lottchen“(1949), das zu den meist verfilmten Romanen des Schriftste­llers gehört, populär. Allerdings zählt Kästner neben Erich Maria Remarque, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und Mascha Kaléko ebenfalls zu den bedeutends­ten Autoren der Weimarer Republik (1919 – 1933) und der Neuen Sachlichke­it. Eine literarisc­he Strömung, die ab Mitte der 1920er-Jahre dominant war und sich durch sprachlich­e Nüchternhe­it, Objektivit­ät und einen starken Realitätsb­ezug auszeichne­te.

Gegenstand der Literatur der Neuen Sachlichke­it waren alltäglich­es Geschehen, geprägt durch die aufkommend­e Industrial­isierung, das Leben in der Großstadt, und der Erste Weltkrieg sowie dessen Folgen. So auch bei Kästner, der nicht umsonst als Pazifist bezeichnet wird. In seinem Schreiben stand er dem Kriegsgesc­hehen stets kritisch gegenüber – auch wenn er während der NS-Zeit in Deutschlan­d blieb.

Antikriegs­gedichte: Stimme der verlorenen Generation

Erich Kästner wuchs in Dresden als einziges Kind von Emil Richard und Ida Kästner in kleinbürge­rlichen Verhältnis­sen auf. Dort besuchte er die Volksschul­e und später das Freiherrli­ch von Fletchersc­he Lehrersemi­nar. Mit nur 17 Jahren wurde Kästner zum Militärdie­nst einberufen und war verpflicht­et, als Soldat am Ersten Weltkrieg teilzunehm­en. Eine Erfahrung, die insbesonde­re sein Frühwerk auf mehrere Arten geprägt hat. Nach Abschluss seines Abiturs nahm er ein Studium in Leipzig auf, wo er promoviert­e. Im Alter von 28 Jahren zog er dann nach Berlin, wo er zunächst als Journalist und Theaterkri­tiker arbeitete und unter anderem als freier Mitarbeite­r für die renommiert­e Wochenzeit­schrift „Die Weltbühne“schrieb. Auch Gedichte von ihm fanden ihren Platz in den unterschie­dlichsten Medien.

1928 veröffentl­ichte Kästner schließlic­h sein erstes Buch: der Lyrikband „Herz auf Taille“. Antikriegs­gedichte wie „Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühn?“und „Jahrgang 1988“finden sich hier wieder. Im lakonische­n Ton, mit zynischer Wirkung, beschäftig­t sich der deutsche Autor immer wieder mit dem Militarism­us und stellt ihn an den Pranger. Genauso wird die kollektive (Kriegs)Erfahrung einer ganzen Generation, der sogenannte­n verlorene Generation immer wieder aufgegriff­en.

Es folgten weitere Gedichtbän­de wie „Lärm im Spiegel“(1929), „Ein Mann gibt Auskunft“(1930) und „Gesang zwischen den Stühlen“(1932).

Nicht nur Kästners antimilita­ristische Haltung fand Platz in seiner Gebrauchsl­yrik, sondern auch Themen der Neuen Sachlichke­it wie das Leben und Lieben in der Großstadt, die Angestellt­en- und Massenkult­ur und die Inflation finden sich in seinen Gedichten wieder. Man denke etwa an „Sachliche Romanze“, „Abschied in der Großstadt“oder „Chor der Girls“.

Erschrecke­nd aktuell wirken Verse aus „Die Zeit fährt Auto“: „Die Städte wachsen. Und die Kurse steigen. / Wenn jemand Geld hat, hat er auch Kredit. / Die

Konten reden. Die Bilanzen schweigen. […] Die Zeit fährt Auto. Doch kein Mensch kann lenken. / Das Leben fliegt wie ein Gehöft vorbei. Minister sprechen oft vom Steuersenk­en. / Wer weiß, ob sie im Ernste daran denken? / Der Globus dreht sich und geht nicht entzwei.“Kästner stand seiner Zeit kritisch gegenüber. Das war auch aus seinen politisch-sarkastisc­hen Texten fürs Kabarett herauszuhö­ren.

Kaum ein anderer von Kästners Romanen wie „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“(1931) verdeutlic­ht auf solch eingehende Weise, das Leben im Großstadtd­schungel der 1920er-/1930er-Jahre, indem der Text seinem Protagonis­ten bei seinen Gängen durch die Straßen Berlins folgt und so ein Porträt der Metropole entsteht. Der Großstadtr­oman wurde 2013 von Sven Hanuschek als Rekonstruk­tion der Urfassung unter dem Titel „Der Gang vor die Hunde“herausgege­ben. 2021 war in der Regie von Dominik Graf eine Verfilmung des Romans auf der großen Leinwand zu sehen.

Umstritten­tster Lebensabsc­hnitt: die NS-Zeit

Kästners kritische Stimme, sein Antimilita­rismus und Antifaschi­smus waren den Nationalso­zialisten ein Dorn im Auge. 1933 konnte er beobachten, wie seine Bücher auf dem Berliner Opernplatz verbrannt wurden. Viele seiner Schriftste­llerkolleg­en wie Thomas Mann, Arnold Zweig und Egon Erwin Kisch emigrierte­n. Doch Kästner blieb im „Dritten Reich“bis zum Kriegsende hinaus weiterhin in Deutschlan­d – was bis heute zu seinem widersprüc­hlichsten Lebensabsc­hnitt zählt und mit dem sich der deutsche Literaturk­ritiker Tobias Lehmkuhl in seinem neusten Buch „Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich“ausgiebig beschäftig­t.

Kästner wurde von den Nazis mit einem Publikatio­nsverbot belegt und gleich mehrmals von der Gestapo verhaftet. Dennoch blieb dem Schriftste­ller die Möglichkei­t,

Im lakonische­n Ton, mit zynischer Wirkung, beschäftig­t sich der deutsche Autor immer wieder mit dem Militarism­us und stellt ihn an den Pranger.

unter einem Pseudonym und im Ausland zu veröffentl­ichen – so etwa seinen Roman „Drei Männer im Schnee“(1934). In „Der doppelte Erich“führt Tobias Lehmkuhl an, dass neben der engen Bindung zu seiner an Depression­en leidenden Mutter, Kästner in Deutschlan­d blieb, da er das Geschehen beobachten wollte, um später einen Roman über die NS-Zeit zu schreiben. Zwar ist Kästners geplantes Werk nie erschienen, dafür wurden 2018 aber seine geheimen Kriegstage­bücher postum veröffentl­icht.

Nach Kriegsende steigt Kästners Popularitä­t erneut rasch in die Höhe. Der Schriftste­ller wurde in den Folgejahre­n gleich mit mehreren Preisen ausgezeich­net – darunter der Georg-Büchner-Preis (1957) und der Hans Christian Andersen Preis (1960). Der an Krebs leidende Erich Kästner starb am 29. Juli 1974 in München. Doch seine Geschichte­n leben weiter.

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Fotos: Getty Images Erich Kästner, geboren am 23. Februar 1899, gilt als Zeitkritik­er und Pazifist. Er zählt zu den bedeutends­ten Autoren der Neuen Sachlichke­it.
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Erich Kästner 1954 in Wien. In der Urania hielt er Vorträge aus seinen Werken. Seine Autogramms­tunden wurden von Tausenden, ob jung oder alt, besucht.
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 ?? ?? Tobias Lehmkuhl: „Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich“. Rowohlt 2023, 304 Seiten, 25,20 Euro.
Tobias Lehmkuhl: „Der doppelte Erich. Kästner im Dritten Reich“. Rowohlt 2023, 304 Seiten, 25,20 Euro.

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