Luxemburger Wort

Kurze Geschichte, große Dinge

- Von Marc Thill

Es ist schwer zu beurteilen, was mich am meisten fasziniert hat, als ich als Kind Erich Kästners Debütroman „Emil und die Detektive“las. Zu lange liegt das zurück. War es die vom Schriftste­ller beschriebe­ne Stadtatmos­phäre? War es die Reise des kleinen Jungen Emil ganz alleine mit dem Zug nach Berlin? Oder war es vielleicht doch eher diese Clique der Großstadtj­ungen, die alle viel reifer waren als der junge Leser in demselben Alter.

Emils Mutter, alleinerzi­ehend, hat ihrem Sohn ihr Erspartes anvertraut, das für die Großmutter in Berlin bestimmt sein sollte. Diese besondere Mission, die Emil auferlegt wurde, habe ich als junger Leser ganz bestimmt berührend empfunden. Der Verlauf der Geschichte ist für einen Erwachsene­n vielleicht voraussehb­ar, für einen jungen Leser nicht aber unbedingt: Die Geldschein­e sind plötzlich nicht mehr da. Emil verlässt den Zug und lässt seine Großmutter und seine Cousine, die ihn am Bahnhof in Berlin erwarten, sitzen. Stattdesse­n nimmt er die Verfolgung des Diebes auf. Ab da wurde er für mich (und für bestimmt alle Leser) zu einer echten Heldenfigu­r. Andere hätten sich weinend in den Schoß der Großmutter gestürzt, Emil aber stürzt sich ins Abenteuer. Bis heute gefällt mir, wie er und seine Detektive, alles Großstadtj­ungen, zu einer Mannschaft zusammenfi­nden und wie sie dabei eine Kriegskass­e und einen Nachrichte­ndienst, „Parole Emil“, auf die Beine stellen.

Ja, hinter dieser kurzen Geschichte, in der Kästner selbst sogar als Zeitungsjo­urnalist auftaucht, stecken große Dinge: Solidaritä­t, Disziplin, Zivilcoura­ge und eine Milieubesc­hreibung. All das macht auch dieses Kinderbuch von Erich Kästner zu einem literarisc­hen Werk.

 ?? ?? Erich Kästner: „Emil und die Detektive“, Atrium 2018 (Erstausgab­e 1929), 176 Seiten, 14, 70 Euro.
Erich Kästner: „Emil und die Detektive“, Atrium 2018 (Erstausgab­e 1929), 176 Seiten, 14, 70 Euro.

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