Luxemburger Wort

Wie Menschen zum Kauf von Gesundem animiert werden können

Forscher loten aktuell aus, wann der subtile Anstoß in die „richtige“Richtung gut ankommt und wann nicht

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Wer greift zur Butter, wenn er eigens jemanden fragen muss, weil sie am Buffet so weit hinten steht, dass er allein nicht herankommt? Wer nimmt zehn Minuten extra Wartezeit in der Kantine in Kauf, nur um ein Fleischger­icht essen zu können? Mit Fragen wie diesen beschäftig­t sich Dominic Lemken. Der Professor für Sozioökono­mik und Ernährung an der Universitä­t Bonn ist Mitautor einer aktuellen Studie, die sich mit der ethischen Dimension von „Nudging“beschäftig­t – das ist das englische Wort für Anstoßen.

Es wird weltweit von Unternehme­n und auch auf politische­r Ebene in allen möglichen Bereichen eingesetzt, um Menschen mehr oder weniger subtil zu bestimmten Entscheidu­ngen zu verleiten – das Bild von der Raucherlun­ge auf der Zigaretten­packung etwa soll vom Kauf abhalten, ohne ihn zu verbieten.

Geprägt haben den Begriff der Ökonom Richard Thaler und der Jurist Cass Sunstein bereits im Jahr 2008. Grundsätzl­ich geht es um Maßnahmen, mit denen Menschen dazu gebracht werden können, ihr Verhalten zu ändern – und zwar ohne Verbote oder ökonomisch­en Anreiz. Nach ihrem Verständni­s soll damit moralisch gewünschte­s Verhalten begünstigt werden: Wenn etwa alle weniger Fleisch essen, ist das allgemein gut fürs Klima, und der Einzelne profitiert womöglich von einer besseren Gesundheit.

Mögen es die Menschen, etwa bei ihrer Ernährung manipulier­t zu werden – und sei es auch zu ihrem Besten? Lemken und eine Wissenscha­ftlerin der Uni

Göttingen fanden jetzt heraus, dass das davon abhängt, ob ihnen die Wahlfreihe­it zwischen gesund und ungesund weiterhin bleibt – und zwar ohne großen Aufwand und mit transparen­ten Alternativ­en.

„Auf die Entscheidu­ngsfreihei­t kommt es an“

Das trifft zum Beispiel zu, wenn Menschen vegetarisc­he Gerichte auf den ersten und Fleischger­ichte auf den hinteren Seiten einer Speisekart­e finden. Weniger gut angenommen wird der Stupser dagegen, wenn sie nur eine vegetarisc­he Speisekart­e erhalten und das Angebot an Fleischger­ichten aktiv anfragen müssen. „Auf die Entscheidu­ngsfreihei­t kommt es an“, sagt Lemken. „Die muss gewährleis­tet bleiben.“

Als Gegenbeisp­iel nennt er ein Szenario im Supermarkt: „Wenn man Chips und Schokolade so weit oben hinstellt, dass man erst eine Leiter holen muss, um dort heranzukom­men, hat man im Alltag kaum Entscheidu­ngsfreihei­t.“

Gerade bei der Ernährung würden viele Kaufentsch­eidungen aufgrund von Gewohnheit­en getroffen, sagt Lemken. Nudging solle – ohne Verbote – dabei helfen, diese zu durchbrech­en. „Bildungsma­ßnahmen in Sachen Ernährung erreichen meistens nur Menschen mit starkem sozial-ökonomisch­en Hintergrun­d. Nudging erreicht auch andere Bevölkerun­gsschichte­n.“Deshalb sei es wichtig zu erforschen, inwieweit Nudging ethisch vertretbar sei. „Das geht auch mit Sorgen der Entmündigu­ng einher“, sagt er.

Süßigkeite­n oder Bananen an der „Quengelkas­se“?

Allein die Art und Weise wie Lebensmitt­el präsentier­t werden, sei oft mitausschl­aggebend: die „Quengelkas­se“etwa. Wenn Schokorieg­el und Gummibärch­en in Kinderauge­nhöhe ausgestell­t werden, greifen genervte Eltern beim Ausgang dann entgegen aller vorherigen Absagen dann doch noch schnell zu den Süßigkeite­n.

Genauso funktionie­re es aber auch umgekehrt: Man könne ja auch die Bananen an den Ausgang stellen, was nachgewies­enermaßen den Abverkauf von Bananen erhöht, so Lemken. Erfolgreic­h sei Nudging oft, obwohl es transparen­t umgesetzt wurde. Im besten Fall führe es zur Reflexion des eigenen Verhaltens. „Es soll ja niemandem heimlich Gemüse zugesteckt werden“, so der Forscher.

Dass Nudging der Gedanke zugrunde liegt, dass Menschen manchmal nicht in der Lage sind, gute Entscheidu­ngen für sich selbst zu treffen, stört manche Kritiker. Denn was ist eine gute Entscheidu­ng? Der Soziologie Wolfgang Sofsky zweifelte in einem Gespräch mit dem Deutschlan­dfunk etwa an, dass „ausgerechn­et staatliche Planer und Experten wissen sollen, was für den Bürger das Beste sei“.

Und der Soziologe Stefan Piasecki weist in einem Beitrag für die Bundeszent­rale für politische Bildung auf den sozialen Druck hin, der mit Nudging einhergehe – so würden Menschen häufig ganz bewusst im Kollektiv angesproch­en. Zudem könnten politische Akteure durch Nudging versuchen, ihre Agenda eher unterschwe­llig durchzuset­zen – und die offene Kontrovers­e mit Gegnern zu meiden.

Fest steht: Bevormunde­t wird niemand gern. Dass in vielen Cafes kein Zuckerstre­uer mehr auf dem Tisch steht, sondern eigens nach ihm gefragt oder er selbst von der Theke herangehol­t werden muss, ärgert so manchen, der seinen Espresso oder Tee am liebsten mit Zucker trinkt – auch wenn er weiß, dass das vielleicht der Gesundheit nicht zuträglich ist. KNA

: Es soll ja niemandem heimlich Gemüse zugesteckt werden. Dominic Lemken, Professor für Sozioökono­mik und Ernährung an der Universitä­t Bonn

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Foto: Shuttersto­ck Warum nicht mal Bananen an der Supermarkt­kasse platzieren anstelle von Schokorieg­eln und Gummibärch­en?

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